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HERRSCHAFT/1833: Die Linke - sozioökologische Perspektiven ... (SB)



Heute, da der Kapitalismus zu einem globalen System geworden ist, treibt sein Raubbau an Mensch und Natur in eine globale, die menschliche Zivilisation bedrohende Krise. Wir sind davon überzeugt, dass den vielfachen Krisenszenarien nur durch eine Überwindung des kapitalistischen Ausbeutungssystems, eine Veränderung der Produktions- und Lebensweise, durch globale Solidarität, durch die Überwindung des Geschlechtergegensatzes, die Demokratisierung aller Lebensbereiche und eine Veränderung des Verhältnisses von Mensch und Natur entgegengewirkt werden kann. Aus dem Programm der Partei Die Linke

Obwohl das Parteipogramm der Linkspartei ein umfassendes Konzept zur Bewältigung des Klimawandels enthält, hatte sie im Unterschied zu den Grünen bei der Wahl zum EU-Parlament keinen Erfolg. Dabei wird der Zusammenhang von sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit im Erfurter Parteiprogramm von 2011 betont, was auf den Kern des Problems verweist, keine wirksame Begrenzung des Klimawandels und der Naturzerstörung ohne eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung hin zu mehr sozialer Gleichheit erreichen zu können. Die ohnehin ungelöste und sich stetig verschärfende soziale Frage stellt sich unter den Bedingungen der auf Wettbewerb und Wirtschaftswachstum orientierten kapitalistischen Gesellschaftsordnung auf neue, im Verhältnis zu den produktivistischen und extraktivistischen Arbeitsgesellschaften der sozialistischen Staatenwelt umfassendere Weise. Den Sozialismus zu realisieren kann heute nur unter Einbeziehung aller Lebewesen und der natürlichen Lebensgrundlagen gelingen, also der Umkehrung eines Ressourcenverbrauches, der in dieser exzessiven Form erst durch die kapitalistische Moderne ermöglicht wurde.

So eröffnen die dazu erforderliche Vergesellschaftung der Produktionsmittel, die Kollektivierung der Landwirtschaft und die zentrale Planung der industriellen Produktion heute sozialökologische Perspektiven für alle Fragen, die die Beschränkung des Klimawandels und den Schutz verbliebener Naturressourcen betreffen. Der Abstand zu den zeitlichen Horizonten des Niedergangs ökologischer Systeme verkürzt sich regelmäßig [2] und rückt die Vorstellung, über so etwas wie ein CO2-Budget zu verfügen und es sich leisten zu können, noch jahrelang die Atmosphäre aufzuheizen, in die Nähe einer Aufforderung zum kollektiven Suizid. Jetzt und sofort zu handeln ist die Forderung nicht etwa radikaler KlimaaktivistInnen, sondern das Gebot einer Vernunft, die den Anspruch auf das rationale Zuendedenken offen zu Tage liegender Entwicklungslinien tatsächlich erfüllt.

Die neoliberale Konkurrenzgesellschaft ist nicht nur aus ideologischen Gründen von antisozialistischen und antikommunistischen Ressentiments durchdrungen. Versuche, die herrschenden Gewaltverhältnisse grundsätzlich zu überwinden, stellen einen direkten Angriff auf die privatwirtschaftliche Eigentumsordnung dar. Insofern kann der Kampf gegen alle emanzipatorische und revolutionäre Solidarität und Kollektivität, derer es bedarf, die systematische Atomisierung und Isolierung der Marktsubjekte zu überwinden, auch als das Herzblut einer Ordnung verstanden werden, die im Angesicht katastrophaler Zukunftsausichten die Intensität der Ausbeutung und Unterdrückung allen Lebens weiter steigert.

Unter diesen Bedingungen ist die parlamentarische Linke kaum in der Lage, aktiv den Ökosozialismus zu propagieren oder radikalökologische Forderungen der autonomen und anarchistischen Linken zu übernehmen. Sie steckt mittendrin in der politischen Organisation kapitalistischer Reichtumsproduktion und katapultierte sich mit solchen Positionen zielgerichtet ins Abseits. Zudem kann kaum davon ausgegangen werden, daß es sich um mehrheitsfähige Forderungen in einer Partei handelte, die zu einem Gutteil von FunktionsträgerInnen bestimmt ist, die mit radikaler gesellschaftsverändernder Kritik nichts zu tun haben wollen. Der Kommunismus, verstanden als Entwurf für die Aufhebung aller Gewaltverhältnisse zwischen Menschen und zwischen Menschen und anderen Lebewesen, ist in ihren Augen eine utopische Schwärmerei, mit der sich keine gesellschaftlichen Mehrheiten mehr organisieren lassen und die in einer im Bundestag vertretenen Partei nicht einmal als Minderheitenposition legitim vertreten werden kann.

Was der energie- und klimapolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, Lorenz Gösta Beutin, zum schlechten Abschneiden der Partei bei der Wahl zum EU-Parlament zu sagen hat, stellt vermutlich die exponierteste Position unter den Bundestagsabgeordneten der Linkspartei dar:

Wir müssen angriffslustiger werden, stärker den Bewegungscharakter unser Politik betonen und in der Klimapolitik eine glaubwürdige Antwort geben. Diese kann nicht daran bestehen, dass wir die Marktwirtschaft grün anstreichen, sondern in der Forderung nach einer anderen, einer solidarischen Gesellschaft. Wir müssen wegkommen von einem Modell des grenzenlosen Wachstums, das unsere Erde nachhaltig unbewohnbar macht. Für mich handelt es sich dabei auch um eine Form der Klassenpolitik, denn es geht immer noch um die da oben und uns hier unten. Wir müssen Ausbeutung ganz grundsätzlich in Frage zu stellen. [3]

Schon mit diesen Forderungen könnte Die Linke sich deutlich von den Grünen absetzen. Die in der bürgerlichen Mitte angekommene und einen Lifestyle, den man als ökologisches Biedermeier bezeichnen könnte, zelebrierende Partei steckt nicht nur unfreiwillig im Räderwerk des grünen Kapitalismus fest, sondern wird ihrem "Markenkern" hauptsächlich durch die Unterstützung marktbasierter Mechanismen zur ökologischen Verbrauchsreduktion gerecht. Diese wurden längst von den großen Investoren und Akteuren des Finanzmarktes als neues Akkumulationsregime entdeckt, so daß marktwirtschaftlich organisierte Klimapolitik die herrschenden Klassenantagonismen fortschreibt, wenn sie sie nicht ohnehin vertieft. Ganz bestimmt ändert der grüne Kapitalismus nichts an der neokolonialistischen Ausbeutung des Globalen Südens, wie etwa die finanzielle Kompensierung freigesetzter Treibhausgase durch Emissionszertifikate und Biodiversitätsoffsets oder die Vertreibung indigener Bevölkerungen aus ihren Wäldern im Namen des Naturschutzes belegen.

Im Getriebe parlamentarischer Partizipationen könnte die Partei Die Linke sich als Alternative zu einer grünen Hegemonie empfehlen, indem sie gegen ökologische Marktlösungen und eine CO2-Bepreisung, die das Kapitalverhältnis und damit die ungleiche Verfügbarkeit von Naturressourcen absichert, opponiert. Die naheliegende Option, daß die Linkspartei zur Mehrheitsbeschafferin Der Grünen wird, wäre dadurch vielleicht gefährdet, zugleich jedoch könnte sie als Adresse für all diejenigen dienen, die den Optimismus des Aufbruches der Fridays-for-Future-Bewegung spätestens dann verlieren werden, wenn sie das realpolitische Manövrieren der von ihnen vermutlich gewählten Grünen kennenlernen.

Unter den möglichen Entwürfen zur gesellschaftlichen Zukunft hätte ein Ökosozialismus, der aus dem Zerfall des staatsautoritären Sozialismus zu lernen versteht, den Vorteil, jeden noch so progressiven Green New Deal in sozialökologischer Konsequenz und Wirksamkeit zu überholen. Dabei spricht vieles für den in den USA von der demokratischen Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez propagierten Green New Deal. Ließe sich dieser in dem Land mit dem größten Pro-Kopf-Ressourcenverbrauch der Welt realisieren, dann wäre schon vieles gewonnen. Doch auch die sich als demokratische Sozialistin bezeichnende Ocasio-Cortez käme nicht umhin, die von ihr dringlich gemachte Lösung der sozialen Frage letztlich zur Überwindung des Kapitalismus weiterzuentwickeln.

Gerade weil die Grünen so erfolgreich sind, ständen der Linkspartei einige Möglichkeiten zur Verfügung, sich als linke Alternative zum grünkapitalistischen Angebot zu empfehlen und die zahlreichen losen Enden, die deren umweltpolitische Agenda aufweist, produktiv aufzunehmen. Das wäre allemal besser, als sich von jugendlichen KlimaaktivistInnen unverstanden und von ihrem Aufbruch abgehängt zu fühlen. Diese werden vielleicht schneller, als den Grünen lieb ist, erkennen, was die von ihnen nicht aufgearbeitete Geschichte dieser Partei über politischen Opportunismus verrät und warum sich in ihren Reihen PolitikerInnen finden, die sich eher zu eigenen Gunsten mit Staat und Kapital arrangieren, als den Kampf ums Leben mit gebotener Konsequenz zu führen.

Wo die FDP neue WählerInnen anspricht, indem sie die Angst vor klimapolitisch bedingten Wohlstandseinbußen schürt, und so der AfD Konkurrenz macht, die mit der offenen Verweigerung klimapolitischer Maßnahmen bislang über ein wertvolles Alleinstellungsmerkmal verfügte, könnte die Linkspartei ihrem Namen gerecht werden, indem sie den sozialökologischen Handlungsnotstand als Chance begreift und tut, was Linke angeblich immer tun wollten.


Fußnoten:

[1] https://www.die-linke.de/partei/grundsatzdokumente/programm/

[2] https://www.counterpunch.org/2019/05/31/wwii-lessons-for-the-climate-emergency/

[3] https://www.jungewelt.de/artikel/355850.wir-müssen-angriffslustiger-werden.html

4. Juni 2019


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