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RAUB/0923: Korruptionsbekämpfung als Mittel imperialistischer Poliltik (SB)



Nachdem ein afghanischer Polizist fünf britische Soldaten erschoß, warnte Premierminister Gordon Brown den afghanischen Präsident Hamid Karzai, der Westen könne ihm die Unterstützung entziehen, wenn er sich nicht entschieden für die Bekämpfung der Korruption in seinem Land einsetze. Korruption sei der zweite Name der afghanischen Regierung, so Brown unverblümt und in völliger Mißachtung der Tatsache, daß die Administration in Kabul ihre Existenz ebenso den Besatzern zu verdanken hat, als diese wesentlichen Einfluß auf die Gestaltung ihrer Regierungspolitik ausüben. Mit der Unverblümtheit seiner Rüge hat der britische Premier die völlige Abhängigkeit Karzais von den Besatzern noch einmal unterstrichen. Er hätte eine solche Ansage, völlig unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt, bei dem Regierungschef eines souveränen Staates von vornherein unterlassen, müßte dieser einen solchen Affront doch schon zur Wahrung seines Gesichts als unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes zurückweisen. Das hat der afghanische Präsident zwar versucht, doch kann er sich nicht leisten, die Beziehungen zu seinen Kritikern ernsthaft zu gefährden, ist er doch auf ihren Schutz angewiesen, sprich durch ihre Rolle als Besatzungsmacht korrumpiert.

Der Vorwurf endemischer Korruption wird im Verhältnis zwischen den westlichen Industriestaaten und den Ländern des Südens vor allem dazu eingesetzt, Druck auf Regierungen auszuüben, die die Maßgaben der kapitalistischen Globalisierung nicht beflissen genug erfüllen. Als wichtiger Parameter für die Beurteilung der Funktionsfähigkeit von Staaten trägt das Ausmaß der Korruption zu der Bewertung bei, ob es sich bei dem Objekt der Evaluation um einen schwachen oder gar gescheiterten Staat handelt. Bei einer derartigen Diagnose und dem Hinzukommen anderer Faktoren wie etwa einer antiwestlichen Bündnispolitik können Maßnahmen ergriffen werden, die von bilateralen Sanktionen bis hin zu ausgewachsenen militärischen Interventionen reichen.

Zur Sicherung der wirtschaftlichen Einflußnahme auf die Länder des Südens sind berechenbare Geschäftsbedingungen unerläßlich. Ihre Regierungen haben sich an die Regeln des Spiels zu halten und dafür zu sorgen, daß die Korruption keine Ausmaße annimmt, die über die in westlichen Industriestaaten üblichen Praktiken hinausgehen. Es handelt sich um ein ausschließlich formales Kriterium nach Maßgabe der Good Governance, bei deren Attestierung elementare Fragen, die die Versorgung der Bevölkerung betreffen, von weit geringerer Bedeutung sind. Daß in Afghanistan mindestens ein Drittel der Menschen hungert, ist kein Ergebnis von Korruption, sondern der kriegerischen Zerrüttung des Landes, an der die NATO-Staaten aktiven Anteil haben. Dennoch verlangt Brown von Karzai nicht etwa, die Lebensbedingungen seiner Bevölkerung zu verbessern, sondern die administrativen Prozesse auf westlichen Standard zu bringen.

Wenn in einem Land weitgehende Rechtssicherheit besteht, wenn Investitionen in seine Wirtschaft ohne großen bürokratischen Aufwand getätigt werden können, wenn das Steuerrecht Kapitalinteressen begünstigt und die Handelsbilanz Vorrang vor der Daseinsvorsorge hat, wenn die Regierung zu Lasten der eigenen Handlungsfreiheit weitreichenden Investitionsschutz gewährt, dann erfüllt sie die Bedingungen guten Regierungshandelns. Wie die Bevölkerung damit lebt, daß ihre Volkswirtschaft auf die Bedingungen der kapitalistischen Globalisierung und internationalen Arbeitsteilung getrimmt wird, ist nicht von Belang, so lange den handelspolitischen und geostrategischen Interessen der Staaten Genüge getan wird, die die Praktiken und Normen der globalen Ordnungspolitik definieren.

Natürlich behaupten Regierungen und NGOs, daß ein mittelbarer Zusammenhang zwischen Korruptionsbekämpfung und Sozialindikatoren besteht. Das ist nicht falsch, entspricht in der Verabsolutierung der Bestechlichkeit zum zentralen Hemmnis staatlicher Entwicklung jedoch dem hinlänglich widerlegten neoliberalen Glaubenssatz, daß man dem Kapital nur genügend Freiheit lassen muß, um ein Wirtschaftswachstum zu generieren, von dem dann auch die Benachteiligten profitieren. Das Problem der Ungleichheit der sozialökonomischen Ausgangsbedingungen, der auf Privateigentum basierenden kapitalistischen Wirtschaftsweise wird auf den Kopf gestellt, um ein bloßes Symptom in den Stand eines kausalen Faktors erheben zu können.

Daß Regierungsbeamte und Staatsbedienstete die Hand aufhalten, wo sie nur können, wenn ihnen von ausländischen Investoren oder Besatzern vor Augen geführt wird, daß der größte Räuber den besten Schnitt macht, kann nicht erstaunen. Das gilt um so mehr, wenn die globale Überlebenskonkurrenz mit embargopolitischen Mitteln zur Erpressung einer Regierung und Bevölkerung eingesetzt wird, wie es etwa bei der langjährigen Aushungerung der Menschen im Irak versucht wurde. Daß die US-Regierung bei der Eroberung des Landes irakische Offiziere bestach und den sunnitischen Widerstand gegen die Besetzung mit Millionensummen auf ihre Seite zog, gilt bezeichnenderweise nicht als Korruption.

In der Drogenökonomie Afghanistans fungieren die dort erwirtschafteten Gelder als integraler Bestandteil einer Kriegswirtschaft, von der alle beteiligten Parteien profitieren. Dies gilt nicht nur für Drogenbarone aus dem Umfeld Karzais oder Widerstandsgruppen, die ihre Waffen mit den Profiten aus dem Opiumhandel finanzieren. Die US-Regierung hat niemals Probleme damit gehabt, die Sachwalter ihrer Interessen in inneren Konflikten mit Narkodollars zu bestechen. Sie hat im Rahmen der Subversionsstrategien, mit denen sie demokratische Entwicklungen in sozialistischen Staaten Lateinamerikas torpedierte, immer wieder Drogengelder zur Finanzierung ihrer einheimischen Fußtruppen verwendet. Um sich regionale Warlords gewogen zu halten, ignorieren auch die NATO-Truppen anderer Staaten die Drogengeschäfte ihrer afghanischen Verbündeten.

Wenn ein Politiker wie Karzai zu sehr gegen die Interessen seiner Schutzmacht handelt, dann werden plötzlich Vergehen beim Namen genannt, die man jahrelang zum eigenen Nutzen toleriert hat. Einem Land wie Afghanistan die Modernisierung der kapitalistischen Marktwirtschaft aufzuoktroyieren und sich darüber zu beklagen, daß seine Eliten die Maximierung des Raubprinzips mitvollziehen, kann nur als Aufforderung verstanden werden, sich bei der Sicherung der eigenen Interessen gefälligst an die Kolonialherren zu halten, die ihre Taschen viel eleganter und unauffälliger füllen.

Wenn Korruption in Zonen unterentwickelter staatlicher Ordnung den Charakter offenen Raubes annimmt, dann tritt darin tatsächlich ein Entwicklungsrückstand gegenüber den administrativ hochorganisierten Gesellschaften des Westens zutage. So könnte man die dort erfolgte Sozialisierung der Kosten, die das finanzkapitalistische Akkumulationsregime erzeugt hat, als Korruption in höchster Potenz bezeichnen, werden damit doch die Interessen der Profiteure befriedigt, die das Debakel zu verantworten haben, während Menschen, die nichts als ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben, mit dem ihnen abgepreßten Mehrwert ein sie unverhohlen benachteiligendes System aufrechterhalten müssen.

Die systemische Begünstigung von Kapitalinteressen und die daraus resultierende soziale Polarisierung ist keineswegs das Ergebnis demokratischer Willensbildung. Wer bejaht schon eine Gesellschaftsordnung, in der eine kleine Minderheit über Vermögen und Privilegien verfügt, von der die große Mehrheit nur träumen kann, wenn er nicht dieser Minderheit angehört oder in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihr steht? Deren vielfältige Begünstigung entspringt einem komplexen System der Herrschaftsicherung, in dem Politiker täglich Entscheidungen treffen, die sich bei genauer Analyse der dabei zur Geltung gelangenden Faktoren als von persönlicher Vorteilsnahme korrumpiert erweisen. Den Tatvorwurf der Korruption nicht systemantagonistisch entufern zu lassen, sondern systemkonform zu instrumentalisieren ist die Aufgabe eines insbesondere von NGOs getragenen Reformkapitalismus, der Raubinteressen unter dem Vorwand sichert, sie bekämpfen zu wollen.

10. November 2009