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PROPAGANDA/1441: Legitimationsnotstand - "Rechtsterrorismus" entdecken, Linke bezichtigen (SB)



Der Spiegel macht's möglich - auch wenn es um rechte Mörder geht, muß die revolutionäre Linke getroffen werden. Die von dem Hamburger Nachrichtenmagazin in Umlauf gebrachte und den Titel der aktuellen Print-Ausgabe in Großbuchstaben dominierende Bezeichnung "DIE BRAUNE ARMEE FRAKTION" setzt auf oberflächlichste Weise und völlig ungeachtet wesentlicher Unterschiede die RAF mit dem Trio militanter Nazis gleich. Die RAF kämpfte gegen einen Staat, der zahlreiche NS-Täter und -Ideologen mit höchsten Würden versah, der rechte Militärdiktaturen in Argentinien und Chile, das rassistische Südafrika und das Folterregime Iran unterstützte, dessen aggressiver Antikommunismus zum Verbot der KPD und zur Inhaftierung Tausender Kommunisten führte und den Vietnamkrieg der USA ideologisch und logistisch begleitete. Diese Abspaltung der radikalen Linken verfügte zumindest zu ihren Anfangszeiten über einen großen Kreis von Sympathisanten, die sich zwar nicht an diesem Kampf direkt beteiligen wollten, ihm aber objektive Notwendigkeit zusprachen. Wie sehr die revolutionäre Strategie der RAF auch von Fehlern und Irrtümern gezeichnet war, so machten ihre Mitglieder niemals einen Hehl aus der von ihnen aufgeworfenen Gewaltfrage. Es handelte sich um ein in aller Öffentlichkeit geführten Kampf gegen einen übermächtigen Gegner, der absehbar den Tod oder überdurchschnittlich lange Hafturteile zur Folge hatte.

Zweifellos haben die Anschläge der RAF viel Leid hervorgerufen, so daß ihre revolutionäre Strategie hinreichend delegitimiert sein sollte. Daß es dennoch notwendig erscheint, diese Form linksradikaler Militanz in Deutschland trotz der offiziellen Auflösung der RAF und der Distanzierung ihrer ehemaligen Mitglieder vom bewaffneten Kampf mit dem totalitarismustheoretischen Stigma ideologischer Verwerflichkeit zu versiegeln, kündet von einer Virulenz revolutionärer Gesellschaftsveränderung, die aus ganz anderen, im aktuellen Krisengeschehen an die Oberfläche drängenden Entwicklungen gespeist wird. Dies erklärt die geradezu ahistorische Ignoranz, diese Auseinandersetzung nicht in den Kontext eines internationalen Klassenkampfs zu stellen, dessen antikommunistische Doktrin in ideologischer, institutioneller wie personeller Kontinuität zum Antibolschewismus der Nazis stand, der Millionen Opfer durch imperialistische Kriege und soziale Verelendung zeitigte und der seitens der Regierungen der kapitalistischen Staatenwelt mit allen Mitteln offener Repression und geheimdienstlicher Subversion geführt wurde.

Die nun als Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) titulierte Gruppe hingegen hat sich zu ihren Morden lediglich im Nachhinein bekannt und setzte sich nach allem, was man bislang über ihre ideologischen Motive weiß, für Ziele ein, die der unausgesprochenen Leitdoktrin dieser Gesellschaft, der marktwirtschaftlichen Regulation durch sozialdarwinistische Konkurrenz und und der Sicherung des Eigentumsprimats durch autoritäre Staatlichkeit, in ihrer Praxis nicht unvertraut sind. Ihr völkisches Rasseideal steht nur bedingt im Widerspruch zu einer liberalen Gesellschaftsordnung, die sich ein europäisches Grenzregime leistet, das den Tod tausender Flüchtlinge verursacht hat, das Einwanderung nach dem utilitaristischen Prinzip des volkswirtschaftlichen Nutzens organisiert und den antimuslimischen Rassismus nicht gerade entschieden bekämpft. Die nazistische Arbeitsdoktrin basierte auf der Aufrechterhaltung kapitalistischer Mehrwertabschöpfung und findet in der neoliberalen Ausgrenzung angeblich unproduktiver Leistungsempfänger ihren sozialchauvinistischen Nachhall. Die revanchistische Verherrlichung deutschen Landsertums ist anschlußfähig für die Umbildung der Bundeswehr zu einer Einsatzarmee, deren Werbeslogan "Wir. Dienen. Deutschland." verschämt mit zweckentfremdeten Satzzeichen über seine Verwandtschaft zu unheiligen Parolen früherer Epochen hinwegtäuscht.

So kann auch die immer wieder erwiesene Nähe staatlicher Geheimdienste zu neonazistischen Gruppierungen nicht weiter erstaunen. Pogrome gegen Asylanten und Anschläge auf Ausländer haben mit großer Regelmäßigkeit die strategische Logik befördert, daß man die Mitte der Gesellschaft nach rechts verschieben müsse, um dem rechtsradikalen Rand das Wasser abzugraben. Flüchtlings- und sozialfeindliche Gesetze wurden ebenso mit diesem Vorwand legitimiert wie der Ausbau des staatlichen Repressionsapparats. Wenn Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich nun gegenüber der Bild-Zeitung eine "bessere Verzahnung von Polizei und Verfassungsschutz auf Länderebene" verlangt, dann macht er nicht nur den Bock zum Gärtner, sondern folgt der Ermächtigungslogik des NS-Kronjuristen Carl Schmitt, der die Verfügungsgewalt über den Ausnahmezustand als zentralen Hebel staatlicher Macht dargestellt hat.

Angesichts von bis zu 150 politisch motivierten Morden an Migranten und Obdachlosen seit 1990, angesichts mörderischer Brandanschläge und rassistischer Pogrome gegen Ausländer ist es nur als makaber zu bezeichnen, wenn der Bundesinnenminister nun erstmals das Wort "Rechtsterrorismus" in den Mund nimmt. Wie schnell man mit dem inkriminierenden T-Wort bei Linken an der Hand ist, belegt die Debatte über die Brandanschläge auf Strecken der Bahn und nächtliche Brandstiftungen an Autos. So selbstverständlich die vorauseilende Stigmatisierung als "terrorverdächtig" gebrandmarkter Islamisten zu sein scheint, so einvernehmlich erspart man sich jeden Gedanken daran, das T-Wort auf 20 allein in diesem Jahr erfolgte Anschläge auf Moscheen, auf von Migranten bewohnte Häuser wie auf nichtdeutsche Personen afrikanischer oder nahöstlicher Herkunft anzuwenden.

1997 wurde bereits wurde ein Strafverfahren gegen Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos eingeleitet, weil sie Briefbombenattrappen an eine Zeitung, die Stadtverwaltung und die Polizeidirektion Jenas verschickt hatten. Als die Polizei 1998 in der damaligen Wohnung des Trios in Jena einsatzbereite Rohrbomben und 1,4 Kilo TNT sicherstellte, blieb jegliche mediale Aufregung um rechte Terroristen aus. Als es 2004 zu einem Nagelbombenanschlag in einer mehrheitlich von Türken bewohnten Straße in Köln kam, bei der 22 Menschen verletzt wurden, gingen die Polizeibehörden wie Bundesinnenminister Otto Schily von Auseinandersetzungen im kriminellen Milieu aus und schlossen eine terroristische Motivation aus. Zur gleichen Zeit waren Muslime permanent dem Generalverdacht ausgesetzt, potentielle Terroristen zu sein.

Als der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik im Juli dieses Jahres in Norwegen aus politischen Gründen 77 Menschen umbrachte, glänzte der Begriff des Terrorismus in der bürgerlichen Presse durch Abwesenheit [1]. Selbst am heutigen Tag, da die Berichte über das Zwickauer Trio die Schlagzeilen beherrschen, läßt Spiegel Online in zwei Artikeln über einen Auftritt Breiviks vor Gericht das T-Wort vermissen [2]. Er firmiert weiterhin als "Attentäter", und seine von ihm umfassend dargelegten, auf einer Linie mit der Ideologie der neokonservativen islamfeindlichen Rechten der EU und USA liegenden Motive gelten als "wirre Verschwörungstheorien" [3]. Will das Hamburger Nachrichtenmagazin vergessen machen, daß es mit entsprechenden Berichten und Bildern Wasser auf die Mühlen dieser eurozentrischen rassistischen Ideologie geworfen hat?

Die Gleichsetzung von Rechts- und Linksterrorismus wie der Terrorismusbegriff als solcher verrichten allemal das apologetische Werk eines Antiextremismus, der das Böse an den Rändern der Gesellschaft verortet, um die eigenen Raub- und Gewaltpraktiken als notwendige Verteidigung der bestehenden Ordnung exkulpieren zu können. Dafür ist es nicht einmal entscheidend, ob und wie sehr staatliche Provokationsstrategien dazu beitragen, daß der Nachschub an zweckdienlichen Feinden niemals ausbleibt und Vorwände für die Verschärfung des Klassenkampfs von oben geschaffen werden. Die selektive Anprangerung von Gewaltpraktiken unter Ausschluß willkürlicher, in staatlichem Auftrag begangener Morde wie die sogenannten extralegalen Hinrichtungen durch Drohnen und Spezialkommandos, überfallartiger Aggressionen in Jugoslawien, Afghanistan und Libyen, der systematischen Aushungerung ganzer Bevölkerungen im Irak und Palästina, der legalen Folterung sogenannter Terrorverdächtiger beim Verhör und normaler Strafgefangener in Isolationstrakten, ist Produkt politischer Legitimationsstrategien und ihrer willfährigen medialen Vervielfältigung.

Plakative Kurzschlüsse, wie vom Spiegel nicht nur in diesem Fall mit geradezu obsessiver Rigidität zwecks Rechtfertigung herrschender Verhältnisse produziert, ebnen jeden differenzierten, die eigene Urteilsfähigkeit entwickelnden Diskurs mit den Widerspruchslagen dieser Gesellschaft wirksam ein. Im Kern geht es um die Unterdrückung kritischen Denkens und die Negation emanzipatorischer Entwicklungen, auf daß der Pakt der professionellen Legitimationsproduzenten mit den Starken und Mächtigen und die ganze Erbärmlichkeit nach Belohnung schielender Unterwerfung unsichtbar bleiben mögen. Doch die inflationäre Verwendung des T-Wortes, die psychologisierende Herabwürdigung aufbegehrender Menschen durch die Spiegel-Kreation "Wutbürger", das schleichende Gift des totalitarismustheoretischen Verdachts fördern vor allem die anwachsende Legitimationsnot der herrschenden Klassen zutage.

Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1431.html

[2] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,druck-797587,00.html

[3] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,druck-797671,00.html

14. November 2011