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RAUB/0914: Lohnabhängige und Erwerbslose sollen mit Kapitalmacht kollaborieren (SB)



Die Weltwirtschaftskrise mit der Deckelung und Erfolgsabhängigkeit von Managerboni zu bewältigen und dabei nicht einmal zu einer Übereinkunft zu gelangen dient der allgemeinen Irreführung, mit der die systemischen Grundlagen kapitalistischer Verwertung geschützt werden sollen. Lange vor der nicht mehr zu leugnenden Aktualisierung der Finanzkrise beim Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers wurde in der Bundesrepublik eine Debatte um Neid und Gier, um den Neid normaler Lohnarbeiter auf das einkommenstarke Spitzenpersonal der Wirtschaft und dessen Gier nach immer mehr, geführt. Ausgeklammert aus diesem moralischen Besserungsdiskurs wurden große Kapitaleigner, die wie selbstverständlich "das Geld für sich arbeiten lassen", so daß der im Mittelpunkt dieses Streits stehende Klassenwiderspruch nur zu erahnen war.

Die mit den Ergebnissen des Treffens der Finanzminiser der G20-Staaten bestätigte Weigerung der Regierungen, dem Kapital, wie vielfach gefordert, wirksame regulatorische Zügel anzulegen, ist in deren Verständnis so rational, wie das Theater um die Auswüchse der neofeudalistischen Bourgeoisie Blendwerk für das vermeintlich dumme Volk ist. Wie die nach Kräften geschürte Hoffnung auf einen neuen Zyklus finanzkapitalistischer Akkumulation belegt, wehrt man sich mit Händen und Füßen dagegen, die Geschäfte der Investmentbanken zu erschweren, weil sie die aussichtsreichste Möglichkeit einer Restauration des Kapitalismus überhaupt sind. Dessen Krise ist Folge seiner Akkumulationspraxis, die Produktivität auf Kosten der menschlichen Arbeit zu steigern und sich damit seiner eigenen Reproduktion zu berauben, und nicht des Fehlverhaltens gieriger Manager, wie deren moralische Geißelung glauben machen will.

Mit der Durchsetzung einer wirksamen grenzüberschreitenden Finanzmarktaufsicht, einer die überschuldeten Staatshaushalte refinanzierenden Kapitalertragssteuer und der Erhöhung des Eigenkapitalanteils der Banken kann die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft nur auf sehr viel schmalerer Basis bewerkstelligt werden. In Anbetracht der herrschenden Machtverhältnisse ginge dies vor allem zu Lasten derjenigen, die am wenigsten Einfluß haben, der Leistungsempfänger und Lohnabhängigen. Die Forderung nach mehr Regulation muß Investoren und Kapitalrentiers keineswegs schaden, war doch der Finanzmarkt stets Ergebnis politischer Entscheidungen, mit denen der Staat den Rahmen kapitalistischer Vergesellschaftung setzte. "Nachhaltige" Regulierung fordert auch der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann und hebt damit auf nichts anderes als die Qualifikation kapitalistischer Verfügungsgewalt im Sinne der weiteren Konzentration der Kapitalmacht und der Zementierung einer materiellen Ordnung des Oben und Unten ab.

Was bei Ackermann zu Lasten der hiesiger Lohnabhängiger gehen soll, kann bei sozialreformerischen Ansätzen, eine Akkumulationspraxis zu bändigen, die dazu tendiert, die Grundlagen der eigenen Produktivität zu gefährden, international organisiert werden, so daß hierzulande sozial gerechter wirkt, was anderswo mit mehr Hunger und Not erkauft wird. Generell gilt, daß auf einer schmaleren, die Knappheit der Ressourcen ebenso wie den Klimawandel und die Maßnahmen zur militärischen Abwehr der Hungerleider einpreisenden Basis Mangel im großen Stil verteilt und Wohlstand in wenigen Händen gebildet wird.

So macht sich das Gros der Bundesbürger die Logik des Kapitals zu eigen, den Erhalt gefährdeter Arbeitsplätze durch noch mehr Zugeständnisse zu ermöglichen, um im Zweifelsfall doch kalt geschaßt zu werden. Menschen, die nichts als ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben, lassen sich vom propagierten Primat haushaltspolitischer Solidität einschüchtern, obwohl es längst durch die legale Praxis einer vielfachen Überschuldung der Banken zum Zwecke der Profitmaximierung gebrochen ist. Wo der kleine Schuldner mit dem Entzug materieller Leistungen für seine Säumigkeit bestraft wird, kann der große Schuldner seine Kapitalmacht mit Staatshilfe restaurieren und in diesem Verlauf so reorganisieren, daß er aus der Krise sogar mit neuer oligopolistischer Macht gestärkt hervorgeht.

Nur aus diesem Grund wird mit der Skandalisierung eines "Promiessens" im Bundeskanzleramt der Eindruck erweckt, die Politik sei rechenschaftspflichtig für die Bevorteilung von Kapitalinteressen. Das steht ihr kurz vor einer Wahl, die diesen bestenfalls im kaum möglichen Fall gefährlich werden könnte, daß eine Außenseiterpartei wie die Linke überraschend zu absoluter Mehrheit gelangte, gut zu Gesicht. Dem gedeihlichen Zusammenwirken von Staat und Kapital tut dies jedoch keinen Abbruch. Während der für den Bürger nachvollziehbare Horizont einer durch den Magen gehenden Vorteilsnahme ausgeleuchtet wird, bleibt die Kodifizierung einer "Systemrelevanz", die die Unentbehrlichkeit der Kreditinstitute für die Produktivität der Wirtschaft unterstellt, im Dunkeln.

Sozialistische Alternativen werden trotz der Diskreditierung des herrschenden Akkumulationsregimes unter Verweis auf die unabdingliche Notwendigkeit, in dieser Welt ökonomische wie militärische Stärke gegenüber konkurrierenden Nationalstaaten zu zeigen, als unseriös und gefährlich gebrandmarkt. Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, warnt aus gutem Grund davor, jetzt in nationalstaatliches Denken zurückzufallen. Statt dessen soll der globale Kapitalmarkt mit einem weltweit gültigen Regelwerk versehen werden, zu dessen Abstimmung die politischen Prozesse in der EU und den USA enger miteinander verzahnt werden müßten, so Ackermann. Für die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung wäre eine Einschränkung der Globalisierung der Finanzwelt Gift, daher dürfe man nicht in Zeiten "fragmentierter Märkte mit den damit verbundenen Wohlfahrtseinbussen für alle Bürger, nicht nur für Banken" zurückfallen (Neue Zürcher Zeitung, 04.09.2009).

Der von Ackermann verteidigte globale Ordnungsrahmen ist die sicherste Gewähr dafür, daß einzelne Staaten nicht aus dem Zwangsverbund der Marktdoktrin ausscheren und eigenständige volkswirtschaftliche Konzepte unter Einschränkung und Ausschluß privater Kapitalmacht entwickeln. Werden die gesellschaftlichen Verwertungsbedingungen auf der maßgeblich von den USA und der EU kontrollierten supranationalen Ebene bestimmt, dann riskiert jeder Staat, der einen eigenen Weg einschlägt, Zwangsmaßnahmen, die von der Benachteiligung bei der Kreditvergabe über direkte ökonomische Sanktionen bis zur militärischen Intervention reichen können. Ackermann fordert Handels- und Investitionsbedingungen, die denjenigen Gesellschaften nützen, in denen das Gros des globalen Finanzkapitals konzentriert ist und die mit diesem Mittel ein Niveau des Ressourcenverbrauchs erreicht haben, das sie unter der Bedingung konventioneller Warenproduktion längst nicht mehr halten könnten. Mit dem Verweis auf den überkommenen Charakter nationalstaatlichen Denkens gibt er sich fortschrittlich, um vergessen zu machen, daß der Raubzug transnationaler Kapitale auf der Basis imperialistischer Nationalstaaten organisiert wird.

Hier schließt sich der Kreis zur breiten Akzeptanz der offensichtlichen Bevorteilung von Kapitalinteressen in den westlichen Industriestaaten. Man lernt, daß das kleine Almosen auf dem Tisch immer noch mehr ist als der Lehmkeks in der Hand des haitianischen Kindes, die nichtvorhandene Notration in den Hungergebieten Kenias oder der nach Afghanistan gelieferte Reissack, mit dem sich die Besatzer das Stillhalten der einheimischen Bevölkerung erkaufen. Anstatt gegen die mit politischer Dezision und repressiver Gewalt durchgesetzte Ungleichheit nicht nur dieser Gesellschaft, sondern in aller Welt aufzustehen, sollen Arbeiter, Angestellte und Leistungsempfänger für den Lohn eines abgemagerten Klassenkompromisses mit einer globalen Raubordnung kollaborieren, in der sie sich noch auf der Seite der Privilegierten wähnen können. Da sich dieses Verhältnis ständig weiter zu ihren Ungunsten verschiebt, verlegen sie sich auf das Prinzip Hoffnung und warten ab, was die weitere Entwicklung so bringen wird.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn im ersten Schritt gefragt würde, wer die Regeln setzt und wem sie nützen. Der mit der milliardenschweren Alimentation der Banken zu Lasten der Steuerzahler bestätigte Vorrang des Geldgeschäfts über die sogenannte Realwirtschaft, in der die Rettung klammer Unternehmen sehr viel weniger politische Unterstützung findet als im Falle angeblich systemrelevanter Banken, belegt einen strukturellen Widerspruch, der für zu fremdbestimmter Arbeit genötigte und zu Dankbarkeit für schlecht entlohnte, prekäre Arbeitsplätze verpflichtete Menschen inakzeptabel sein sollte. Dieses Gewaltverhältnis nicht nur auf diese Gesellschaft zu beziehen, sondern als Gegenentwurf zur Neuen Weltordnung westlicher Kapitalinteressen in Stellung zu bringen, verlangt allerdings, über den Tellerrand eigener Überlebensinteressen hinauszublicken und den sozialdarwinistischen Charakter kapitalistischer Vergesellschaftung grundlegend zu verwerfen.

7. September 2009