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PROPAGANDA/1354: "Terrorvideo" liefert Kriegstreibern Argumente (SB)



Was immer der junge Mann, der sich, in einen schwarzen Anzug gewandet und mit blauer Krawatte drapiert, glattrasiert vor einem roten Vorhang an die Bundesbürger wendet, bezwecken mag - Inhalt wie Inszenierung des jüngsten "Terrorvideos" wirken wie eine Produktion aus Absurdistan. Da man die Drohung, die der von den Sicherheitsbehörden als Bonner Islamist Bekkay Harrach alias "Abu Talha" vorgestellte, sehr jugendlich wirkende Mann gegen die Bundesrepublik ausstößt, nicht einfach ignorieren kann, und da er sie mit der Bundestagswahl verknüpft, gewinnt der Auftritt jedoch eine Brisanz, die die Frage aufwirft, wem dieses bizarre Propagandaprodukt eigentlich nützen soll.

So wirkt es wenig überzeugend, wenn der untypischerweise nicht mit den üblichen Erkennungsmerkmalen sogenannter islamistischer Terroristen versehene Sprecher die von ihm erhobene Forderung nach einem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan an Positionen von Parteien festmacht, die die Beteiligung der Bundeswehr an diesem Krieg im Grundsatz stets unterstützt haben. So behauptet der Sprecher, daß die Bundesbürger insbesondere bei der Wiederwahl von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Anschlägen rechnen müßten, während er eine Wahlempfehlung für die SPD ausspricht. Er hält es für eine seiner Forderung nach Abzug der Bundeswehr zuträgliche Idee, daß bei der Afghanistan-Politik der Bundesrepublik "der diplomatische Weg, den Steinmeier im Atomstreit mit dem Iran für unvermeidlich hält" (AFP, 18.09.2009), beschritten werde.

Entweder versteht "Abu Talha" so wenig von Politik, daß er auf vordergründigste Wahlkampfmanöver hereinfällt, oder er hat vor, das Gegenteil dessen zu erreichen, was er zu bezwecken vorgibt. Der Bundesaußenminister kann aus der Gutheißung seiner Politik durch einen Terroristen sicherlich keinen Vorteil ziehen. Es dürfte ihm an der Wahlurne wenig nützen, wenn Al Qaida die Bürger dazu aufruft, Steinmeier ihre Stimme zu geben. Ganz im Gegenteil dürften sich die Bundesbürger von dieser Anschlagsdrohung eher darin bestätigt sehen, daß dem Terrorismus Paroli geboten werden muß und er am besten, wie von den Verfechtern der Besetzung Afghanistans vertreten, weit entfernt von den deutschen Grenze am Hindukusch bekämpft wird.

Mit der Behauptung "In einer Demokratie geht jede Gewalt vom Volke aus, auch die Gewalt gegen die afghanische Zivilbevölkerung" (AFP, 18.09.2009) unterstellt "Abu Talha" eine Funktionstüchtigkeit der politischen Willensbildung, gerade wie sie im Gemeinschaftskundeunterricht dargestellt wird. Als sich angeblich für das Interesse der Afghanen am Abzug der NATO-Truppen verwendender Muslim müßte ihm aufgefallen sein, daß die von ihm beanspruchte demokratische Kohärenz schon durch die Tatsache, daß die Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistankrieg laut Umfragen von der deutschen Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt wird, während fast alle Parteien diesen Einsatz unterstützen, widerlegt wird. Der angebliche Al Qaida-Vertreter kann seinem antidemokratischen, theokratischen Selbstverständnis gemäß gar nicht glauben, was er behauptet. Ansonsten würde diese Organisation das von ihm unterstellte Modell demokratischer Partizipation nicht verwerfen, sondern auch für Muslime propagieren.

Meinte es der darstellende Terrorist ernst mit dieser Behauptung, dann müßte er zur Wahl der Linken aufrufen, die als einzige Partei den sofortigen Abzug der Bundeswehr fordert. Das wäre mit dem antikommunistischen Selbstverständnis fundamentalistischer Muslime kaum zu vereinbaren. Ob wohlmeinende Worte über einen Außenminister, der in seiner früheren Position als Kanzleramtsminister maßgeblich an der Entsendung der Bundeswehr nach Afghanistan wie an der Verhinderung der Wiedereinreise des in Guantanamo gefolterten Murat Kurnaz nach Deutschland beteiligt war und der sein Fähnchen kurz vor einer für seine Partei desaströs ausgehenden Wahl in der Afghanistanfrage populistisch in den Wind hängt, dazu geeignet sind, die Glaubwürdigkeit dieses angeblichen Islamisten zu unterstreichen, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Das muß natürlich nicht heißen, daß nicht auch ein völliger Wirrkopf einen Anschlag in der Bundesrepublik begehen könnte. Seinem Auftritt allerdings die Bedeutung zuzuweisen, daß Al Qaida nun Einfluß auf Wahlentscheidungen in Deutschland nehme, ist ein Armutszeugnis für das politische Bewußtsein der Urheber dieser Behauptung. Es entspricht der herrschenden Sicherheitsdoktrin, daß die Abwehr des Terrorismus mit offensiven Mitteln zu erfolgen habe. Diese dürften, wenn man etwa an die Opfer des jüngsten, von der Bundeswehr zu verantwortenden Luftangriffs in Afghanistan denkt, die Bereitschaft, gegen Vertreter der Bundesrepublik nicht mit Gewalt vorzugehen, nicht eben gezügelt haben. Daß Gewalt Gegengewalt erzeugt, ist kein, wie gerne unterstellt, Argument, das Terroristen in die Hände spielt. Wer so weit geht, das eigene Leben bei Selbstmordanschlägen zu riskieren, bedarf der Rechtfertigung aus dem Lager der Menschen, die er angreift, nicht. Es ist die Stimme der Vernunft, die für einen defensiven Umgang mit Bedrohungen dieser Art spricht. Das bedeutet im konkreten Fall, sich nicht in die Angelegenheiten anderer Bevölkerungen einzumischen und ihnen die eigenen Vorstellungen mit militärischer Gewalt aufzuoktroyieren.

Ein Aufreger wie das jüngste "Terrorvideo" dient nur einem Zweck - die vorherrschende Kriegsdoktrin argumentativ zu untermauern. Da es um ein Vielfaches wahrscheinlicher ist, bei einem Haushalts- oder einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen als bei einem terroristischen Anschlag, kann die Videodrohung bei rational denkenden Menschen nicht verfangen. Welcher Bundesbürger sollte nun seine Wahlentscheidung revidieren und SPD wählen, um damit dennoch keinen baldigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu bewirken, so daß er nach wie vor dem angedrohten Anschlag zum Opfer fallen könnte? Welcher CDU-Wähler wird aus Terrorangst nun die Linke wählen, während er weiß, daß dies im beabsichtigten Sinn eines schnellen Abzugs der Bundeswehr gar nichts nützen kann, da diese Partei keinesfalls an einer Bundesregierung beteiligt sein wird? Im Zweifelsfall schadet die Terrorbotschaft gerade der einzigen Partei, die offen gegen den Bundeswehreinsatz opponiert, einfach deshalb, weil ihre Forderung mit der Al Qaidas in Deckung gebracht werden kann.

Bei all den Wählern, die als Adressaten vordergründiger Propaganda in Frage kommen, führt eine solche Drohung dazu, die innere wie äußere Aufrüstung des Sicherheitsstaats zu unterstützen. Wie verwirrt der Mann, der auf dem Video zu erblicken ist, auch sein mag, so dürfte er sich klar darüber sein, daß eine Kriegserklärung mit einer Kriegserklärung beantwortet wird. Wenn man ihm überhaupt ein seiner Forderung entsprechendes Interesse unterstellen will, dann dient dieses ebenso der Eskalation der Gewalt, wie es bei NATO-Funktionären der Fall ist, die meinen, das Militärbündnis müsse in Afghanistan erfolgreich sein, um auch in vielen anderen Ländern noch siegreiche Schlachten schlagen zu können.

19. September 2009