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HERRSCHAFT/1853: Klimagerecht - nicht mit der AfD ... (SB)



Naturschutz darf nicht zu Lasten der Menschen gehen.
Aus dem AfD-Grundsatzprogramm [1]

Es spricht sich allmählich herum - die Klimakrise ist von der sozialen Frage nicht zu lösen, sondern Ergebnis der bislang auf sie gegebenen Antwort, den eigenen Reichtum durch Ausbeutung menschlichen, tierlichen und pflanzlichen Lebens zu erwirtschaften. Der fossile Kapitalismus war nie ein Projekt allgemeiner Menschheitsbeglückung, sondern politökonomisches Resultat der sozialen Kämpfe um administrative Verfügungsgewalt, soziale Kontrolle und privatwirtschaftliche Akkumulation. Die Eindämmung ökologischer Zerstörung ist unauflöslich mit der überfälligen Herstellung sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit verbunden, und das nicht in einem Land, sondern grenzüberschreitend. Als abstrakte Kategorie menschlicher Verleugnung der eigenen Herkunft fungiert "die Natur" als Projektionsfläche eines Aneignungsstrebens, das die Unverwechselbarkeit und Unvergleichlichkeit jedes Lebens auf eine quantifizierbare und tauschbare Ressource zum endlichen Verbrauch reduziert. Erst mit diesem Konstrukt konnte der Mensch zum Herren der Schöpfung ermächtigt werden und Gewaltverhältnisse aller Art in die Welt setzen.

Deren Naturalisierung ist nicht umsonst ein zentrales Merkmal rechter Ideologie. Der Rechtfertigung von Rassismus und Nationalchauvinismus, von Fleischkonsum und Autofetisch liegen Ordnungsvorstellungen zugrunde, deren patriarchaler Charakter die Herrschaft über alles vermeintlich Schwache begründet. Die Verteidigung der zweigeschlechtlichen Ehe als zentrales Institut gesellschaftlicher Reproduktion und die Abwehr der Gleichstellung nicht heterosexueller Lebensformen, all das sind Merkmale einer biologistisch begründeten Weltanschauung, die sich der Natur als Legitimationsquelle ebenso bedient, wie sie nicht der weißen europäischen zivilisatorischen Entwicklung zugehörige Lebenswirklichkeiten als unhinterfragbares Lehen eigenen Nutzens in Gebrauch nimmt.

Demgegenüber könnte sich der sozialökologische Universalismus der Klimagerechtigkeitsbewegung nicht besser dazu eignen, zum primären Feindbild der extremen Rechten zu avancieren. Die Herstellung globaler Bewegungsfreiheit, ohne die Menschen aus nicht mehr bewohnbaren Weltregionen dem Tod preisgegeben sind, die Aufhebung kapitalistischer Wachstumsdoktrin und die Anerkennung der Notwendigkeit, den aus dem historischen Mehrverbrauch natürlicher Ressourcen erwirtschafteten Reichtum der hochentwickelten Industriestaaten an die Bevölkerungen des Globalen Südens zurückzuerstatten, bedrohen den Bestand des imaginierten Volkskörpers im Kern. Sich diesem qua Geburt zugehörig zu fühlen ist kein besonderes Verdienst, soll aber darüber befinden, wer leben darf und wer sterben muß.

Wie im Falle der AfD, die die deutsche Klimaschutzpolitik schon deshalb für überzogen hält, weil sie weltweit keine größere Wirkung erzielen könne, versucht die Rechte überall, stets die anderen für die sich anbahnende Katastrophe verantwortlich zu machen. Dies ist das legitimatorische Fundament jener Bunkermentalität, aufgrund der sich die am Weltmarkt ausgetragene Konkurrenz der Nationalstaaten, denen jede ökologisch begründete Mehrbelastung ein zu vermeidender Wettbewerbsnachteil ist, als größtes Hindernis beim Ergreifen weltweit wirksamer Klimaschutzmaßnahmen erwiesen hat. Der Eigentumsvorbehalt zieht sich vertikal durch alle Organisationsebenen und macht die Erkenntnis, daß der Wandel zu weniger zerstörerischen Formen der Vergesellschaftung nur in kollektiver Dimension Wirkung zeigen kann, absichtsvoll zunichte.

Indem die AfD, so Fraktionschef Gauland, auf das "Alleinstellungsmerkmal" setzt, "den Irrsinn" nicht mitzumachen, den Greta Thunberg "angeheizt" habe, als sie bei ihrer Rede auf dem UN-Klimagipfel "ausrastete" [2], versucht sie das große Wählerpotential derjenigen für sich zu gewinnen, die keinerlei Zugeständnisse an die Erfordernisse eines bemühten Klimaschutzes zu machen bereit sind. So verhindert die Wahlarithmetik der repräsentativen Demokratie, politische Entscheidungen von so großer Tragweite zu treffen, daß die seit 200 Jahren aufgehäufte Rechnung fossiler Energieproduktion keine genozidalen Auswirkungen zeitigen wird. Wie überall schreibt der Status quo herrschender Stellvertreterpolitik auch hier vorhandene Besitzstände fort, die seit jeher durch das System strukturell eingeschränkter und von Partikularinteressen dominierter Politik bevorteilt werden.

Alles soll am besten so bleiben, wie es war, lautet denn auch die unausgesprochene Botschaft der von der AfD zugleich als ineffizient wie überflüssig kritisierten Klimaschutzpolitk der Bundesregierung. Weil die politische Bemittelung des marktwirtschaftlich organisierten Klimaschutzes daran krankt, eben das zur Lösung des Problems zu erklären, was für seine Entstehung wesentlich verantwortlich ist, bedarf es radikaler, grundstürzender Forderungen, wie auch von der Klimagerechtigkeitsbewegung nur teilweise erhoben. Die noch moderate Mehrheit der AktivistInnen fürchtet das Echo offener Ablehnung, mit dem zum Beispiel zu rechnen wäre, wenn die Aufhebung der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung und des kapitalistischen Verwertungsprinzipes als beste Voraussetzung für eine dem Problem adäquate Vorgehensweise verlangt würde.

Wohl wissend, daß die Axt genau dort an die Wurzel herrschender Verhältnisse gelegt werden könnte, schürt die politische Rechte die Angst vor einer bevorstehenden Ökodiktatur. Der mit dem Ruf nach dem Ordnungsrecht durch die Kovorsitzende Baerbock bekräftigte Ruf der Grünen als Verbotspartei nährt den Verdacht, hier solle den Menschen etwas weggenommen werden, und treibt der AfD noch mehr WählerInnen zu. Dabei geht es nicht darum, daß das Verpesten der Luft oder die Zerstörung der Natur einseitig als Freiheit ausgelegt wird, anstatt rücksichtslosen Ressourcenverbrauch als Diktatur des Konsumismus zu brandmarken. Debatten wie diese dienen vor allem dazu, die Temperatur allgemeiner Erregung in der Bevölkerung zu messen, um die Bereitschaft für eine Mobilisierung zu erkunden, die in handgreiflichere Auseinandersetzungen um die Frage mündet, wie weitgehend Produktion und Konsum der Maßgabe des Klimaschutzes zu unterwerfen sind.

Am Ende bleibt die Frage, was von beidem schlimmer ist - die Durchsetzung ungehemmten Naturverbrauchs durch die vermeintlichen Herren der Schöpfung oder materielle Einschränkungen, die stets diejenigen treffen, denen der Zutritt zu den gesellschaftlichen Kommandohöhen ohnehin verwehrt bleibt. Werden derartige Einschränkungen im Rahmen marktwirtschaftlich organisierter Klassengesellschaften durchgesetzt, dann wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit eine Form der Mangelverwaltung etablieren, anhand derer das Privileg großen Verbrauches lediglich weiter nach oben verlagert wird. Ausbeutung und Unterdrückung zu überwinden steht mithin am Anfang wirksamen Klimaschutzes, denn nur so könnten Entscheidungen über die Infrastruktur gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion demokratisch im Interesse aller Beteiligten, also auch der Menschen außerhalb Deutschlands und der EU, getroffen werden.


Fußnoten:

[1] https://cdn.afd.tools/wp-content/uploads/sites/111/2018/01/Programm_AfD_Druck_Online_190118.pdf

[2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article201093000/CO2-Emissionen-Die-AfD-und-die-sogenannte-Klimaschutzpolitik.html

30. September 2019


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