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PROPAGANDA/1317: Kein Spendenaufruf für Gaza - Kniefall der BBC (SB)



Mit seiner Weigerung, einen Spendenaufruf für die notleidenden Menschen im Gazastreifen auszustrahlen, hat der britische Sender BBC nicht nur seinem Ruf einer anerkannten Institution der Medienwelt schweren Schaden zugefügt, sondern offenbar auch in eklatanter Fehleinschätzung der Reaktion auf dieses Manöver ein Eigentor in der Sache geschossen.

"Die Kinder von Gaza leiden. Viele kämpfen ums Überleben, haben keine Heimstatt mehr, brauchen dringend zu essen und zu trinken. (...) Heute geht es nicht um richtig und falsch in diesem Konflikt. Diese Menschen brauchen einfach unsere Hilfe."

Das war die zentrale Aussage des zweiminütigen Spots, welche nach Auffassung der Leitung des Senders gegen das Gebot der Unparteilichkeit verstieß. Wie Generaldirektor Mark Thompson erklärte, könne er nicht zulassen, daß die BBC ihre Unparteilichkeit gefährde, indem sie den Anschein erwecke, sich für die Opfer einer Seite eines komplizierten Konflikts zu engagieren. Seiner Ansicht nach breche eine derartige Berichterstattung mit der strengen Pflicht, unparteiisch zu berichten.

Der Spendenaufruf eines Dachverbands von dreizehn gemeinnützigen Organisationen, darunter das Britische Rote Kreuz und Save the Children, wurde von den drei Konkurrenzsendern Channel 4, Intervention und Five ausgestrahlt, während Sky News aus dem Medienimperium Rupert Murdochs dem fragwürdigen Vorbild der BBC folgte.

Es war keineswegs das erste Mal, daß die BBC die Ausstrahlung eines Spendenaufrufs abgelehnt hat. So weigerte sie sich 2006, einen Aufruf für die Opfer des Angriffs der israelischen Streitkräfte auf den Libanon zu senden, und erklärte sich 2008 nach der Flutkatastrophe in Myanmar erst zur Sendung bereit, nachdem angeblich sichergestellt war, daß die Hilfe die Opfer tatsächlich erreichen würde. Offenbar hatte man in der Führungsetage des Senders angenommen, daß nach solcher ohne viel Aufhebens über die Bühne gegangenen Vorarbeit der jüngste Coup ein Selbstgänger wäre. Das sollte sich als krasse Verkennung erweisen.

Es brach ein Sturm der Entrüstung los, der die journalistische Qualität der 97 Jahre alten Institution ernsthaft in Zweifel zog. Wohl sieht die Charta des weltgrößten Senders in der Tat vor, daß die Berichterstattung von politischen und kommerziellen Einflüssen unabhängig sein müsse und ausschließlich den Zuschauern und Zuhörern verpflichtet sei. Wieso aber ausgerechnet die Weigerung, einen Spendenaufruf für die Bewohner des Gazastreifens auszustrahlen, diese Auflage erfülle, konnten selbst viele BBC-Journalisten nicht nachvollziehen, die empört gegen den Maulkorb protestierten.

Zehntausende Zuschauer verliehen ihrem Mißfallen Ausdruck und legten offiziell Beschwerde ein, Gewerkschafter übten scharfe Kritik, Kabinettsmitglieder schüttelten ungläubig den Kopf, Dutzende Parlamentsabgeordnete unterzeichneten eine Protestnote und kirchliche Kreise bis hin zum Erzbischof von Canterbury artikulierten ihr Unbehagen. Demonstranten, welche die Büroräume der BBC in London stürmten, wurden von Polizeikräften gewaltsam daraus vertrieben.

Dabei war noch der geringste Vorwurf, das Management habe die Statuten übereifrig ausgelegt oder angesichts des brisanten Konflikts einer Panikreaktion stattgegeben. Der Generalsekretär der Britischen Journalistengewerkschaft, Jeremy Dear, warnte vor einem Ansehensverlust journalistischer Arbeit in aller Welt, da die meisten Menschen aus dieser Entscheidung der BBC nicht etwa die Unabhängigkeit des Senders, sondern im Gegenteil seine Parteilichkeit schlußfolgern würden. Für die künftige Berichterstattung aus dem Nahem Osten werde sich das nicht nur als Belastung, sondern darüber hinaus als Sicherheitsrisiko erweisen.

Die Operationen der BBC in dieser Weltregion sind nicht erst seit gestern umstritten. So hat die israelische Regierung in der Vergangenheit des öfteren den Vorwurf erhoben, die Berichterstattung des Senders über den Nahost-Konflikt sei unausgewogen. Nachdem 2004 erneut eine israelfeindliche Einstellung moniert worden war, verfaßte die BBC einen internen Bericht, der jedoch nie veröffentlicht wurde. Wie ein Vertreter der israelischen Regierung dieser Tage treuherzig versicherte, habe man keinerlei Druck auf die BBC ausgeübt, um die Ausstrahlung des Aufrufs zu verhindern. Das gehe die Regierung Israels ja nichts an, die niemandem vorschreibe, was er zu senden oder nicht zu senden habe. Es handle sich um eine durchweg interne britische Debatte. Die israelische Regierung sei ja auch gar nicht in der Lage, Druck in dieser Angelegenheit auszuüben, da sie über keinen diesbezüglichen Hebel verfüge.

Angesichts des Medienkriegs, der noch immer um den Angriff auf den Gazastreifen tobt, setzt diese Erklärung der perfiden Vorgehensweise der BBC die Krone auf. Während Al-Dschasira rund um die Uhr von dem Massaker berichtet und die arabische Welt mit Bildern und Berichten des Grauens zutiefst erschüttert hatte, herrschte in den westlichen Ländern eine regelrechte Nachrichtensperre. Israel hielt die Medien fern, ohne gänzlich verhindern zu können, daß selbst "eingebettete" Journalisten, denen man schließlich unter strenger Aufsicht eingeschränkten Zugang zu ausgewählten Szenarien gewährte, immer noch genug Entsetzliches zu berichten wußten.

Beim 22 Tage währenden Wüten der israelischen Kriegsmaschinerie im Gazastreifen wurden rund 1.300 Palästinenser getötet, darunter Hunderte Kinder. Wenn es nun ein renommierter Sender wie die BBC ablehnt, Bilder notleidender Kinder samt einem ausdrücklich neutral formulierten Spendenaufruf auszustrahlen, wird damit der unabhängige Journalismus, soweit es ihn je gegeben hat, endgültig zu Grabe getragen. Offenbar wähnte sich die Leitung der BBC auf der sicheren Seite, als sie sich zur Kollaboration mit dem übermächtigen Aggressor entschloß. Wie die Empörung in beträchtlichen Teilen der britischen Öffentlichkeit zeigt, scheint das Empfinden von Menschlichkeit und Gerechtigkeit jedoch noch längst nicht so weit abhanden gekommen zu sein, daß man David mit Goliath verwechseln würde.

29. Januar 2009