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HERRSCHAFT/1840: Verschwiegenheit - Wechselwirklichkeit der Macht ... (SB)



Offenbar konnten sich neben festen Strukturen einer erfolgreichen Landespolizei Schattenstrukturen aufbauen, die nicht unbemerkt blieben, aber geduldet wurden. (...) Solch ein Verhalten fällt nicht vom Himmel.
Manfred Dachner (Polizeipolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Schweriner Landtag) [1]

Nach der Landtagswahl 2006 kam es in Mecklenburg-Vorpommern zur Bildung einer Großen Koalition. Am 7. November 2006 wurde Lorenz Caffier (CDU) durch den damaligen Ministerpräsidenten Harald Ringstorff (SPD) zum Innenminister ernannt. Im Sommer 2007 war Caffier für den bis dahin größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik verantwortlich. 14.000 Polizistinnen und Polizisten unterstellten die anderen Bundesländer der Obhut des CDU-Politikers, der beim G8-Gipfel in Heiligendamm die Sicherheit der Staats- und Regierungschefs der mächtigsten Industrienationen zu gewährleisten hatte. Hinzu kamen etwa 2000 Sicherheitskräfte, die das Land selbst einsetzte. Damit seien 41 Prozent der Polizeikräfte des Landes gebunden, mehr sei nicht verantwortbar gewesen, sagte Caffier damals. Er rüstete vor dem Gipfel hoch, wie es nur irgend ging. Ein kilometerlanger Zaun, eine weitläufige Sicherheitszone rund um den Tagungsort und Hunderttausende Kontrollen an den Grenzen, dazu die Drohung, gegen "Gewalttäter" werde die Polizei mit allen Mitteln des Rechtsstaats vorgehen. 100 Richter standen bereit, gegen "potentielle Gewalttäter" einen vorbeugenden Unterbindungsgewahrsam für bis zu zehn Tage zu verhängen. Rückblickend gesehen, schuf dies eine Blaupause für die beim G20-Gipfel in Hamburg exzessiv ausgebaute polizeiliche Exekutive zur Aufstandsbekämpfung. [2]

Anfängliche Kritik, Caffier überschätze die Ausmaße des Protests, schlugen ins Gegenteil um, nachdem es zu Auseinandersetzungen in Rostock gekommen war. Gelänge es der Polizei nicht, weitere Ausschreitungen zu verhindern, drohten "gewalttätige Globalisierungsgegner" die Deutungshoheit über den Gipfel zu gewinnen, hieß es nun. Der Einsatzleiter der Polizei in Rostock mußte das Heft vorübergehend an eine übergeordnete Stelle abgeben, und es gewannen Stimmen die Oberhand, die Mecklenburg-Vorpommerns Sicherheitskräfte für überfordert hielten. Um diesen Eindruck zu entkräften, der auch an seinem Stuhl gesägt hätte, stiftete Caffier eine Einsatzmedaille des Landes.

Seine Politik zielte auf eine Stärkung der inneren Sicherheit durch die Neuorganisation der Landespolizei ab, was aber nicht dazu beitrug, seine Popularität bei der Wählerschaft zu befeuern. Als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2011 fuhr er mit 23,0 Prozent das niedrigste Wahlergebnis der CDU in der Landesgeschichte ein und unterbot dieses sogar 2016 mit nur noch 19,0 Prozent. Auch wurde die CDU unter seiner Führung nur drittstärkste Kraft nach SPD und AfD und verlor zahlreiche Direktmandate an Kandidaten dieser Parteien. Fragen von Journalisten und der CDU-Basis nach einem Rücktritt, Kritik an seinem Wahlkampf und Vorwürfe, es gehe ihm vorrangig um seinen Posten als Innenminister, wies er zurück.

Hatte Lorenz Caffier 2007 in Heiligendamm seine Entschlossenheit unter Beweis gestellt, mit aller Macht gegen Gipfelproteste von links vorzugehen, so erweckte er später auch den Eindruck, daß der Kampf gegen den Rechtsextremismus ein Schwerpunkt seiner Arbeit sei. Eine Art Radikalenerlaß sollte durch die Anwendung eines Gesinnungstests verhindern, daß Rechtsextreme in öffentliche Ehrenämter wie Bürgermeister oder Chef der Feuerwehr berufen werden. Dies solle ausschließen, daß Mitglieder von NPD und DVU besonders auf dem Land weitere Anhänger durch Mitarbeit in Vereinen oder Kommunalpolitik gewinnen. "Eine wehrhafte Demokratie kann sich solches Treiben auf Dauer nicht leisten", so Caffier. Das Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung sei die Pflicht eines jeden Beamten und darum auch der Ehrenbeamten.

Während aus den Reihen von SPD und Linkspartei Unterstützung kam, lehnten die Grünen und verschiedene Verbände den Erlaß ab: Autoritäres Gedankengut mit autoritären Maßnahmen zu bekämpfen, werde nicht helfen, sondern drohe im Gegenteil rechtsextreme Einstellungen sogar zu befördern. Mühsam, aber langfristig erfolgreicher sei es, durch Diskussionen die Sensibilität gegenüber rechten und rassistischen Einstellungen vor Ort zu fördern. Außerdem sei völlig unklar, wie die Angaben in dem Fragebogen überprüft werden sollten. Andere kritisierten, daß sich Rechtsextremismus keineswegs auf die NPD und DVU beschränke. SPD und CDU verdrängten mit solchen Aktionen das Problem in den eigenen Reihen. [3]

Dieser einleitende Abriß zur Vorgeschichte Lorenz Caffiers mag einige Anhaltspunkte dafür bereitstellen, wie sein aktueller Umgang mit rechtsextremen Umtrieben in den Polizeikräften des Bundeslandes einzuschätzen ist. Im Kontext der Ermittlungen gegen die Gruppe "Nordkreuz" kritisierte der Innenminister, daß in der Berichterstattung von "Todeslisten" die Rede sei. Die beteiligten Sicherheitsbehörden wiesen diese Einschätzung zurück, erklärte Caffier. Gleichzeitig schloß er eine aktuelle Gefährdung der auf solchen Listen angeführten Personen aus. Im Landtag hatte er die Gefahr durch sogenannte Prepper relativiert. Die Liste mit den 29 Personen sei bereits 2017 gefunden worden, und das Bundeskriminalamt habe sich zwei Jahre Zeit genommen, die Zeugen zu befragen. Das zeige doch, daß keine Gefahr für sie bestehe. Die Existenz einer Todesliste lasse sich gegenwärtig nicht bestätigen. Das reine Sammeln von Informationen zu politisch Andersdenkenden sei im Bereich der politisch motivierten Kriminalität nicht unüblich und gehe in der Regel nicht mit einer unmittelbaren Gefährdungslage einher. Nachdem er sich lange dagegen gesträubt hatte, will er nun wenigstens die Betroffenen darüber informieren, daß ihre Namen auf besagten Listen stehen. [4]

Eva-Maria Kröger, die für Die Linke im Landtag sitzt, ist eine der 29 Personen. Wie sie erklärt, sei sie "alles andere als ein angstgetriebener Mensch", wolle aber zukünftig sensibler und vorsichtiger unterwegs sein. Andere Betroffene dagegen hätten einfach Angst. Für sie sei es absolut verantwortungslos, daß mit den Betroffenen nicht umgehend gesprochen wurde. "Das wäre Aufgabe des LKA und letztlich die des Innenministers Lorenz Caffier gewesen." In einer Stellungnahme des Innenministers heißt es dazu, das LKA habe knapp zwei Jahre gebraucht, um die Ermittlungsergebnisse des BKA auszuwerten. Daher seien die Betroffenen auch erst im Frühjahr 2019 informiert worden. Diese Version wies Kröger mit dem Hinweis zurück, daß die entsprechenden Informationen noch im Spätsommer 2017 vom BKA an das LKA gegangen seien - und das mit der Empfehlung, die Landesbehörde möge die 29 Betroffenen entsprechend sensibilisieren. Die Zielpersonen der "Nordkreuz"-Liste hätten jedoch erst durch die Vorladung des BKA erfahren, daß sie im Fadenkreuz des rechtsextremen Netzwerks stehen. [5]

Caffiers offenkundige Verharmlosung und Verschleppung mutet um so erstaunlicher an, führt man sich den aktuellen Kenntnisstand zu Gemüte. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland unter Verweis auf Vernehmungsprotokolle des BKA berichtet hat, geht die Bundesanwaltschaft davon aus, daß die Rechtsextremisten nicht nur Personendaten aus ihren Regionen zusammengetragen haben. Durchsuchungen bei "Nordkreuz"-Mitgliedern förderten auf elektronischen Datenträgern Namen und Adressen von fast 25.000 politischen Gegnern aus dem gesamten Bundesgebiet zutage. "Nordkreuz" verfügt demnach über die Ableger "Südkreuz" und "Westkreuz", auch in und um Berlin soll eine Unterstützergruppe aktiv sein. "Nordkreuz" hat überwiegend Daten von Personen aus dem linken politischen Spektrum gesammelt, die meisten von ihnen hätten sich positiv über Geflüchtete und Asylsuchende geäußert. [6]

Nach Einschätzung von Ermittlern planten die Rechtsextremisten, politische Gegner gezielt zu töten. So habe Horst S., ehemals Vizechef im Reservistenverband des Landes, ausgesagt, die Listen mit "linken Persönlichkeiten" hätten dem Ziel gedient, diese "im Konfliktfall" zu liquidieren. Laut BKA plante ein weiteres "Nordkreuz"-Mitglied, der Rostocker Rechtsanwalt Jan Hendrik H., seine Komplizen ab dem "Tag X" mit Bundeswehr-Passierscheinen auszustatten, um schneller in die "Einsatzgebiete" für geplante Liquidierungen zu kommen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit 2017 gegen Mitglieder des Netzwerks wegen des Verdachts der Vorbereitung einer terroristischen Straftat. Damit nicht genug, soll das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Bundestag eine Materialliste der Rechtsextremisten mit Bestelladressen und Kontakten übergeben haben, in der unter anderem 200 Leichensäcke und Ätzkalk aufgeführt sind. Welchem Zweck die Listen dienten, die Berichten zufolge sogar Grundrisse von Wohnungen enthielten, für die Beamte offenbar auf die Polizeidatenbank zugriffen, sagte Caffier nicht. [7]

"Nordkreuz" gehören mehr als 30 sogenannte Prepper an. Sie bereiten sich auf einen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung vor, zum Beispiel durch eine erneute Flüchtlingswelle oder islamistische Anschläge. Dafür legen sie Lebensmittelvorräte an und horten Waffen. Im Falle von Unruhen sollen sie es darauf angelegt haben, Politiker zu liquidieren, die für eine liberale Flüchtlingspolitik eintreten. Die meisten "Nordkreuz"-Mitglieder, die in einem Messenger-Dienst verbunden sind, stammten aus dem Umfeld von Bundeswehr und Polizei, darunter auch drei Ehemalige und ein aktives Mitglied des Spezialeinsatzkommandos (SEK) Mecklenburg-Vorpommern, die Anfang Juni festgenommen wurden. Von den drei Ehemaligen sind noch zwei bei der Landespolizei, einer ist aus dem Dienst ausgeschieden.

Ihnen wird vorgeworfen, rund 10.000 Schuß Munition sowie eine Maschinenpistole beiseite geschafft zu haben. Das Haus des ehemaligen SEK-Polizisten Marko G. war bereits im Herbst 2017 von der Antiterroreinheit der Bundespolizei GSG9 durchsucht worden. Dabei wurden Waffen und Munition in erheblichem Umfang gefunden, zu deren Besitz er teilweise nicht berechtigt war. Auch wurde bekannt, daß Marko G. Gründer und Administrator der Chatgruppe "Nordkreuz" war, die über den Messenger Telegram kommunizierte und Todeslisten führte. Er wurde damals jedoch nur als Zeuge vernommen, man eröffnete nicht einmal ein Disziplinarverfahren gegen ihn. So konnte er seine Umtriebe zwei weitere Jahre unbehelligt fortführen und seine Chatgruppe, die mit rechtsradikalen Gruppen in ganz Deutschland vernetzt ist, weiterbetreiben. Seit Juni 2019 sitzt auch er in Untersuchungshaft.

Nach den Festnahmen konnte Caffier nicht umhin, Konsequenzen anzukündigen. Bei der Einstellung neuer Polizisten will er die Regelabfrage beim Verfassungsschutz einführen, in Einstellungsgesprächen soll strenger als bisher die Haltung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ermittelt werden. Die Verweildauer von Beamten in Spezialeinheiten soll auf maximal zehn Jahre begrenzt werden, um Elite- und Korpsdenken vorzubeugen. Daß ihm nicht viel mehr als abermals eine Art Radikalenerlaß dazu einfällt, nimmt nicht wunder, sobald man einen Blick auf die formellen und informellen Verflechtungen vor Ort wirft. Der Innenminister will zwar auch das SEK durch externe Prüfer unter die Lupe nehmen, doch geht das dem SPD-Abgeordneten Manfred Dachner viel zu langsam. Der ehemalige Chef der Polizeidirektion Neubrandenburg fürchtet, daß Polizeiinspekteur Wilfried Kapischke und der Leiter der Polizeiabteilung im Ministerium, Frank Niehörster, mittlerweile die Dinge schon in bestimmte Bahnen gelenkt haben und damit eine Aufklärung erschweren könnten. Dachner hatte schon vor Jahren von "Schattenstrukturen" in der Polizei gesprochen, die von der Polizeiführung geduldet würden.

Vier weitere SEK-Beamte wurden vorsorglich versetzt, sie sollen an fragwürdigen Chats mit den Festgenommenen teilgenommen haben. Das Schießtraining auf dem privaten Schießgelände "baltic shooters" in Güstrow ist vorläufig gestoppt worden, der Vertrag mit dem Betreiber Frank T. wurde gekündigt. Auf dem weitläufigen Gelände von 4,5 Hektar wurden auch SEK-interne Wettbewerbe ("Special Forces Workshops") durchgeführt, an denen SEK anderer Bundesländer und aus Österreich teilnahmen. Berichte in öffentlich zugänglichen Fachmagazinen legen einen laxen Umgang mit Munition nahe. Allein zum Aufwärmen seien an einem Tag 8.000 Patronen verschossen worden, insgesamt "vermutlich 40.000". Über eine solche Masse würden ganze Dienststellen nicht für das gesamte Jahr verfügen, heißt es in einem Bericht. Von einer genauen Buchführung über die verbrauchte Munition konnte offenbar keine Rede sein. Schirmherr der SEK-Wettbewerbe war über viele Jahre Innenminister Caffier. Er war auch bei Schießtrainings anwesend, ebenso wie der langjährige SEK-Chef Lutz Müller, Ehemann der Landtagspräsidentin Birgit Hesse (SPD). Müller wurde im Oktober 2017 zum Chef der Polizeiinspektion Schwerin ernannt. [8]

Lorenz Caffier, nun schon seit mehr als zwölf Jahren im Amt des Innenministers, nimmt seine Dienstpflicht offenbar sehr ernst, was eine schützende Hand über den Polizeien des Landes angeht. Daß in deren Kreisen rechtsextreme Gruppen existieren, kann er zwar nicht in Abrede stellen, doch spielt er die Gefahr in einem Maße herunter, das eben jenen Bestrebungen Vorschub leistet, die er angeblich entschieden bekämpft. Während er die Vordertür mit einem Radikalentest garniert, hält er die Hintertür für rechtsextreme Umtriebe in den Sicherheitskräften offen.


Fußnoten:

[1] www.n-tv.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/Polizei-Skandal-in-MV-Minister-kuendigt-Konsequenzen-an-article21084456.html

[2] archive.fo/20120801073358/http://www.ftd.de/karriere-management/management/:kopf-des-tages-lorenz-caffier-maschinist-der-staatsgewalt/208661.html

[3] taz.de/!284048/

[4] www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Nordkreuz-Listen-Caffier-informiert-Betroffene,nordkreuz104.html

[5] www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Nordkreuz-Zielperson-erhebt-schwere-Vorwuerfe,prepperszene102.html

[6] www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Nordkreuz-Morde-in-ganz-Deutschland-geplant,nordkreuz100.html

[7] www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Todesliste-Prepper-wollten-Leichensaecke-bestellen,prepperszene100.html

[8] www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Polizei-Skandal-ist-Thema-im-Landtag,landtag4508.html

23. Juli 2019


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