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PROPAGANDA/1492: Mark Zuckerberg hat eine Weltidee (SB)



Mark Zuckerberg ist nun Ehrendoktor der renommierten Harvard-Universität. Er studierte dort Informatik und Psychologie, galt als Außenseiter mit wenigen sozialen Kontakten, brachte im Februar 2004 Facebook an den Start - zunächst lediglich als Netzwerk für Harvard-Studenten, später kamen weitere Universitäten hinzu. Im Herbst 2005 verließ er die Hochschule ohne Abschluß, um sich voll und ganz auf das rasant wachsende Facebook zu konzentrieren. Heute tummeln sich rund 1,9 Milliarden Nutzer in dem sozialen Netzwerk, an der Börse ist der Konzern 440 Milliarden US-Dollar wert, Zuckerberg gehört laut der Forbes-Liste 2017 mit einem geschätzten Vermögen von 56,7 Milliarden US-Dollar zu den sechs reichsten Menschen der Welt. Zwölf Jahre, nachdem er das letzte Mal einen Seminarraum von innen gesehen hatte, hielt der 33jährige die Abschlußrede des Jahrgangs 2017 an seiner ehemaligen Universität, die ihm zudem die Ehrendoktorwürde verlieh.

Daß sich elitäre akademische Kaderschmieden auf diese Weise mit Geld, Glanz und Geschäftserfolg garnieren ist Usus, wobei studentische Leistungen das geringste Problem sind. Zuckerberg ist nicht der erste große Name, der sein Studium in Harvard geschmissen hat. Auch Bill Gates, Microsoft-Gründer und laut Forbes reichster Mensch der Welt, verließ Harvard 1975 nach zwei Jahren, um mit Paul Allen zusammen Microsoft zu gründen. Vor fast genau zehn Jahren erhielt er die Ehrendoktorwürde in Harvard. Im vergangenen Jahr hielt der Regisseur Steven Spielberg die Rede und bekam eine Auszeichnung, obwohl er diese Universität nie besucht hat.

Interessanter ist da schon die Begründung seitens Harvard-Präsidentin Drew Faust, die man auf der Webseite der Hochschule nachlesen kann. Wie es dort ohne erkenntliche Ironie heißt, habe Mark Zuckerberg die Natur des sozialen Zusammenlebens weltweit tiefgreifend verändert. Nur wenige Erfindungen könnten mit dem Einfluß konkurrieren, den Facebook auf die Art und Weise menschlicher Interaktion hat. Und nur wenige Individuen könnten es mit Zuckerbergs Willen, die Welt mit Hilfe von Technologie zu verändern, aufnehmen, heißt es weiter. Er sei der 366. Jahrgangssprecher in der Geschichte der Universität. [1]

Obgleich die heiligen Hallen der uralten Alma mater nicht im eigentliche Sinn das wissenschaftliche Sprungbrett abgaben, von dem aus sich die bahnbrechenden Geschäftsideen in die Welt katapultierten, um eine neue Runde ungeahnter Kapitalverwertung einzuläuten, waren sie doch der Sumpf, aus dem solche Blüten trieben. Wenn dann eine Hand die andere wäscht und in der Rückschau aus Erfolgsperspektive der Triumpf des Willens Urstände feiert und das Hohe Lied zeitgenössischen amerikanischen Gründergeistes singt, paßt an der reichsten Hochschule des Landes irgendwie alles zusammen.

Was hat Mark Zuckerberg den Absolventen mit auf dem Weg ins Leben gegeben, wie es ja seine Aufgabe als Abschlußfeierredner war? Er hat natürlich nicht von der verelendenden Gesellschaft, miesen Berufsperspektiven, der brachialen Demontage letzter sozialer Netze, aufblühendem Rassismus und Chauvinismus samt Polizeigewalt und Kriegsführung gesprochen, wozu er auch nicht eingeladen worden und an dieser Produktionsstätte herrschaftsrelevanter Karrieren fehl am Platz gewesen wäre. Als Mitgründer und treibende Kraft eines Geschäftsmodells, das den Kunden die eigene soziale Entblößung als ihren ureigensten Wunsch und unbegrenzten Kontakt mit ihresgleichen verkauft, wußte er seine ebenso banale wie irreführende Botschaft - macht's so wie ich - als visionär verbrämte Botschaft freiwilliger Unterwerfung unter die Zwänge innovativer Vergesellschaftung anzupreisen, als deren technologiegestützter Vor- und Weiterdenker er sich versteht.

"Seien wir ehrlich, ihr habt etwas erreicht, das ich niemals konnte. Wenn ich es durch diese Rede heute schaffe, wird es das erste Mal sein, dass ich tatsächlich etwas fertig bekommen habe hier in Harvard" [2], kokettierte er eingangs mit dem fast schon obligatorischen Rachescherz der IT-Platzhirsche, die ihr früheres Scheitern zum Glücksfall und Voraussetzung ihres unternehmerischen Aufstiegs verklären. Dann ging's zur Sache, machte sich Zuckerberg doch in seiner Dankesrede daran, die eher dümmliche Frage, was einen erfolgreichen Unternehmer ausmacht, gewissermaßen zu toppen:

Ich bin heute hier, um über Zweck zu sprechen. Aber ich bin nicht hier, um euch die Standardrede darüber zu halten, wie ihr euren Zweck findet. Wir sind Millenials. Wir werden das instinktiv versuchen. Stattdessen bin ich hier, um zu sagen, dass es nicht reicht, wenn ihr euren Zweck gefunden habt. Die Herausforderung unserer Generation ist es, eine Welt zu schaffen, in der sich jeder gebraucht fühlt. [3]

Utilitarist bis ins Mark, setzt Zuckerberg wie selbstverständlich als erstrebenswertesten Lebensinhalt voraus, den "Zweck" zu suchen und zu finden, den er kurzerhand zu einer Art persönlicher Eigenschaft oder Errungenschaft erklärt, ohne eine Gedanken an den fremdbestimmten und überantwortenden Charakter dieser Kategorie zu verschwenden. Den Zweck zu finden, reiche aber nicht aus, treibt er sein Publikum zu einer Weltsicht an, in der es nicht auf die Welt, sondern die Sicht ankommt. Er gibt auch gleich selber ein Beispiel, was damit gemeint sein könnte, indem er begeistert den Kalauer eines Besuchs des früheren Präsidenten John F. Kennedy bei der Weltraumbehörde Nasa wiederkäut: Kennedy habe einen Hausmeister, den er dort mit einem Besen in der Hand sah, gefragt, was er gerade tue. Und der Hausmeister habe erwidert: "Herr Präsident, ich helfe mit, einen Mann auf den Mond zu bringen."

Falls diese Anekdote nicht ohnehin frei erfunden sein sollte, paßt sie jedenfalls wunderbar in Kennedys Credo an die Adresse eines aufbruchresistenten Amerika: Frage nicht, was dein Land für dich tut, sondern was du für sein Land tun kannst! Das hat in damaligen Zeiten des Kalten Krieges ja dann auch insofern funktioniert, als das Primat US-amerikanischer Größe wieder auf die Beine kam. Deshalb ist Kennedy heute ein Mythos, für den sich ein Mark Zuckerberg zwecks Unterfütterung derselben Botschaft in neuem Gewand begeistern kann.

Ein "Zweck" sei das Gefühl, "Teil von etwas zu sein, das größer ist als wir selbst". Ein "Zweck" sei, was wirklich glücklich mache, läßt Zuckerberg seine Zuhörerschaft wissen, wobei die diesbezügliche Herausforderung gegenwärtig besonders groß sei. Während sich nämlich der eigene Zweck in vorigen Generationen noch verlässlich etwa aus dem eigenen Arbeitsplatz, der Kirche oder Gemeinschaft ergeben habe, sei dies nun ganz anders. Ein Grund dafür sei der technische Fortschritt und die Automatisierung, die viele Arbeitsplätze überflüssig gemacht habe.

Daß sein Unternehmen ganz wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen hat, von der auch er persönlich maßlos profitiert, hält er für keiner besonderen Erwähnung wert. Schließlich läßt sich der Fortschritt, so wie er ihn sieht, nicht aufhalten. Als genuiner IT-Kapitalist hat er altbackende Konzepte wie die Konkurrenz um Profitmaximierung samt innovativer Formen der Ausbeutung nicht in seinem Vokabular, sondern bezeichnet es als die Aufgabe seiner Generation, nicht nur viele neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern auch ein neues Gefühl des "Gebrauchtwerdens" zu etablieren. Eines, in das sich im Grunde alle Menschen einbezogen fühlen. Diesen Schluß habe er aus seinen vielen Reisen und Gesprächen mit Menschen gezogen.

Als sendungsbewußter Unternehmer erklärt Zuckerberg, daß es gut sei, idealistisch zu sein: "Aber seid darauf vorbereitet, missverstanden zu werden. Jeder, der an einer großen Vision arbeitet, wird einmal für verrückt gehalten werden, auch wenn er schlussendlich richtig liegt. Jeder, der an einem komplexen Problem arbeitet, wird kritisiert werden dafür, die Aufgabe nicht vollständig verstanden zu haben, obwohl es unmöglich ist, alles vorher zu wissen." [4]

Wie vor ihm Bill Gates und andere unverschämt reich gewordene Ikonen der Branche treibt auch Zuckerberg den Silicon-Valley-Mythos einer angeblichen Transformation in eine bessere Gesellschaft per innovativer Technologie in die höheren Sphären globaler Herausforderungen der Menschheit wie den Klimawandel oder tödliche Krankheiten hinaus, die es zu bewältigen gelte. Wie Gates legt auch er sein Vermögen krisenfest, steuerbegünstigt und mithin einträglich in Stiftungen an oder spendet nicht unerhebliche Teile seines Reichtums für wohltätige Zwecke und stiftet hochdotierte Preise.

Das macht ihn nicht arm, sondern verwandelt im Gegenteil vergängliche Aktienwerte in substantiellere Anlagen materieller und ideeller Art. So hat er denn auch eine politische Botschaft für die Absolventinnen parat, die er als den "Kampf unserer Zeit" proklamiert:

Die Kräfte der Freiheit, Offenheit und globalen Gemeinschaft gegen die Kräfte des Autoritarismus, Isolationismus und Nationalismus. Die Kräfte für die Verbreitung von Wissen, Handel und Migration gegen diejenigen, die das verzögern wollen. Das ist kein Streit zwischen Nationen, sondern einer zwischen Ideen. In jedem Land gibt es Menschen für globale Verbundenheit und gute Menschen, die dagegen sind.

Dieses flammende Plädoyer für die Geschäftsgrundlage der IT-Branche im allgemeinen und Facebook im besonderen klang sicher nicht zufällig wie ein vorgeblicher Gegenentwurf zu Trumps Amerika. Vorgeblich deshalb, weil sich der Präsident zwar noch schwer damit tut, die Friedenspfeife mit Silicon Valley zu rauchen, das seine politische Gegnerin unterstützt hat, andererseits aber durchaus weiß, daß die Branchenführer der IT-Technologie ein entscheidendes Standbein des starken Amerika sind, das er allenthalben beschwört. Was nun aber Zuckerberg betrifft, redet er mit seinen 33 Jahren bereits wie ein Mensch, der sein unternehmerisches Lebenswerk mitunter schon im Rückspiegel sieht und andere Tätigkeitsfelder als die des Vorstandsvorsitzenden, Aktionärs und Philantropen ins Auge faßt. Wie wär's mit Politiker? Jedenfalls kann man ihm ein gewisses Talent nicht absprechen, mit Glücksgefühlen zu hausieren, die angesichts dramatisch verfallender Lebensverhältnisse fast schon die Substanz einer harten Währung oder deren zugeteilten Ersatzes annehmen.


Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/vermischtes/article162663649/Harvard-wirft-Zuckerberg-Uni-Abschluss-hinterher.html

[2] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Mark-Zuckerberg-erhaelt-Ehrendoktorwuerde-der-Harvard-Universitaet-3725795.html

[3] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/facebook-chef-in-harvard-mark-zuckerberg-gibt-den-anti-trump-15033371.html

[4] http://winfuture.de/news,97841.html

26. Mai 2017


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