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PROPAGANDA/1479: Terrorismusbekämpfung als ideologisches Herrschafts- und exekutives Machtinstrument (SB)




Weil die Hamas keinen Frieden will, sondern mit terroristischen Mitteln gegen die israelische Bevölkerung vorgeht, hat deren Regierung alles Recht auf der Welt, ihr Land und ihre Leute zu verteidigen. Die Stärke der Kriegslegitimation der israelischen Regierung liegt in ihrer formelhaften Überschaubarkeit und universalen Anwendbarkeit. Man wolle doch nichts lieber als in Frieden mit den Palästinensern leben, geben israelische Regierungsvertreter, Parlamentarier und Journalisten unisono zu verstehen. Die Gaza regierende Hamas verweigere sich jedoch jeder Einigung, ja sie sei sogar der Feind der eigenen Bevölkerung, weil sie diese als Schutzschild für das Abfeuern von Raketen benutze, die in Israel auch deren arabische Bevölkerung terrorisierten.

Gerade weil diese Argumentation so simpel ist, funktioniert sie so gut, daß sich Regierungen und Medien in der EU und den USA darin übertreffen, die Legitimität der israelischen Selbstverteidigung anzuerkennen. Ihr wesentlicher Zweck, die Widerrechtlichkeit der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik aus der Gleichung "Frieden plus Terror gleich Krieg" zu streichen, ist durch eine kausale Chronologie der Entwicklung nicht aufzuheben. Die Grenze der Debatte um den Wahrheitsgehalt kontroverser Argumente ist spätestens dann erreicht, wenn die Machtfrage positiv zugunsten Israels im Sinne der unbestrittenen Deutungsmacht seiner Regierung über diesen Konflikt beantwortet wird.

So bedient sich jede Analyse der jüngsten Konfrontation eines bestimmten Anfangspunktes. Von diesem aus wird die angebliche, weil jegliche konkrete Verantwortung in der Konsequenz dementierende "Spirale der Gewalt" entweder zugunsten der Position Israels oder der der Palästinenser entwickelt. Beginnt etwa Bettina Marx [1] mit der Schaffung einer palästinensischen Einheitsregierung und deren Zerschlagung durch die israelische Regierung, die zudem mit einem tödlichen Angriff auf ein Hamas-Mitglied im Gazastreifen den ersten Schritt im Abtausch des gegenseitigen Beschusses tat, dann liegt es nahe, das systematische Provozieren palästinensischer Reaktionen durch die israelische Regierung zu dem Zweck zu unterstellen, Wasser auf die Mühlen ihrer Kriegsmaschine zu leiten.

Deren Vertreter wiederum argumentieren mit der Entführung und Ermordung dreier jüdischer Religionsschüler, aufgrund derer Maßnahmen zur Ergreifung der Täter getroffen hätten werden müssen, die sich aufgrund eines angeblich begründeten Verdachts vor allem gegen die Hamas richteten. Daß das Ziel dieser Maßnahmen darin bestand, "die Strukturen der Hamas im Westjordanland zu zerschlagen und damit die Regierung der nationalen Einheit zu torpedieren", wie Bettina Marx erklärt, mag noch so plausibel sein, um im Wettkampf um die weltweite Deutungsmacht dennoch zu unterliegen.

Die Strategie der israelischen Regierung, sich stets als zur Reaktion auf palästinensische Gewalttaten genötigt darzustellen und alle dafür aufzubietenden Fakten auf das notwendig überschaubarste Maß zu reduzieren, geht nicht nur durch ihre politische und massenmediale Unterstützung in jenen Ländern, deren Regierungen sich dazu berufen fühlen könnten, über den UN-Sicherheitsrat wirksame Maßnahmen gegen die Bombardierung Gazas zu ergreifen, zu ihren Gunsten aus. Ihr dynamisches Momentum liegt vor allem darin, sich des Paradigmas einer Aufstandsbekämpfung zu bedienen, die auch anderswo als Mittel der Bewältigung sozialer Krisen vorgehalten und ausgebaut wird.

Den Terrorismus zu bekämpfen und dabei auch die Zivilbevölkerung mit angeblichen Kollateralschäden zu malträtieren, ist das kleine Einmaleins der Kriegführung in Zeiten sogenannter asymmetrischer Konflikte. Um überhaupt im Rahmen der äußeren wie inneren Aufstandsbekämpfung handlungsfähig zu sein, bedarf nicht nur die Regierung Israels eines Aggressionsgrundes, der im Begriff der Terrorismusbekämpfung selbstevidente Gültigkeit erlangt. Auch die Regierungen der NATO-Staaten wie anderer Länder sind keineswegs daran interessiert, sich die Waffe des Antiterrorismus durch die Analyse und Kritik derjenigen Gewaltverhältnisse aus der Hand schlagen zu lassen, die nicht etwa aufzuheben, sondern zu zementieren Sinn und Zweck dieser Legitimationsfigur sind.

Bettina Marx versäumt nicht, am Ende ihres gegen den Strom deutscher Mehrheitsmedien schwimmenden Kommentars auf die zentrale Ursache des jüngsten Krieges gegen Gaza zu verweisen. Die Blockade dieses kleinen Streifen Landes nicht nur durch Israel, sondern auch des die Hamas als Ableger der eigenen Muslimbrüder bekämpfenden Militärregimes Ägyptens verurteilt die dort lebenden Menschen zu einem Ausmaß an Elend und Ohnmacht, daß auch israelische Politiker gut beraten sind, diese Tatsache nicht zu leugnen, sondern als Folge terroristischer Bestrebungen der Hamas zu deuten.

Sie können einfach nichts falsch machen, wenn sie den Frieden beschwören, den nur der böse Nachbar Hamas nicht will. Warum sich diese islamistische Partei in ihrer politischen Schwäche nicht den Forderungen Israels unterwirft, sondern eigene Bedingungen für einen Waffenstillstand stellt, weiß die israelische Regierung sehr genau. Den Feind ins Unrecht zu rücken, um eigene Handlungslegitimation zu erwirtschaften, ist eine Strategie, die sich nicht trotz ihrer Durchschaubarkeit, sondern gerade wegen ihrer gut vermittelbaren Übersichtlichkeit auszahlt. Dabei das bei allem Bemühen eigener Kriegführung um die Schonung unschuldiger Menschen unvermeidliche Leid der zivilen Bevölkerung Gazas anzuerkennen, verleiht der Aggression ein so menschliches Antlitz, wie es etwa der US-Präsident George W. Bush aufwies, als er den Irak im Namen der Opfer der 9/11-Anschläge angreifen ließ.

Der Krieg wird zwar nicht in den PR-Agenturen des Konsens- und Akzeptanzmanagements entschieden, doch ihn als unverzichtbare Ultima ratio zu verkaufen, liegt ganz im Sinne der Regierungen in der EU und den USA, die seine prinzipielle Rechtmäßigkeit als Akt der Selbstverteidigung attestieren. Warum überprüfen sie das Argument der Terrorismusbekämpfung nicht auf seine rechtliche Stichhaltigkeit hin und gelangen zu dem zwingenden Schluß, der israelischen Regierung im Namen der internationalen Friedenssicherung in den Arm zu fallen? Die hermetisch gegen soziale Widersprüche und Klassenantagonismen abgeschlossene Systemlogik des Antiterrorkriegs ist ein ideologisches Herrschafts- und exekutives Machtmittel, auf das die meisten Staaten nicht mehr verzichten wollen. Wäre es anders, dann müßte die israelische Regierung erleben, daß die von ihr in Anspruch genommene Gleichung "Krieg minus Terror gleich Frieden" die Frage provozierte, wer in diesem Konflikt Terror gegen wen ausübt. Schließlich müßte sie sich gefallen lassen, die Frage des Friedens selbst im Kontext ihres Siedlerkolonialismus zu beantworten, sprich zu den vereinbarten Maßgaben einer Zweistaatenlösung auf der Basis der vorhandenen UN-Resolutionen zurückzukehren.

Indem die Regierungen der NATO-Staaten bestenfalls so weit gehen, die Regierung Israels zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu ermahnen, bestätigen sie nicht nur die grundsätzliche Legitimität ihrer Kriegführung. Da sie diese Forderung lediglich als folgenloses, in jede Richtung weit auslegbares ethisches Gebot formulieren, attestieren sie die Gültigkeit der von der israelischen Regierung in Anspruch genommenen Relation zwischen dem Anlaß der von ihr angewandten Gewalt und seinem Ausmaß. Dabei werden die NATO-Staaten dem humanitären Primat der Schutzverantwortung, im Falle einer die Zivilbevölkerung massiv schädigenden Aggression auch ohne UN-Mandat militärisch in einem souveränen Staat zu interventieren, keineswegs untreu. Sie legen es lediglich in üblicher Manier interessenbedingt aus und schützen damit die eigene Handlungsmacht für den Fall, daß der soziale Aufstand gegen Armut und Unterdrückung eines Tages im eigenen Land mit der Asymmetrie unbezwingbarer Feuerkraft bekämpft werden muß.


Fußnote:

[1] http://www.dw.de/kommentar-provokation-und-gewalt/a-17785370

16. Juli 2014