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HERRSCHAFT/1879: AfD - aktuelle Flügelkämpfe ... (SB)



Wer fordert, dass sich die Partei in zwei Lager auftrenne, besorgt das Geschäft des politischen Gegners. Die Partei steht vor einer Bundestagswahl im kommenden Jahr - und da ist es nicht angezeigt, sich in zwei Hälften zu teilen. Stellungnahme aus dem Umfeld Alice Weidels [1]

In der AfD ist der Machtkampf um den künftigen Kurs der Partei und deren Führung offen ausgebrochen. Angetrieben durch die Intervention des Verfassungsschutzes gegen den "Flügel" und befördert durch den tendentiellen Bedeutungsverlust in der Corona-Krise versucht die moderatere Fraktion, rechtsextreme Exponenten wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz loszuwerden. Der "Flügel" hat sich zwar auf Druck des Parteivorstands offiziell aufgelöst, nicht aber seine Aktivitäten eingestellt. Nun hat der Co-Vorsitzende Jörg Meuthen sogar eine Spaltung der AfD ins Gespräch gebracht, sich damit aber umgehend die Gegnerschaft des restlichen Vorstands eingehandelt. Dies stärkt im Grunde die rechtsextreme Strömung, die stets die Einheit der Partei, wenngleich natürlich in ihrem Sinne, beschworen hat und dabei insbesondere von dem früheren Vorsitzenden Alexander Gauland durchweg protegiert wurde.

Ist die AfD nun dabei, sich selbst zu zerlegen und damit ihren Einfluß weitgehend einzubüßen? Ihr ist es gelungen, die traditionelle Zerstrittenheit der rechten bis rechtsextremen Szene zugunsten eines Parteiprojekts zu überwinden, das bislang außerordentlich erfolgreich war. Würde sie sich in zwei Teile aufspalten, könnten diese auch zusammengerechnet kaum die zuvor erreichte Zustimmung in der Bevölkerung verbuchen. Zu erwarten wäre eher eine Talfahrt bis in die weitgehende Bedeutungslosigkeit. Daher kann man davon ausgehen, daß einflußreiche innerparteiliche Kräfte nichts unversucht lassen werden, trotz aller Differenzen die AfD zusammenzuhalten und das äußere Erscheinungsbild wenn irgend möglich zu konsolidieren.

Die Genugtuung angesichts dieser Erschütterungen der AfD sollte sich in Grenzen halten, resultieren sie doch nicht aus einem Bündnis der Linken mit basisdemokratischen Bestrebungen, das von unten her erfolgreich Druck entfaltet und diese Partei ins Wanken gebracht hätte. Ausschlaggebend dafür, die innerparteilichen Widersprüche zur Explosion zu bringen, war vielmehr die Strategie des Staatsschutzes, in einer vorgeblichen Kehrtwende nun auch die extreme Rechte konsequent ins Visier zu nehmen. Hinzu kommt gegenwärtig die Corona-Krise, in der die Exekutive und namentlich führende Repräsentanten der Union de facto per Selbstermächtigung das Krisenmanagement nutzen, um massiv in die Grundrechte einzugreifen. Das hat alle anderen Parteien mehr oder weniger in den Hintergrund gedrängt und der AfD in Umfragen einen Absturz auf nur mehr 10 Prozent beschert. Die Turbulenzen dieser rechten Partei resultieren also direkt oder mittelbar aus Angriffen des Staates, der seine Krallen ausfährt und administrative Wirkmacht entfaltet.

Die AfD setzt sich aus den drei Strömungen nationalkonservativ, nationalneoliberal und völkisch zusammen, die teils gemeinsame Schnittmengen aufweisen, teils aber auch einander widersprechende Positionen vorhalten. Diese Widerspruchslage drängte zwangsläufig zu einer Klärung oder aber einem regelrechten Konflikt, wie er sich derzeit abspielt. Der Verfassungsschutz hat gewissermaßen ins Wespennest gestochen, diesen Prozeß forciert und muß sich der möglichen Folgen seiner Intervention bewußt gewesen sein, ohne jedoch ihren Verlauf und Ausgang präzise vorhersagen zu können. Bislang gereichte die inhaltliche Varianz der AfD zum Vorteil, da sie viele verschiedene Forderungen rechtskonservativen Protests integrieren und sich als einzige politische Kraft des Widerspruchs inszenieren konnte. Sie trieb die anderen Parteien vor sich her und brauchte keine in sich schlüssige Programmatik vorzuhalten, die von der Wählerschaft überprüft worden wäre. Jetzt wird die AfD plötzlich vom Verfassungsschutz getrieben, während die von Merkel, Spahn und Söder in Stellung gebrachte Exekutive das ganze Land vor sich hertreibt. Kein Wunder, daß die AfD genau in dieser Phase an inneren Zerwürfnissen aufzuplatzen scheint.

Seinerseits eher von der Eskalation mitgerissen als aufgrund fundierter taktischer Planung hat Jörg Meuthen einen großen Stein ins Wasser geworfen. In einem Interview mit dem rechten Blog "Tichys Einblick" schlug er überraschend vor, die AfD in zwei Schwesterparteien aufzuteilen, eine flügelnahe nationale und eine eher national-freiheitliche, die den Rest der AfD und damit etwa zwei Drittel der Mitglieder umfaßt. Da dieses Interview mit dem Bundesvorstand nicht abgestimmt war, sorgte es binnen Minuten für einen Sturm in der Partei. Der Vorstoß kam für manchen angeblich so unverhofft, daß ihn ein Bundesvorstand sogar für einen Aprilscherz hielt.

Kaum war die Äußerung Meuthens im Internet zu lesen, als sie auch schon in zahlreichen AfD-Chatgruppen geteilt und kontrovers diskutiert wurde. Dem Vernehmen nach liefen die Telefone zwischen den Mitgliedern in Bundes- und Landesvorständen heiß und es gab offenbar erste Telefonkonferenzen darüber, wie die Parteispitze reagieren solle und ob sich Meuthen weiter in seiner Position halten könne. Er hatte sich bereits in der vergangenen Woche stärker als zuvor vom rechtsextremen "Flügel" distanziert und erklärt, daß seiner Auffassung nach Teile des "Flügels" nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stünden. Die Idee einer Trennung der Partei hatte Meuthen dem nach wie vor einflußreichen Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland offenbar schon am Montag nahegebracht.

Gauland, der als Beschützer des "Flügels" gilt, soll darüber so alarmiert gewesen sein, daß er Meuthens Gedanken mit Teilen der Bundestagsfraktion besprochen habe. In einem Rundbrief hatten sich Gauland, Alice Weidel und Tino Chrupalla am Dienstagabend ihrerseits unabgestimmt an die Mitglieder gewandt und die Einheit der Partei beschworen. Meuthen, dem diese und weitere Gegenwehr nicht verborgen geblieben war, ließ sich jedoch nicht beirren und zog den Veröffentlichungstermin seines Interviews sogar auf Mittwoch vor.

Aus dem Umfeld Weidels verlautete, daß im Parteivorstand jetzt enormes Konfliktpotential gesehen werde und eine sehr angespannte Stimmung herrsche: "Wer fordert, dass sich die Partei in zwei Lager auftrenne, besorgt das Geschäft des politischen Gegners. Die Partei steht vor einer Bundestagswahl im kommenden Jahr - und da ist es nicht angezeigt, sich in zwei Hälften zu teilen."

Auch aus dem Kreis jener acht Bundesvorstände, die mit Meuthen zuletzt einvernehmlich eine flügelkritische Linie eingeschlagen hatten, kommt nun scharfe Kritik. Unterstützen wollte den Vorstoß auf Anfrage keiner seiner Kollegen. Bundesvorstandsmitglied Beatrix von Storch forderte als Reaktion auf das Interview eine deutliche Abgrenzung von extremistischen Personen: "Die AfD ist keine Westpartei, keine Ostpartei, sondern eine Partei für ganz Deutschland und das wird sie bleiben". Der kommissarische Bundesschatzmeister Carsten Hütter erteilte Meuthen eine Absage: "Ich stehe definitiv für keine wie auch immer umschriebene Ab- oder Aufspaltung der Partei zur Verfügung, weil dies den Erfolg unserer Partei gefährdet." Auch Bundesvorstand Stephan Protschka betonte auf Anfrage: "Ich bin für die Einheit der Partei, denn nur zusammen sind wir stark."

Jörg Meuthen selbst versuchte zu beschwichtigen: "Ich stoße als Parteivorsitzender eine Diskussion ohne Denkverbote an. Ich stelle eine einvernehmliche Trennung als eine mögliche bessere Option in den Raum, keine Spaltung." Im Interview hatte er gesagt: "Jeder weiß, dass der Flügel und dessen maßgebliche Exponenten uns ganz massiv Wählerstimmen im bürgerlichen Lager kosten, und ich denke auch, dass die ordoliberalen Ansichten des bürgerlich-konservativen Teils der AfD noch bessere Ergebnisse im staatspaternalistischen Wählermilieu des Flügels verhindern." Insgesamt ließen sich bei einer Teilung in zwei Parteien wohl mehr und nicht etwa weniger Wähler erreichen als in der "derzeitigen, wenn man einmal ehrlich ist, permanent konfliktträchtigen Konstellation". Es gehe keineswegs um eine Spaltung in eine Ost- und eine West-AfD. Denn beide Lager hätten in allen Bundesländern Anhänger. [2]

Da in den Parteitagsreden der AfD seit Jahren die beschworene Einheit nie fehlen durfte, kommt Meuthens Vorstoß einem Tabubruch gleich. Er hat sich damit nach Lage der Dinge vergaloppiert und steht mit seinem Vorschlag in der Führungsriege ohne Unterstützung da. Einige Funktionäre erklärten, daß sie Abwahlanträge gegen Meuthen oder sogar den gesamten Bundesvorstand erwarteten. Man kann wohl davon ausgehen, daß er die Flucht nach vorn angetreten hat, weil ihm im Machtkampf um den Parteivorsitz die Felle wegzuschwimmen drohten. Da sich Parteivize Weidel und Co-Parteichef Chrupalla mit den "Flügel"-Mitgliedern arrangiert haben und auch eine Doppelspitze zur Bundestagswahl anstreben sollen, scheint Meuthen seine Chance in einer Partei ohne den "Flügel" zu sehen, in der er Vorsitzender bleiben könnte.

Die Stellungnahme Weidels und Gaulands, in der von einer "Rückkehr zur inneren Einheit der Partei" und vom "freiheitlich-sozialen Kurs" der AfD die Rede ist, wurde von einigen Funktionären der Partei als Friedensangebot an die Protagonisten des ehemaligen "Flügels" verstanden. In dessen Kreisen wurde die Stellungnahme entsprechend positiv aufgenommen und auf der Facebook-Seite mit dem Kommentar "Für eine geeinte und starke AfD! Wir lassen uns nicht spalten! Danke, Alexander Gauland, Tino Chrupalla und Alice Weidel" gepostet. Eine Gruppe von teilweise anonymen Gegnern Meuthens lancierte unterdessen im Internet eine Rücktrittsforderung an den Parteichef.

Höcke und Kalbitz hatten Ende März die Auflösung des einflußreichen Netzwerks angekündigt und in einem Brief erklärt: "Um die Einheit der Partei zu wahren und das Projekt einer politischen Alternative für Deutschland nicht zu gefährden, haben Björn Höcke und Andreas Kalbitz entschieden, diesem Wunsch (der Parteispitze) nachzukommen. Wir fordern alle, die sich der Interessensgemeinschaft angehörig fühlen, auf, bis zum 30. April ihre Aktivitäten im Rahmen des Flügels einzustellen." Der "Flügel" sei vor allem in den Anfangsjahren der AfD "ein zuverlässiger Kompass" gewesen und habe die Partei "vor einer allzu leichtfertigen Anpassung an die etablierten Kräfte bewahrt". "Jede Organisationsform kann nur Mittel zum Zweck sein. Der politische Einsatz geht weiter und fordert unsere ganze Kraft." [3]

"Das ist eine Nebelkerze", schätzte Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer das Manöver wohl angemessen ein. Als Reaktion auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz werde der "Flügel" pro forma aufgelöst, die Arbeit aber fortgesetzt. Entscheidend sei, ob sich die Gesinnung ändere, betonte auch Georg Maier, Innenminister in Thüringen. Jüngste Äußerungen von Höcke und anderen Anhängern des "Flügels" ließen nicht darauf schließen. Höcke und Kalbitz würden weiterhin rechtsextremistische Positionen vertreten und versuchen, ihre innerparteilichen Kritiker auszuschalten.

Meuthen hatte seine Angriffe auf Höcke und Kalbitz zwischenzeitlich verschärft und in der FAZ angekündigt: "Wir zerschlagen jetzt deren institutionelle Strukturen. Die haben ihre Homepage, die haben ihre Treffen, ihr Logo. Wir zerschlagen Strukturen, was es dieser Gruppierung viel schwerer macht, gemeinsam zuzuschlagen." Diese offene Kampfansage blieb nicht unbeantwortet. Wie es auf der Facebook-Seite des "Flügels" hieß, bleibe angesichts dieser Äußerungen "nicht viel Raum für ein konstruktives Miteinander. Dieses übermütige Gebaren zeigt nicht nur einen sehr schlechten Stil; solche Worte können als Aufforderung zu einem neuen internen Streit verstanden werden, der die Partei spalten könnte." [4]

Meuthen hat es nicht dabei belassen, den wachsenden Unmut des noch überwiegenden Teils der Parteimitglieder gegen Höcke und Kalbitz weiter zu nähren und den Machtkampf gegen deren Anhängerschaft innerparteilich auszubauen. Er ließ sich vielmehr vom "Flügel" in die Ecke des Spalters treiben, wo er plötzlich isoliert dastand und im Grunde nur verlieren konnte. Der von ihm auf die Tagesordnung gesetzte Bruch findet nicht statt, die zuvor in die Defensive gedrängte rechtsextreme Strömung in der AfD geht gestärkt aus dieser Auseinandersetzung hervor.


Fußnoten:

[1] www.tagesschau.de/investigativ/wdr/afd-meuthen-fluegel-105.html

[2] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_87636622/afd-meuthen-spricht-ueber-spaltung-der-partei-.html

[3] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_87586276/afd-hoecke-und-kalbitz-rufen-offiziell-zur-aufloesung-des-fluegels-auf.html

[4] www.zeit.de/politik/deutschland/2020-04/joerg-meuthen-afd-fluegel-bjoern-hoecke-abspaltung

2. April 2020


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