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PROPAGANDA/1357: Deutsche Einheit in Europa ... gemeinsam in neue Kriege (SB)



Am Tag der deutschen Einheit wird in Afghanistan Krieg geführt. Die Kanzlerin mischt sich nicht unter das Volk, weil Terroralarm besteht. In Festreden wird der Fall der Mauer, die friedliche Revolution, ein Deutschland, das sich wider Erwarten nicht imperial gebärdete, gerühmt. Das eklatante Mißverhältnis zwischen äußerer Expansion und innerer Zufriedenheit scheint kaum jemand zu bemerken, weil es sich um kein solches handelt.

Wenn am 3. Oktober einmal mehr der Niedergang der sozialistischen Staatenwelt Osteuropas und das Ende des einzigen sozialistischen Experiments auf deutschem Boden gefeiert wird, dann fügt sich eins ins andere. Die Kriegführung am Hindukusch erweist sich als der Preis dafür, daß man heute eben nicht mehr über Frankreich und Polen herfällt, wie allgemein gelobt wird. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung, die sich die EU-Regierungen gegenseitig ausstellen, finden ihre konsequente Entsprechung darin, daß man eingesehen hat, zum beiderseitigen Nutzen lieber auf Dritte loszugehen. Heute führen Deutschland gemeinsam mit Frankreich und Polen Kriege vorzugsweise auf anderen Erdteilen, so daß es leicht fällt, die friedensstiftende und -bewahrende Wirkung der Europäischen Union zum Anlaß ihrer geschichtspolitischen Legitimation zu nehmen.

Vom Boden der DDR ist niemals Krieg ausgegangen, und die Teilung hat sehr wohl verhindert, daß die BRD auf eine Weise expansiv agierte, wie sie es heute fast selbstverständlich tut. Wer heute behauptet, daß sich die finsteren Prognosen vor 20 Jahren nicht bewahrheitet hätten, demonstriert, daß er nicht über den europäischen Tellerrand hinausblicken und dort entdecken will, wie sehr die Not anderer Bevölkerungen die Grundlage des eigenen Wohlbefindens bildet. Die Mauer ist nicht gefallen, sondern die Grenze der DDR wurde von ihrer Führung geöffnet. Daß sie dies tat und darauf verzichtete, die sogenannte Revolution mit bewaffneten Kräften niederzuschlagen, war eine Errungenschaft, mit der sich heute viele Menschen schmücken, die sich der Illusion hingeben, es wäre alleine der Druck der Straße gewesen, der den Anschluß der DDR an die BRD zur Folge hatte.

Die anhaltende Dämonisierung der Führung des durch die Bundesrepublik vollständig assimilierten Staates ist ungerechtfertigt, weil sie das Festhalten am Prinzip einer gesellschaftlichen Veränderung, die allen Menschen zugutekommt, weit glaubhafter als die Bonner Regierung praktiziert hat. Diese stand in den Konflikten und Kriegen, mit denen der sogenannte Kalte Krieg auf dem Trikont ausgetragen wurde, stets auf der Seite der Despoten und Gaudillos, der Juntas und Diktaturen, der Bourgeoisie und des Kapitals. Auch wenn die erste offene Kriegshandlung der neuen BRD in Jugoslawien stattfand, hatten ihre Geheimdienste und Söldner, ihre Konzerne und Waffenschmieden regen Anteil an den imperialistischen Strategien, mit denen die Welt nach Maßgabe ihrer stärksten und aggressivsten Nutznießer geordnet wurde.

Heute wird den Bundesbürgern weisgemacht, daß in Afghanistan kein Krieg geführt, sondern die BRD gegen einen Terrorismus verteidigt werde, der dort genuin verankert ist, sprich keineswegs erst durch die Bombardierung und Massakrierung der einheimischen Bevölkerung hervorgerufen wird. Heute erhebt Deutschland als verspätete Siegernation des Zweiten Weltkriegs Anspruch auf eine den Siegermächten gleichberechtigte Stellung bei der Aufteilung der Welt. Heute soll seine subalterne Bevölkerung glauben, daß die DDR ein Hort der Unterdrückung war, daß ein Leben in ihren Mauern kein Leben war, um nicht auf den Gedanken zu kommen, daß es materiellen Grund für die Revolutionierung der Verhältnisse gibt.

Wer die Zwangsmaßnahmen des Armutsregimes nach Hartz IV am eigenen Leib erleben muß, der könnte darauf kommen, daß die DDR ein Land des guten Lebens und Arbeitens war, daß die dort gegebene Freiheit nicht widersprüchlicher war als eine Freiheit, die, als die des Bürgers ausgewiesen und die des Kapitals praktiziert, die Menschen mit Mauern eigener Art umgibt. Die gesellschaftliche Verwirklichung humanistischer Ideale bemißt sich nicht an der materiellen Freiheit der Reichen, sondern an den Lebensmöglichkeiten der Schwächsten. Am Tag der deutschen Einheit zeigt sich das Land so gespalten wie die Zungen, die es rühmen.

3. Oktober 2009