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HERRSCHAFT/1864: CDU - in der Thronfolge erste Wahl ... (SB)



Mit 25 Prozent CDU und 20 Prozent Grünen und sechs Prozent FDP ist Friedrich Merz der nächste Bundeskanzler
Martin Schulz prophezeit bei Markus Lanz [1]

Bundeskanzler Friedrich Merz - wie hört sich das an? Was Musik in den Ohren des Sauerländers sein muß, jagt offenbar immer weniger Menschen in seiner Partei und draußen im Land einen kalten Schauer über den Rücken. Fast möchte man meinen, daß sich die vordem geschmähten brachialen und kapitalaffinen Konturen des wiedergekehrten CDU-Granden in einer sturzbachartigen Umkehrung wünschenswerter Qualitäten in Markenzeichen eines Hoffnungsträgers verwandeln. Was längst die Spatzen von den Dächern pfeifen und Merz selber weder bejaht noch dementiert, sondern grinsend genießt, droht zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu entgleisen - sofern es nicht verhindert wird. Die Rache an Angela Merkel, die all das gedeichselt hat, wozu niemand sonst in ihrer Partei fähig war, wobei die Kanzlerin jede ernsthafte Konkurrenz zur Strecke brachte, ist nicht nur ein handfestes persönliches und patriarchales, sondern weit darüber hinaus ideologisches Motiv. Alles hat seine Zeit, heißt es beim Prediger Salomo, und daß die Zeit Merkels, die eine Epoche deutscher Politik und vorherrschender gesellschaftlicher Werte geprägt hat, endgültig abgelaufen sei, befindet nicht nur eine revanchistische Männerriege in der CDU. Für die allenthalben Morgenluft witternde Rechte von AfD und Konsorten ist die Dauerkanzlerin eine Haßfigur erster Güte, die uns all das eingebrockt habe, worunter der weiße deutsche Mann und das von ihm definierte Volk zu leiden haben.

Als es bei Markus Lanz in einer Runde mit Friedrich Merz, Martin Schulz, der Spiegel-Redakteurin Melanie Amann und dem Journalisten Heiner Bremer um die katastrophale Wahl in Thüringen ging, versäumte es Merz natürlich nicht, vor allem über seine eigene Rolle in der Zukunft der CDU zu sprechen. Und als Schulz verkündete, daß Friedrich Merz "mit 25 Prozent CDU und 20 Prozent Grünen und sechs Prozent FDP" der nächste Bundeskanzler werde, brach das Publikum in Jubel aus. Der so auf den medialen Schild Gehobene gab als Ziel vor, die Hälfte der AfD-Wähler zurückzugewinnen und die Union zu ihrer alten Stärke als Volkspartei zurückzuführen, um künftig Situationen wie die in Erfurt zu verhindern. Auf den Einwand des Moderators, die Partei könne ihn mangels Ämtern einfach entspannt auflaufen lassen, erwiderte Merz: "Das wollen wir ja mal sehen", was Lanz nicht zu Unrecht als "Kampfansage" verstand.

Wie ernst es Friedrich Merz damit ist, seinen Hut in den Ring der Politik auf höchster Ebene zu werfen, unterstrich seine Ankündigung, er werde seine Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender beim Vermögensverwalter Blackrock in Deutschland zum Ende des ersten Quartals beenden. Er wolle seine Zeit nun nutzen, "die CDU noch stärker bei ihrer Erneuerung zu unterstützen" und sich "weiter politisch einzubringen". Deutschland und Europa stünden zu Beginn des neuen Jahrzehnts vor großen Herausforderungen. "Ich möchte dazu beitragen, dass unser Land erfolgreich bleibt und zukunftsfähig wird", sagte Merz. Eine Kandidatur bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr läßt er weiterhin offen. Nach den Worten seines Sprechers Armin Peter habe Merz vor kurzen deutlich gemacht, daß er sich auch um ein Bundestagsmandat bewerben werde, falls er nochmals ganz in die Politik zurückgehe. Weiterhin gelte für Merz, daß derzeit in der CDU keine Personaldebatten geführt werden müßten, es gehe um Sachfragen. Indem er vorgeblich offenhält, was inzwischen alle Welt von ihm erwartet, verschafft sich Merz mediale Aufmerksamkeit, da die Spekulationen zwangsläufig ins Kraut schießen. [2]

Friedrich Merz war von 1994 bis 2009 Bundestagsabgeordneter, von 2000 bis 2002 Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag. Nach der Bundestagswahl 2002 beanspruchte Angela Merkel den Fraktionsvorsitz für sich und setzte sich im Machtkampf durch. Ihr alter Widersacher mußte nach seiner Rückkehr auf die politische Bühne im ersten Anlauf auf die Thronfolge an der Parteispitze allerdings eine Niederlage hinnehmen. Offenbar unter Federführung Wolfgang Schäubles hatte der sogenannte Andenpakt im März 2018 eine Absprache über die Kandidatur um die Nachfolge Merkels als Parteivorsitzende getroffen. Merz trat im Dezember 2018 beim Bundesparteitag der CDU neben Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn an, mußte sich aber im zweiten Wahlgang knapp geschlagen geben. Nachdem er Ambitionen für ein Amt als Bundesminister geäußert hatte, erklärte Kramp-Karrenbauer ihre Bereitschaft, ihn in ein von ihr geführtes Kabinett aufzunehmen, sofern er sich bis dahin ihr gegenüber wohlverhielte und ein politisches Amt übernehme. Da er sein Aufsichtsratsmandat behalten wolle, genüge ihr insoweit auch seine Mitarbeit im CDU-Wirtschaftsrat, dessen Vizepräsident Merz denn auch seit dem 4. Juni 2019 ist.

Merz bot der CDU-Spitze wiederholt an, in einem Team für den nächsten Wahlkampf eine Rolle zu spielen, und wurde insbesondere vom Wirtschaftsflügel immer wieder auch als möglicher Wirtschafts- oder Finanzminister gehandelt. Daß er noch höher hinaus will, hatte sich jedoch spätestens nach dem Fiasko der CDU in Thüringen, die bei der Landtagswahl um fast zwölf Prozentpunkte abstürzte, in aller Deutlichkeit abgezeichnet. Merz ging in die Offensive und führte die Schlappe auf das "grottenschlechte" Erscheinungsbild der großen Koalition in Berlin zurück. Das hänge damit zusammen, daß sich "seit Jahren über dieses Land wie ein Nebelteppich die Untätigkeit und die mangelnde Führung durch die Bundeskanzlerin legt". Er könne sich nicht vorstellen, daß diese Art des Regierens noch zwei Jahre dauere, legte er eine vorzeitige Ablösung nahe. "Brutale Abrechnung mit Merkel", nahm Bild den Ball auf und vermeldete, "ein kleiner, verschwiegener Trupp Vertrauter" arbeite seit einigen Wochen im Hintergrund an der "Operation Merz", deren Ziel offenbar die Demontage Merkels sei. [3]

Da Annegret Kramp-Karrenbauer als Vertraute Merkels gilt, fiel ins Auge, daß Merz sie ausdrücklich bei seiner Kritik aussparte. Er habe ihr Unterstützung zugesagt und stehe dazu auch in schwierigen Zeiten. Das könnte auf eine Art innerparteiliche Übereinkunft zwischen den Lagern hindeuten, der zufolge Merz Kanzlerkandidat wird, während Kramp-Karrenbauer den Parteivorsitz behält. Daß deren Eignung für das Kanzleramt in Meinungsumfragen wie auch in der Union zunehmend in Zweifel gezogen wird, muß Wasser auf die Mühlen ihres Rivalen sein, der genüßlich verfolgen kann, wie sie auf dem absteigenden Ast immer weiter abrutscht. Merz hat sich bei der Kandidatur um den Vorsitz knapp in den Kräfteverhältnissen verschätzt und löscht die Erinnerung an seine Niederlage, indem er eine Etage höher greift. Schlechte Wahlergebnisse der CDU und der Ansehensverlust seiner innerparteilichen Konkurrenz spielen ihm in die Karten, und wenn der Ruf nach Rettung immer lauter erschallt, will er zur Stelle sein.

Wird die Partei ignorieren und die Wählerschaft vergessen machen, aus welchen Gründen Friedrich Merz in der Vergangenheit so oft ein rotes Tuch war? Blackrock als berüchtigter Inbegriff der Macht des globalen Finanzkapitals war nur der vorläufige Endpunkt einer langen Kette ebenso einflußreicher wie lukrativer Posten in Beratungs- und Kontrollfunktionen, die Merz im Laufe der Jahre wahrgenommen hat. Aufschlußreich war beispielsweise der Auftrag des Bankenrettungsfonds Soffin, der ihn im Juni 2010 damit betraute, den Verkaufsprozeß der WestLB an einen privaten Investor zu leiten. Nach Beginn der Verhandlungen über einen Teilverkauf mit HSBC Trinkaus & Burkhardt endete seine Tätigkeit Mitte Mai 2011, wobei einige Medien einen Interessenkonflikt wegen seiner Mitgliedschaft im HSBC-Aufsichtsrat vermuteten, was Merz zurückwies. Die mit ihm vereinbarte Höhe des Honorars lag nach unbestätigten Medienberichten bei 5.000 Euro pro Kalendertag. Frontal21 kritisierte, daß Merz 5.000 Euro pro Tag auch samstags und sonntags (insgesamt 1.980.000 Euro für 396 Tage) für "erfolglose Arbeit" vom Steuerzahler erhielt.

Im November 2018 sagte Merz auf Nachfrage in einem Interview mit der Bild-Zeitung, daß er Millionär sei und zur gehobenen Mittelschicht gehöre, aber mit Sicherheit nicht "zu dieser kleinen, sehr vermögenden, sehr wohlhabenden Oberschicht". Er lebe in geordneten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die ihm eine hohe persönliche und politische Unabhängigkeit verliehen. Mit Einkünften, die nach seinen Angaben eine Million Euro brutto im Jahr betragen, Immobilien in Arnsberg und am Tegernsee sowie zwei Flugzeugen dürfte er nicht am Hungertuch nagen.

Mit seiner wirtschaftlichen Situation und gesellschaftlichen Stellung korrespondieren politische Positionen, die dafür sorgen sollen, daß sich die Verhältnisse für ihn und seinesgleichen keinesfalls ändern. Er ist Gründungsmitglied der von Arbeitgeberverbänden getragenen Denkfabrik Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) und trat als Vertreter des konservativ-wirtschaftsliberalen Parteiflügels für Deregulierungen, Privatisierungen und Kürzungen von Sozialleistungen ein: Deutliche Senkung der Regelsätze bei Hartz IV, eine Existenzsicherung auf niedrigstem Niveau, ein Renteneintrittsalter von 70 Jahren, komplette Abschaffung des Kündigungsschutzes und viele soziale Grausamkeiten mehr. Erwähnenswert auch sein Eintreten für eine "deutsche Leitkultur", gegen offene Grenzen, für ein konsequentes Vorgehen bei der inneren Sicherheit, gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe, für eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke oder eine Mitfinanzierung von Kindergärten, Schulen und Universitäten durch Eltern und Ehemalige.

Das sind Positionen, die ihn in der Vergangenheit als Kanzlerkandidaten mehr oder minder unwählbar gemacht hätten. Doch es steht zu befürchten, daß er heute nicht einmal Kreide fressen muß, weil ihn gerade dieser Ruf des Hardliners in den Rang eines Heilsbringers erhebt, der die Abrechnung mit der Ära Merkel vollendet und die CDU dorthin zu treiben verspricht, wo sie dank harter Bandagen im Revier der AfD zu wildern beginnt.


Fußnoten:

[1] www.welt.de/politik/deutschland/article205638647/Thueringen-Das-wollen-wir-mal-sehen-Friedrich-Merz-Kampfansage-bei-Lanz.html

[2] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_87286994/friedrich-merz-gibt-job-bei-blackrock-auf-cdu-staerker-unterstuetzen-.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/365759.fraktionskampf-in-der-cdu-merz-greift-an.html

8. Februar 2020


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