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PROPAGANDA/1481: Der Russe kommt ... Jazenjuk schürt deutschen Revanchismus (SB)




Der Besuch des ukrainischen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk in der Bundesrepublik hat die Behauptung grüner Spitzenpolitikerinnen und -politiker, die Regierung in Kiew sei auf demokratische Weise zustandegekommen und bestehe zum größten Teil aus Personen, die dem demokratischen Wertekonsens der Bundesrepublik verpflichtet sind, nicht eben glaubwürdiger gemacht. Am Mittwochabend stellte der Regierungschef im Interview mit den ARD-Tagesthemen nichts Geringeres als den Gründungskonsens der Bundesrepublik in Frage:

"Die russische Aggression in der Ukraine, das ist der Angriff auf die Weltordnung und auf die Ordnung in Europa. Wir können uns alle sehr gut auf den sowjetischen Anmarsch auf die Ukraine und nach Deutschland erinnern. Das muss man vermeiden und keiner hat das Recht, die Ergebnisse des zweiten Weltkrieges neu zu schreiben. Und das versucht der russische Präsident Herr Putin zu machen." [1]

Jazenjuk unterschlägt, daß die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs längst neu geschrieben wurden. Die Auflösung der Sowjetunion wurde durch die NATO-Staaten politisch und wirtschaftlich ins Werk gesetzt, um die eigene Einflußsphäre durch die Osterweiterung des Militärbündnisses bis an die Grenzen der Russischen Föderation zu treiben. Die politische Unterstützung der Sezession Jugoslawiens und der Angriff der NATO auf den verbliebenen Staat dieses Namens mit dem Ergebnis der Abtrennung des Kosovo hat den Rechtsrahmen und das Handlungsvermögen der Vereinten Nationen so wirksam außer Kraft gesetzt, daß dem Kreml alle Gründe dafür geliefert wurden, es der NATO gleichzutun. Die mögliche Aufnahme der Ukraine und anderer postsowjetischer Staaten in die NATO wird mehr oder minder offen betrieben. Das EU-Assoziierungsabkommen, das von dem gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch nicht unterzeichnete wurde, sieht zudem "die schrittweise Annäherung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)" [2], der Ukraine an die EU vor.

Die angeblich durch Rußland annektierte Krim gehörte nach der Befreiung von den deutschen Besatzern bis 1954 zur Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR), so daß Jazenjuks Behauptung, die Nachkriegsordnung sei durch die Rückkehr des Gebiets in die Russische Föderation verändert worden, kaum zutreffender sein kann als die gegenteilige Ansicht des Kreml. Die Befreiung der Ukraine durch die Rote Armee in eine Okkupation durch Rußland und die Verteidigung der Sowjetunion in eine gegen Deutschland und die Ukraine gerichtete Aggression umzudeuten, wurde hierzulande bislang als neonazistisches Gedankengut verworfen. Dies nun in einer der meistgesehenen Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens aus dem Munde eines Regierungschefs zu vernehmen, unter dessen Führung die Verehrung des ukrainischen Nazikollaborateurs Stepan Bandera zur offiziellen Gedenkpolitik erklärt wurde, das Verbot der Kommunistischen Partei betrieben und nichts gegen die neofaschistischen Banden unternommen wird, die Linke und angebliche Kollaborateure mit Rußland drangsalieren, hätte zumindest zu einer klärenden Nachfrage Anlaß gegeben.

Moderatorin Pinar Atalay enthielt sich jeder kritischen Intervention, und das zuvor aufgezeichnete Interview wurde ohne jede Stellungnahme der ARD-Redaktion zum Geschichtsrevisionismus Jazenjuks ausgestrahlt. Eine solche wäre schon deshalb angebracht gewesen, weil sich deutsche Journalisten gegenüber dem russischen Präsidenten keinerlei Zurückhaltung auferlegen, wie etwa an dem allerdings auf peinliche Weise gescheiterten Versuch des WDR-Fernsehdirektors Jörg Schönenborn im April 2013 zu studieren ist, Wladimir Putin auf den Zahn zu fühlen. Die wachsweiche Haltung deutscher Spitzenjournalisten kann in Anbetracht der Frontstellung, die deutsche Großmedien in der Auseinandersetzung zwischen NATO und Rußland eingenommen haben, nicht erstaunen und fügt sich nahtlos in die Marschrichtung der Berliner Regierung ein, den einmal erreichten Einfluß auf die Ukraine unter allen Umständen zu verteidigen. Das wird nicht besser dadurch, daß nationalchauvinistische Töne auch in Rußland an der Tagesordnung sind. Die Östliche Partnerschaft der Europäischen Nachbarschaftspolitik, die der abgewirtschafteten Ukraine keinen Beitritt zur EU gewähren, sie jedoch auf ordnungspolitischer, wirtschaftlicher und auch militärischer Ebene deren Interessen unterwerfen soll, hat maßgeblich dazu beigetragen, daß nationalistische Kräfte auf beiden Seiten Auftrieb haben.

Roß und Reiter beim Namen zu nennen, anstatt mit dem Finger auf Putin zu zeigen und das Treiben ukrainischer Neofaschisten, die das Heft des Handelns mit ihrer von den ukrainischen Oligarchen finanzierten Waffengewalt und ihren Seilschaften in der Kiewer Regierung in der Hand halten, von olivgrünen Ostlandrittern kleinreden zu lassen, ist offensichtlich kein Qualitätsmerkmal des sogenannten Qualitätsjournalismus. Wenn schon auf den Kanälen des Deutschlandradios eine kaum mehr tendenziös zu nennende Berichterstattung über den Konflikt in der Ukraine vorherrscht und sich eine in Jahrzehnten antikommunistischer Propaganda eingeschliffene Feindseligkeit gegenüber Rußland Bahn bricht, dann will man bei der ARD nicht untätig bleiben und zeigt sich bereit, die Leitlinien der deutschen Außenpolitik mitzuvollziehen.

Daß die dafür zu begleichende Rechnung weit über die 500 Millionen Euro schwere Kreditbürgschaft hinausgehen wird, die die Bundesregierung Jazenjuk mit auf den Weg gab, ist auch in Anbetracht des teuren Krieges, den Präsident Petro Poroschenko gegen die ostukrainschen Republiken führt, kein Geheimnis. Die Ukraine zu refinanzieren, um den deutschen Kapitalexport und die Hegemonie der EU zu sichern, birgt aufgrund der militärischen Flankierung dieser Politik durch die NATO die Gefahr einer kriegerischen Konfrontation mit Rußland. Da kommt die Umdeutung des Zustandekommens und Ausgangs des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion um so gelegener. Sie steht im objektiven Interesse all jener Funktions- und Kapitaleliten, die das Rennen um die Verfügungsgewalt über die Bevölkerungen und Ressourcen der eurasischen Landmasse im transatlantischen Schulterschluß vollziehen wollen, anstatt weniger aggressive Möglichkeiten internationaler Kooperation in Anspruch zu nehmen.


Fußnote:

[1] https://propagandaschau.wordpress.com/2015/01/08/ard-unwidersprochener-geschichtsrevisionismus-in-den-tagesthemen/

[2] https://www.wko.at/Content.Node/service/aussenwirtschaft/fhp/Handelsabkommen/Assoziierungsabkommen_EU-Ukraine_-_ABl_L_161_vom_140529_neu.pdf

10. Januar 2015


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