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PROPAGANDA/1433: Den Feind markieren ... warum Breivik kaum als "Terrorist" geführt wird (SB)



Kritik an der Verwendung des Begriffs "Terrorismus" ist nicht der Anlaß, warum der Massenmörder Anders Behring Breivik in den meisten Medien lediglich als "Attentäter", "Killer" oder "Extremist" geführt wird. Ganz im Gegenteil, es geht darum, die Sprache der Demagogie denjenigen vorzubehalten, die man als nützliche Feinde braucht. Eine Klasse vollständig entrechteter, zum Abschuß freigegebener Nichtmenschen zu schaffen ist spätestens seit dem 11. September 2001 Ausdruck akzeptierten Regierungshandelns und kulturindustrieller Produktivität in westlichen Staaten. Im Terrorkrieg wurde eine Dichotomie von Gut und Böse geschaffen, die als hintergrundslose Legitimation imperialistischer Kriegführung alles ausblendet, was an Einwänden grundsätzlicher oder rechtlicher Art gegen diese mobilisiert werden könnte. Insbesondere die Begriffspaarung "islamistischer Terrorismus" erfüllt die Voraussetzung einer selbstevidenten Kriegsbegründung, die in Frage zu stellen den Urheber der Kritik in die Nähe einer Apologie des Feindes rückte.

Versuche, die massenhafte Vernichtung zivilen Lebens in völkerrechtswidrigen Kriegen wie dem jüngsten Feldzug gegen den Irak als Staatsterrorismus zu brandmarken blieben aus nämlichem Grund ohne Wirkung - als Stigma des Bösen verweist der Begriff des "Terrorismus" nicht nur auf eine gewaltsame Art und Weise politischer Einflußnahme, er markiert die Gesinnung seiner Urheber als böse und verwerflich. Qualitative Parameter, die sich an diese Methode, Angst und Schrecken zu verbreiten, anlegen ließen, sind kontraproduktiv, da der Begriff damit über seinen politisch opportunen Nutzen auf Akteure anzuwenden wäre, die beanspruchen, ihren Krieg im Namen des Guten und Gerechten zu führen, und denen dies auch medial und politisch attestiert wird. Einer ideologisch vorbehaltlosen Bewertung politischer Gewalt wäre Breivik ebensosehr ein - womöglich mit dem Attribut "christlicher" oder "neokonservativer" versehener - "Terrorist", wie es im Fall deutscher Neonazis trotz an die 140 Todesopfer ihrer Gewalt seit 1990 auch nicht der Fall ist.

Ganz dem von Breivik propagierten Feindbild gemäß bleibt dieses Label linksradikaler Militanz oder dem Widerstand gegen die Besatzungsmächte etwa in Afghanistan und im Irak vorbehalten. In einem im Grundsatz antikommunistischen Europa, in dem Parteien mit einer islamfeindlichen Agenda Regierungsverantwortung tragen, fällt es überdies schwer, den ideologischen Sumpf, aus dem Breivik seinen Haß sog, auf entsprechende Weise beim Namen zu nennen. Auch das Feindbild des "Haßpredigers" wird exklusiv auf Muslime angewendet, auf daß sich angeblich honorige Bürger, die zu Tausenden auf einschlägigen Webseiten gegen Muslime hetzen, seiner zur Steigerung ihres Selbstwertgefühls bedienen können. So wird der mit über 50.000 täglichen Visits einflußreiche Blog "Politically Incorrect" vom Verfassungsschutz nicht observiert, weil er proisraelisch und proamerikanisch sei und sich ausdrücklich zum Grundgesetz bekenne [1]. Thilo Sarrazins Sozialrassismus ist selbst innerhalb der SPD sakrosankt, obwohl er sich in besonderer Weise gegen Muslime richtet.

Anders Behring Breivik wird kaum zum Anlaß aggressiver Antiterrorrhetorik genommen, weil er ideologisch Fleisch vom Fleische einer kulturalistischen Rechten ist, die über zu viel gesellschaftlichen und politischen Einfluß verfügt, als daß man sich ernsthaft mit ihr anlegte. Nicht zuletzt der ehemalige US-Präsident George W. Bush hat den Terrorkrieg als Kreuzzug verstanden und sein Bekenntnis als evangelikaler Christ in den Dienst einer vor allem gegen Staaten mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung gerichteten Kriegführung gestellt. Die dieser Konfrontation vorangehende Doktrin des "Clash of Civilizations" und der sie befördernde Neokonservativismus bedienen sich kulturalistischer Ressentiments, um eine die Interessen westlicher Kapitaleigner und Metropolengesellschaften durchsetzende Agenda voranzutreiben. Der angebliche Kulturkampf ist ein sozialer Krieg, der die Unterwerfung des Menschen unter seine Verwertungsimperative nach außen projiziert, um sie nach innen um so widerstandsloser vollziehen zu können. Im Kern geht es um die Fortsetzung des Klassenkampfs mit anderen Mitteln. Das zentrale Motiv herrschender Gewalt wird durch symbolpolitische Feindbilder überdeckt, deren rassistischer Gehalt eine legalistische und institutionelle Gewalt evozieren, mit der sich jeder soziale Widerstand unterdrücken läßt.

Die Einbindung der Bevölkerungen in die Apologie des weißen, christlichen Abendlandes gegen bolschewistische Irrlehren und orientalische Horden hat eine Geschichte, deren Wiederholung angeblich mit allen demokratischen Mitteln zu bekämpfen ist. Der blinde Fleck im Auge des hegemonialen Blocks westlicher Politik ist die Kontingenz von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Man möchte sich die strukturellen Gemeinsamkeiten dieser beiden rassistischen Dispositionen nicht eingestehen, weil das abträglich für die Bündnispolitik und Geostrategie der NATO-Staaten ist. Gelangte man zu dem Ergebnis, daß die von gutbürgerlichen Kulturkriegern gepredigte Islamfeindlichkeit heute auf vergleichbare Weise instrumentalisiert wird wie der Antisemitismus im Vorfeld der NS-Vernichtungspolitik, dann setzte das einen Handlungsbedarf frei, der konträr zum neokolonialistischen Gewaltverhältnis stände, das EU und USA zur arabischen Welt, zum Iran und zu andern mehrheitlich islamischen Staaten unterhalten. Die militärisch und ökonomisch stärksten Staaten in einen langen Krieg um die globale Hegemonie des ihnen am meisten nützenden Verwertungssystems zu führen ist keine Erfindung Breiviks, sondern die Melodie, zu der er wie eine Marionette tanzt.

Fußnote:

[1] http://www.taz.de/Anti-Islam-Hetze-auf-PI-News/!75174/

31. Juli 2011