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PROPAGANDA/1428: Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft? Was sucht sie dann am Hindukusch? (SB)



Die Bundeswehr soll wieder in die Mitte der Gesellschaft gerückt werden, die Soldaten verdienen mehr Anerkennung für ihre Arbeit - Forderungen, wie sie seit Jahren seitens Politik und Militär erhoben werden. Dem Anliegen wäre unter bestimmten Umständen sogar zuzustimmen, wenn die Bundeswehr auch geographisch wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückkehrte! Doch längst ist der Staatsbürger in Uniform zum High-Tech-Kämpfer mutiert, für den die Landesverteidigung am Hindukusch, im östlichen Mittelmeer oder am Horn von Afrika beginnt. Wundert es angesichts solcher räumlicher Entfernungen noch, daß viele Bürgerinnen und Bürger Distanz wahren und die Soldaten nicht als zur Mitte der Gesellschaft gehörig ansehen?

Eine Freiwilligenarmee müsse mehr in der Öffentlichkeit diskutiert werden als eine Wehrpflichtarmee, sagte Verteidigungsminister Thomas de Maizière diese Woche im Deutschlandfunk. Wörtlich erklärte er: "Wenn wir der Gesellschaft die Hand reichen, dann muss die Gesellschaft auch diese Hand nehmen." [1]

Ja, aber warum soll sich die Gesellschaft nach der Hand strecken, die ihr aus weiter Ferne gereicht wird? Warum kommt nicht umgekehrt die Bundeswehr der Gesellschaft entgegen, aus der sie sich entfernt hat? Das hätte den Vorteil, daß von vornherein verhindert würde, daß ein deutscher Offizier einen Luftangriffsbefehl erteilt, bei dem auf einen Schlag rund 150 Afghanen ausgelöscht werden, oder daß ein "Provincial Advisory Team" (PAT) in der nordafghanischen Stadt Talokan auf eine - aus guten Gründen - aufgebrachte Menge schießt.

In Zukunft wird die Bundeswehr mehr als zuvor werben, sie wird weiterhin "Girl's Days" veranstalten, Schulen besuchen, Studierende ansprechen, öffentliche Gelöbnisse abhalten und allgemein deutliche Präsenz zeigen. Es wäre jedoch ein Irrtum anzunehmen, daß sie auf diese Weise in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Statt dessen wird die Gesellschaft durch solche Aktionen militarisiert, und das ist der eigentliche Zweck der propagandistischen Offensive. Es soll nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die Gesellschaft reformiert werden. Die Deutschen sollen in Zukunft hinnehmen oder sogar begeistert die schwarz-rot-gelbe Fahne schwenken, wenn die Krieger ausrücken, um beispielsweise somalischen Piraten das Handwerk zu legen, die, ihr Hungerland im Rücken, in See stechen und durch Überfälle den globalen Handelsverkehr stören.

Nicht die Zivilgesellschaft hat sich vom Militär entfernt, sondern das Militär von der Zivilgesellschaft. Diese soll nun mit der ihr dargebotenen Handreichung über den Tisch und auf die andere Seite gezogen werden, damit sie sich hinter den Bellizismus des Establishments stellt. Das sieht seine privilegierte gesellschaftliche Position in einer Zeit wachsender globaler Krisen gefährdet und formt die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee um. Wenn sich dann die sozioökonomischen Verhältnisse in Deutschland verschlechtern, dürfte es genügend "Freiwillige" geben, die sich für den Dienst an der Waffe melden, in der Hoffnung und Erwartung, über diese Beteiligungsform ein paar Krümel vom Kuchen zugeteilt zu bekommen.

Quelle:
[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1461895/

20. Mai 2011