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PROPAGANDA/1394: Selbstverteidigung Israels? Überfall auf Gaza Freedom-Flottille in den Medien (SB)



Einen Akt der Piraterie mit Todesfolge für die Betroffenen in eine legitime Selbstverteidigungsaktion zu verwandeln ist kein leichtes Unterfangen. Dies dennoch zu erreichen ist wie stets eine Frage der medialen und politischen Definitionsmacht, die nun vor einer schweren Bewährungsprobe steht. Es gilt, die Absichten der Aktivistinnen und Aktivisten der Gaza Freedom-Flottille mit vereinter Medienmacht ins Licht einer sinistren Verschwörung zu rücken, die kein anderes Ziel verfolgt als den Ruf Israels zu beschädigen. Zu vermuten, daß da nicht mehr viel zu zerstören sei, entspricht nicht der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Bundesrepublik.

Hierzulande fand bereits die Behauptung, daß Israels Überfall auf Gaza Ende 2008 lediglich der Verteidigung des Landes vor den aggressiven Terroristen der Hamas handelte, viele Fürsprecher. Aufklärung über die Einhaltung des Waffenstillstands durch die palästinensische Partei, über den Bruch desselben durch israelische Provokationsakte oder den genauen Verlauf der Verhandlungen zur Verlängerung des Waffenstillstands fruchtete in Anbetracht der vorherrschenden massenemedialen Lesart wenig. War man vielleicht noch bereit, die israelischen Angriffe aufgrund der immensen Zerstörungen und Verluste an Menschenleben, die sie bewirkten, als unverhältnismäßig zu kritisieren, so blieb das Narrativ der legitimen Selbstverteidigung Israels doch weitgehend unhinterfragt.

Die Gründe dafür lagen nicht darin, daß die großen Medien nicht über ein Gewaltverhältnis aufklären könnten, das im Überfall auf Gaza seinen brutalsten Ausdruck annahm. Das Versäumnis hatte schon damit begonnen, nicht die völkerrechtswidrige Besetzung palästinensischen Landes und die dabei erfolgte Unterdrückung der Palästinenser, die Mißachtung der demokratischen Rechte der Palästinenser, die schwerwiegenden Folgen der Blockade Gazas für die materielle Versorgung und Bewegungsfreiheit der Betroffenen explizit zu kritisieren. Die lange Geschichte dieses Konflikts ist stets präsent, wenn es zu neuen Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern kommt, wird jedoch nicht in Rechnung gestellt, da sich ansonsten ein eindeutig gelagertes Verhältnis von Tätern und Opfern abzeichnete.

Dies nicht beim Namen zu nennen ist keine historische Verpflichtung deutscher Journalisten und Politiker, wie unter Verweis auf die deutschen Verantwortung für die Vernichtung der europäischen Juden durch den NS-Staat gerne suggeriert wird. Das Gegenteil ist der Fall, kann die humanistische Konsequenz aus diesem Massenmord doch nur darin bestehen, staatlich exekutierte Gewalt gegen wehrlose Menschen in jedem Fall zu verurteilen und zu bekämpfen. Es ist auch keine Bedingung journalistischer Objektivität, Israelis und Palästinenser in Äquidistanz zu halten, wenn die ihr Verhältnis bestimmende Gewalt höchst einseitig verteilt ist. Eine dem Anspruch auf wahrheitsgemäße Wiedergabe verpflichtete Berichterstattung kommt nicht umhin, die sich daraus ergebenden Disparitäten beim Namen zu nennen, selbst wenn dies den Vorwurf der Einseitigkeit zur Folge hätte. Die Unterstellung, man nehme auf unzulässige Weise Partei für die Palästinenser, wenn man ihre Ohnmacht nicht durch eine selektive Verkürzung der Konfliktdynamik leugnet, reflektiert eine Apologie, die sich nur deshalb als Pflicht zur Objektivität bemänteln kann, weil sie mächtige Rückendeckung genießt respektive in vorauseilendem Gehorsam agiert.

So wurde deutschen Journalisten keineswegs ein Strick daraus gedreht, als sie beim Überfall der NATO auf Jugoslawien höchst einseitig gegen die Angegriffenen polemisierten und den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic zu einem neuen Hitler hochstilisierten. Es ließen sich zahlreiche Beispiele für den Verstoß gegen elementare Regeln einer Berichterstattung, die beansprucht, beide Seiten in einem Konflikt zu Wort kommen zu lassen, anführen, die ohne jegliche negative Konsequenz für ihre Urheber blieben. Gemeinsam ist dem schadlosen Propagieren nur einer Wahrheit stets, daß diese die Interessen der Sieger reflektiert. Öffentlich-rechtliche wie privatwirtschaftliche Medien agieren in großer, wenn auch nicht unbedingter Übereinstimmung mit herrschenden Interessen. Wo diese so eindeutig gelagert sind wie im Falle der deutschen Beziehungen zu Israel, da feiert die verharmlosende Konsensproduktion - "Operation Schutzschild" im Westjordanland 2002 oder der Bombenkrieg gegen den Libanon und die zeitgleich erfolgenden, fast völlig ignorierten Angriffe auf die Palästinenser 2006, um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen -, trotz massiver Verstöße gegen Recht und Moral immer neue Triumphe Orwellscher Verdrehung.

Wenn die Motive der Aktivistinnen und Aktivisten der Gaza Freedom-Flottille nun von großen deutschen Presseorganen ins Licht übler Absichten gestellt oder zumindest mit dem Makel der indirekten Unterstützung der Hamas befleckt werden, dann spricht daraus nichts anderes als der Hegemonialanspruch einer kulturindustriellen Ideologieproduktion, deren Sachwalter es gewohnt sind, die Parameter des politischen Diskurses in Deutschland zu setzen. Wie offenkundig es auch sein mag, daß schwerbewaffnete Spezialkräfte eines militärisch hochgerüsteten Lands wie Israel beim Überfall auf einen zivilen Hilfskonvoi als Aggressoren und nicht Verteidiger auftreten, so wird dennoch versucht, die Saat des Zweifels an dem Offensichtlichen etwa mit der Behauptung zu säen, die Passagiere des geenterten türkischen Schiffs Mavi Marmara seien bewaffnet gewesen. Daß Tote ausschließlich auf ihrer Seite zu beklagen waren, daß sie als Opfer eines Angriffs in internationalen Gewässern alles Recht zur Selbstverteidigung auf ihrer Seite gehabt hätten, wenn man das, was geschehen ist, überhaupt als solche bezeichnen will, spielt keine Rolle, wenn die strategische Allianz EU-USA-Israel einer anderen Version der Ereignisse bedarf.

Während die vollständige Darstellung der Nachteile, denen Palästinenser im Verhältnis zu Israel ausgesetzt sind, schon deshalb unterbleibt, weil es erheblicher Zeit und vieler Worte bedarf, um sie angemessen zu würdigen, läßt sich die dagegen gerichtete Position der israelischen Regierung mit wenigen ideologisch vorgeprägten, quasi selbstevidenten Schlagworten und Bildern vermitteln. "Terroristen" planen von Gaza aus Angriffe auf Israel, daher muß das Gebiet abgeriegelt und alles, was hineingelassen wird, genauestens kontrolliert werden. Alle weiteren Umstände dieses Konflikts haben ebensowenig zu interessieren wie die zahlreichen israelischen Einfuhrverbote, die für das materielle und kulturelle Überleben der Bewohner Gazas essentielle Güter betreffen, die fortgesetzten militärischen Angriffe auf das Gebiet oder die tiefe Traumatisierung seiner heranwachsenden Bewohner.

Wer sich aufmacht, die Bevölkerung Gazas aus ihrer hermetischen Isolation zu befreien, macht sich in diesem Kontext so schuldig, wie diese es längst ist. Ihre kollektive Verurteilung für einen Kampf, den nicht zu führen der Elimination ihrer kulturellen Identität und letzter Hoffnungen auf ein besseres und freies Leben bedeutete, macht den individuellen Schuldnachweis auch deshalb gegenstandslos, weil es unter der Voraussetzung herrschenden Unrechts keine Grundlage für irgendeine Form strafrechtlicher Gewaltregulation gibt.

Die nach Israel verschleppten internationalen Aktivistinnen und Aktivisten der Gaza Freedom-Flottille sind gefährdet, auf ähnliche Weise wie die palästinensischen Opfer israelischer Besatzungsjustiz mißhandelt zu werden. Anstatt darauf zu verweisen, gefallen sich führende deutsche Medien darin, einen verlogenen Kult der Objektivität zu feiern, um nicht bei mächtigen staatlichen Akteuren wagen zu müssen, was sie bei der Herabwürdigung ihrer Opfer auch noch zu aufklärerischem Einsatz für die Wahrheit verklären.

1. Juni 2010