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PROPAGANDA/1516: Sigmar Gabriel - nicht anders als früher ... (SB)



Ich finde es schlimm, dass sofort der Generalverdacht entsteht, man würde sozusagen seine Seele verkaufen, wenn man nach dem Ende seiner politischen Laufbahn eine Aufgabe in der Wirtschaft wahrnimmt. Ich jedenfalls werde auch in Zukunft nicht anders denken und handeln als vorher.
Sigmar Gabriel in Verteidigung seines Wechsels zur Deutschen Bank [1]

Was hat Sigmar Gabriel nur getan oder besser gesagt vor, daß ihm ein Kreuzfeuer geharnischten Protests um die Ohren fliegt? Sein geplanter Wechsel in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank ist doch zumindest recht unterhaltsam, was man von der neuen Führung der SPD eher nicht sagen kann. Und daß er sich mit seinen 60 Jahren nicht auf die faule Haut legt, sondern nach der Devise, auch private Altersvorsorge ins Auge zu fassen, um später nicht am Hungertuch zu nagen, noch etwas dazuverdient, ist doch lobenswert. Welche Jobs sollen denn langgediente Spitzenpolitiker nach Ende ihrer parlamentarischen Laufbahn annehmen dürfen, fragt Gabriel: "Sie sollen keine vorzeitigen Pensionen beziehen, sie sollen nicht zu Lobbyisten werden und eigentlich sollen sie auch nicht in die Wirtschaft gehen. Was denn dann?" [2] Das ist schon ein Dilemma, zumal für einen Mann seiner Talente, die nicht in einer Allerweltstätigkeit vergeudet, sondern weiterhin in den Dienst der Gesellschaft gestellt werden sollten.

Geldgier kann man ihm gewiß nicht unterstellen, denn wie der ehemalige Parteivorsitzende selbst versichert, sei das mitnichten sein Motiv. Er habe sein Bundestagsmandat im November 2019 aus "sehr persönlichen Gründen" abgegeben. "Wenn es mir ums Geld gehen würde, hätte ich vor ein paar Wochen das Angebot annehmen müssen, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie zu werden. Das wäre ein Vielfaches dessen gewesen, was ein normales Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank erhält", unterstreicht Gabriel. Statt dessen bescheidet er sich mit der spartanischen jährlichen Grundvergütung von 100.000 Euro, die er in seiner künftigen Position ausweislich des Geschäftsberichts der Deutschen Bank erhält. Für die Mitgliedschaft in einem Ausschuß des Kontrollgremiums könnten weitere 50.000 bis 100.000 Euro als Zubrot hinzukommen, der Vorsitz eines Ausschusses wird mit 100.000 beziehungsweise 200.000 Euro vergütet. Der Vorsitz des Aufsichtsrats wäre dann schon wesentlich lukrativer, sei aber kein Thema, heißt es.

Gemessen an den 643 Gehaltsmillionären, die bild.de bei der Deutschen Bank entdeckt haben will [3], sind Gabriels bescheidene Einkünfte vorerst ein Pappenstiel. Dennoch sollten ihn zumindest keine akuten finanziellen Engpässe plagen, zumal er gegenwärtig unter anderem auch noch Vorsitzender des Vereins Atlantik-Brücke sowie Autor beim Holtzbrinck-Verlag ist. Davon abgesehen hat er sich seinen künftigen Job gar nicht selber ausgesucht, sondern wurde berufen. Seiner Darstellung zufolge hat ihn Aufsichtsratschef Paul Achleitner Ende vergangenen Jahres angesprochen. Dann habe es Gespräche im Aufsichtsrat und mit wichtigen Anteilseignern gegeben. Vor einer Woche habe ihm Achleitner dann per Telefon mitgeteilt, daß es Zustimmung für ihn gebe. Nachdem ihn die Deutsche Bank nun offiziell für ihr Kontrollgremium nominiert hat, soll er zunächst vom Amtsgericht bestellt werden und sich bei der Hauptversammlung des Frankfurter Dax-Konzerns am 20. Mai den Aktionären zur Wahl stellen.

Mit rechtlichen Problemen muß Gabriel nicht rechnen, da das Bundesministergesetz lediglich vorsieht, daß Mitglieder der Bundesregierung innerhalb der ersten 18 Monate nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt eine Erwerbstätigkeit oder sonstige Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes anzeigen müssen. Nachdem es in solchen Fällen immer wieder heftige Kritik gegeben hatte, beschloß das Kabinett die Einführung von sogenannten Karenzzeiten und im Juli 2015 trat das Gesetz in Kraft. Den letzten Anstoß dazu hatten Diskussionen um Daniel Bahr (FDP) und Ronald Pofalla (CDU) gegeben. Der ehemalige Gesundheitsminister Bahr war in den Vorstand der Allianz gewechselt. Pofalla, der frühere Chef des Bundeskanzleramts, ging zur Deutschen Bahn.

Die Regierung hatte mit dem Beschluß eine UN-Konvention gegen Korruption umgesetzt. Werden öffentliche Interessen beeinträchtigt, kann sie die Beschäftigung für die Dauer von einem Jahr, in Ausnahmefällen bis zu 18 Monate, untersagen. Für die Dauer der Karenzzeit haben die Regierungsmitglieder Anspruch auf Übergangsgeld. Ob ein Interessenkonflikt besteht, muß eine dreiköpfige Ethik-Kommission prüfen, die 2016 eingesetzt wurde. Eine Reihe von Bundesländern hat für die Landespolitikerinnen und -politiker ähnliche Vorschriften eingeführt, andere diskutieren noch darüber. [4]

Gabriel ist auch in dieser Hinsicht aus dem Schneider und bekanntlich nicht der einzige namhafte Politiker, den es in die Wirtschaft verschlagen hat. Zu nennen wären neben den bereits erwähnten Bahr und Pofalla unter anderem von der CDU Lothar Späth (Jenaoptik), Roland Koch (Großbank UBS und Baukonzern Bilfinger Berger), Hildegard Müller (VDA), Stefan Mappus (Pharmakonzern Merck), Eckhardt von Klaeden (Daimler AG), Franz Josef Jung (Rheinmetall), Dieter Althaus (Magna) und Stanislaw Tillich (Mibrag). Von der CSU Ludwig-Holger Pfahls (Daimler AG, später in Belgien) und Otto Wiesheu (Deutsche Bahn). Von der FDP Martin Bangemann (Telefónica, später Hunzinger Information AG) und Dirk Niebel (Rheinmetall). Vertreten sind auch die Grünen mit Gunda Röstel (Eon-Tochter Gelsenwasser AG, später EnBW) und Rezzo Schlauch (EnBW). Und nicht zuletzt die SPD mit Alfred Tacke (Steag), Hannelore Kraft (RAG) sowie allen voran Gerhard Schröder (Nordstream AG).

Ist Gabriel also nur einer unter vielen und damit gewissermaßen ein Normalfall oder macht das die Sache um so schlimmer? Kann man ihn auf eine Stufe mit Friedrich Merz stellen, den mutmaßlich künftigen BlackRock-CDU-Kanzler? Mitnichten meint der ehemalige Vizekanzler, Außen-, Wirtschafts- und Umweltminister, sei er doch nie in einem politischen Amt für die Deutsche Bank zuständig gewesen. "Die Deutsche Bank will wieder Ausdruck von Solidität werden und dabei gleichzeitig ihre globale Aufstellung behalten", lobt Gabriel. Eine solche geänderte Strategie könne man "doch guten Gewissens unterstützen". Mit dieser Auffassung stünde er im Aufsichtsrat nicht allein, begrüßt doch auch der frühere Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, der dem Gremium für die Arbeitnehmerseite angehört, die geplante Berufung Gabriels. "Vor dem Hintergrund seiner internationalen Erfahrung und Vernetzung wie auch seiner Expertise in Nachhaltigkeitsfragen kann der Einsatz von Sigmar Gabriel eine sinnvolle Ergänzung des Aufsichtsratsgremiums sein." Na bitte! Zwar wirft die dem Genossen attestierte Nachhaltigkeit verwunderte Fragen auf, aber vielleicht meint Bsirske einfach nur, daß Gabriel immer wieder auf die Füße fällt. Wenn ein Vorzeigegewerkschafter grünes Licht gibt, der den Sessel im Aufsichtsrat mit eigenem Sitzfleisch inspiziert und für gut befunden hat, sollte Entwarnung angesagt sein.

Dieser Auffassung ist jedenfalls ein Kommentator der Süddeutschen Zeitung, der geradezu euphorisch verkündet, Gabriel dürfe zur Deutschen Bank gehen, ja er sollte es sogar. Das sei gut für ihn persönlich, da man ihm den interessanten, hochbezahlten Job nicht neiden sollte. Gut für die Deutsche Bank, weil sie von seiner Erfahrung und Persönlichkeit profitieren werde. Gut für die Gesellschaft, weil eine funktionierende Großbank gut fürs Land sei. Aha. Der Politiker Gabriel habe die Gier der Banker seinerzeit gegeißelt und könne heute darauf verweisen, daß seine damalige Kritik inzwischen auf die größte deutsche Bank nicht mehr zutrifft. [5]

Nicht ganz so lustig, aber ebenfalls pro Gabriel argumentiert der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle: "Die Frage ist, will man Leute wie Gabriel bis zur Rente durchalimentieren, oder gestattet man ihnen, einer Tätigkeit nachzugehen?" Zudem sei es ein Unterschied, ob man für Gazprom oder die Deutsche Bank tätig werde. Die SPD sollte beherzigen, daß die Deutsche Bank für viele Menschen Arbeitgeber sei. "Und sie ist der Ort, an dem viele Menschen und kleinere Betriebe ihr Erspartes liegen haben."

Das sieht die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Lisa Paus, ganz anders, die den Wechsel als "das falsche Signal zur falschen Zeit" rügt. Das klingt wunderbar sibyllinisch, zumal offenbleibt, was wohl richtige Signale zur richtigen Zeit sein mögen. Eher fachliche Zweifel meldet Klaus Niedung von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) an: "Herr Gabriel ist sicher nicht der absolute Experte im Bereich der Finanzindustrie." Der Sozialdemokrat bringe zwar ein gewisses Netzwerk mit, für die Bank sei er inhaltlich aber "doch nicht ganz der richtige". Macht das nicht die Debatte erfrischend blumig, daß jeder freiweg spekulieren darf, wofür die Deutsche Bank das politische Schwergewicht haben will?

Kommen wir zur SPD. Die fürchtet offenbar angesichts dieses Karriereschritts ihres ehemaligen Vorsitzenden einen weiteren Ansehensverlust und hält sich eher bedeckt. Der Juso-Vorsitzende und Parteivize Kevin Kühnert kommentiert die Personalie immerhin mit einem Verweis auf die Kunstsammlung im Willy-Brandt-Haus. Bei Twitter verbreitet er ein Bild des Siebdrucks "Letzte Warnung an die Deutsche Bank - Beim nächstenmal werden Namen und Begriffe genannt" von Joseph Beuys. Deutlicher wird Cansel Kiziltepe, stellvertretende finanzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion: "Sigmar Gabriel ist kein Bankenexperte. Er wurde offenbar in den Aufsichtsrat berufen, damit seine politischen Kontakte der Deutschen Bank nutzen. Dafür zahlt sie fürstlich." Gabriel habe die SPD nicht gerade in goldene Zeiten geführt. "Ein ehemaliger Vorsitzender der SPD sollte das nicht tun. Er beschädigt die Glaubwürdigkeit der SPD", kritisiert sie.

Und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Fabio De Masi, bekräftigt: "Wenn Politiker nach kurzer Zeit in Unternehmen wechseln, die von ihren politischen Entscheidungen direkt betroffen waren, drohen immer Interessenkonflikte. Wir brauchen strengere Abkühlphasen in der Politik und Politiker, die nicht vergessen, wo sie herkommen."

Sind wir damit beim springenden Punkt? Beschädigt Gabriel die Glaubwürdigkeit der SPD, weil er sich den falschen Posten ausgesucht hat und darüber vergißt, wo er herkommt? Moralische Kategorien machen sich gut fürs Publikum, unterschlagen aber geflissentlich ihr stillschweigend vorausgesetztes Fundament. Zum einen bleibt offen, welche Glaubwürdigkeit die SPD denn noch zu verlieren hätte, zum anderen ist eher nicht anzunehmen, daß Gabriel seine Herkunft vergessen hat. Wenn er wie eingangs zitiert versichert, er verkaufe seine Seele nicht, da er auch in Zukunft nicht anders denken und handeln werde wie bisher, dürfte er den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Ohne deswegen eine "Abkühlphase" in Abrede zu stellen, bleibt doch die in der aktuellen Debatte unterstellte saubere Trennung von Politik und Wirtschaft eher ideologische Fiktion als trittsichere Grenzziehung. Sigmar Gabriel wechselt nicht die Seiten, sondern setzt seine alte Linie in neuer Funktion fort.


Fußnoten:

[1] www.tagesspiegel.de/wirtschaft/sigmar-gabriel-reagiert-auf-kritik-ex-spd-chef-verteidigt-wechsel-in-aufsichtsrat-der-deutschen-bank/25473808.html

[2] www.handelsblatt.com/dpa/wirtschaft-handel-und-finanzen-gabriel-gehe-nicht-des-geldes-wegen-zur-deutschen-bank/25474444.html

[3] www.bild.de/bild-plus/geld/wirtschaft/wirtschaft/deutsche-bank-643-mitarbeiter-bekommen-millionengehalt-67568174,view=conversionToLogin.bild.html

[4] www.sueddeutsche.de/politik/gabriel-wechsel-lobbyismus-1.4770238

[5] www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sigmar-gabriel-deutsche-bank-1.4772035

27. Januar 2020


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