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HERRSCHAFT/1828: Straches Verfehlung - nicht nur Rechtschaffenheit ... (SB)



Die Bilder, die uns seit gestern erreichen, zeigen ein verstörendes Sittenbild, das unserem Land, unserem Österreich nicht gerecht wird. Es sind beschämende Bilder. Und niemand soll sich für Österreich schämen müssen.
Bundespräsident Alexander van der Bellen zur Regierungskrise [1]

Die Affäre um Heinz-Christian Strache und die FPÖ ist zwar ein Schlag ins Kontor für die Rechte in Österreich, doch dürfte ihr Übertrag auf den Kampf gegen rechte Parteien und Bewegungen zumal in anderen europäischen Ländern eher bescheiden ausfallen. Wenngleich Köpfe rollen, die Koalition mit der ÖVP bricht und Neuwahlen ausgerufen werden, bleibt die Kernfrage einer inhaltlichen Kritik der rechten Ideologie weitgehend unberührt. Was immer von diesen Verwerfungen hängengeblieben ist, wenn sich der Pulverdampf erst einmal verzogen hat, wird mit fundierten Argumenten und belastbaren Positionen gegen nationalistische, identitäre und rassistische Entwürfe wenig bis gar nichts zu tun haben. Diese sind in der sogenannten Mitte der Gesellschaft vorgedacht und vorgebahnt, was dem Aufstieg der Rechten erst den Weg bereitet und diese andockfähig gemacht hat. Zudem greift der Erklärungsansatz zu kurz, deren Klientel werde über die wahren Absichten der führenden Strömungen und ihrer maßgeblichen Akteure getäuscht, so daß diesbezügliche Aufklärung der Königsweg sei, ihnen entgegenzutreten. Menschen neigen dem rechten Lager zu, weil sie dessen Ratio teilen, angesichts verfallender Lebensverhältnisse und Perspektiven die Scheidelinie der Freund-Feind-Kennung auf national-identitäre Fixpunkte zu verengen.

Der mit überbordender Schadenfreude abgefeierte Coup, Strache und Konsorten entlarvt zu haben, kann bei aller verständlichen Sympathie für ein Manöver, den Rechten ein Bein zu stellen, doch allenfalls im Kontext einer umfassenden Gesellschaftskritik Früchte tragen. Andernfalls droht der Effekt ins Gegenteil umzuschlagen und die sich abzeichnende Selbstvergewisserung und Affirmation der herrschenden Verhältnisse und deren politischer Repräsentation ungebremst zu verstärken. Der dieser Tage zelebrierte Konsens des politischen Personals der bürgerlichen Parteien, unisono gegen die taumelnde FPÖ nachzutreten, als sei diese ein Paria, mit dem man nicht das geringste zu habe, spiegelt mehr als nur die Erleichterung wider, daß die Konkurrenz von rechts ein solches Eigentor geschossen hat. Vielmehr bietet dies eine vorzügliche Gelegenheit, die Existenz der Klassengesellschaft, die sozialen Verwerfungen, den massiven Ausbau repressiver Staatlichkeit und die forcierte Militarisierung auszublenden, indem eine fiktive Gemeinschaft demokratisch-rechtschaffener Bürgerlichkeit beschworen wird, die den Schulterschluß gegen den extremistischen Sittenverfall übt.

Wo der Kampf gegen Rechts zum Feigenblatt einer Akzeptanz der bestehenden Gesellschaftsordnung verkommt, führt er sich selbst ad absurdum. Er bleibt nicht nur unwirksam, weil er von der Herkunft rechten Gedankenguts und dessen brachialen Handlungskonsequenzen nichts wissen will, sondern hält sogar mit Entschiedenheit eben jene Quelle offen, aus der sich der bürgerliche Staat bei Bedarf speist, um Eigentumsordnung und Kapitalverwertung auch in Krisenzeiten zu gewährleisten. Westliche Demokratien haben nie ein Problem damit gehabt, Diktaturen in Afrika, Lateinamerika oder Südostasien zu etablieren, zu unterstützen und mit ihnen Geschäfte zu machen, um in Konkurrenz der Gesellschaftssysteme Vorteile zu erwirtschaften und emanzipatorische Bewegungen niederzuschlagen. Der Aufbau der Bundesrepublik erfolgte unter maßgeblicher Beteiligung administrativer, juristischer, militärischer und geheimdienstlicher Akteure, die bereits im NS-Staat ihr Werk verrichtet hatten. Wenn in jüngerer Zeit die Krisenfolgen näherrücken und auch in den vergleichsweise reichen Ländern Europas wachsende Teile der Bevölkerung massiv unter Druck setzen, rückt die extreme Rechte abermals in die Position einer Option auf, derer sich zu bedienen das Konglomerat der Machteliten in Erwägung zieht.

Unter Anwendung der Extremismusthese mit der Rechten in eins gesetzt, bleibt eine antikapitalistische und antiimperialistische Linke stets das Feindbild staatlicher Repression, was nicht gleichermaßen für den Umgang mit der Rechten gilt. Diese wird instrumentalisiert und wenn möglich gesteuert, es gibt personelle Überschneidungen in Geheimdiensten, Polizeien und Bundeswehr wie auch identifizierbare Sympathien in Kreisen konservativer Parteien, Juristen und Behördenvertreter. Das bedeutet nicht, daß die Rechte ausschließlich ein Geschöpf solch hintergründiger Akteure oder jederzeit vollumfänglich kontrollierbar wäre. Feldexperimente wie der sogenannte NSU, dessen engstes Umfeld von V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war, können durchaus aus dem Ruder laufen, so daß ein gewaltsamer Schlußstrich gezogen werden muß. Allerdings belegt die Aufarbeitung den enormen Ertrag des Manövers, konnte doch das angebliche Behördenversagen als einzig gültige Erklärung durchgesetzt werden, so daß der Ruf nach effektiveren Geheimdiensten und deren Verzahnung mit den Polizeien weithin auf Zuspruch stieß.

Viele Ziele der extremen Rechten hat der Staat längst in die Peilung genommen und in erheblichem Maße durchgesetzt. Nicht umsonst ist im Kontext der Polizeigesetze, die in den Bundesländern Zug um Zug etabliert werden, stets davon die Rede, daß es die schärfsten seit 1945 seien und man sich teils an Verhältnisse im NS-Staat erinnert fühle. Die Kriminalisierung jeglichen Protestes selbst in Gestalt passiven zivilen Ungehorsams, innovative juristische Werkzeuge zur Kollektivierung der Täterschaft, eine Runderneuerung und Erweiterung der Notstandsgesetze für den inneren und äußeren Krisenfall und viele weiteren Maßnahmen mehr zeugen von einer massiven Aufrüstung zur Aufstandsbekämpfung im Falle eskalierender sozialer Proteste oder regelrechter Hungerrevolten. Der starke Staat, von dem die Rechten träumen, zeigt längst seine Zähne und Klauen.

Auch die Kernbotschaft zumal der Neuen Rechten weist ganz erhebliche Schnittmengen mit bereits vorgeprägten ideologischen Mustern und Diskursverschiebungen auf. "Wir sind Deutschland", lautete der Schlachtruf des sogenannten positiven Nationalismus, der mit Fußball, Partylaune und Massenevents konsumfähig gemacht wurde. Wenn dieselbe Parole in allerlei Variationen heute bei Aufmärschen in Chemnitz, Cottbus oder Dresden gebrüllt und Jagd auf nicht-deutsch aussehende Menschen gemacht wird, knüpft das an die von einer Bundesregierung unter massenmedialer Beteiligung salonfähig gemachte Neuausrichtung des Identifikationsmusters an und setzt es konsequent fort. Du gehörst keiner abgehängten Schicht oder gar ausgebeuteten Klasse an, denn selbst wenn du alles verlierst, bleibst du doch ein weißer deutscher Mann. Das adelt dich und verbindet dich mit Deinesgleichen, die es den Ausländern und Gutmenschen, den Frauen, Schwulen und sonstigen Minderwertigen schon zeigen werden. Diese Identität, die dir das Establishment und die Lügenpresse nehmen wollen, damit dir Asylanten die Arbeit wegnehmen und Besserwisser auf der Nase herumtanzen, ist dein Stolz und dein Banner.

Welche Sogwirkung diese Botschaft hat, zeigt mit entsprechender Übersetzung auf österreichische Verhältnisse der nun vorerst geborstene Pakt von ÖVP und FPÖ, die erstarkende AfD in den ostdeutschen Bundesländern samt den Umtrieben diverser rechtsextremer Bewegungen oder ein Salvini in Italien, um nur einige zu nennen. Ohne sie über einen Kamm zu scheren und ihre jeweils spezifische Ausrichtung in Abrede zu stellen, bleibt doch an dieser Stelle festzuhalten, in welch hohem Maße die Rechte ein einfaches, aber schlagkräftiges ideologisches Muster für den Fall der eskalierenden Krise anbietet. Dann gilt es im Dienste der Staatsräson massenhaften Widerstand aus dem Feld zu schlagen, indem massen- und marschtrittfähige Alternativen zur Kanalisierung von Verzweiflung und Aufbegehren bereitgestellt werden.

Die Rechte stellt sich globalen Herausforderungen gar nicht erst, da sie den nationalen Raubzug zur einzig maßgeblichen Doktrin erklärt. Sie leugnet den Klimawandel kurzerhand, weil er eine internationale Herangehensweise erfordert, die unvereinbar mit Dominanzstreben zu Lasten anderer Weltregionen ist. Sie legt sich vorzugsweise mit Schwächeren an, ist doch die Staatsgewalt nicht ihr Gegner, außer daß sie natürlich selbst darüber gebieten will. Auch gegen das Arbeitsregime als solches hat sie nichts einzuwenden, wenngleich sie ihre eigenen Vorstellungen davon hat, wie es zu organisieren und wie mit den Überflüssigen zu verfahren sei. Polizeistationen, Gerichte, Gefängnisse und bereits vorhandene Lager würde sie übernehmen und füllen, die Eigentumsordnung bliebe im wesentlichen unangetastet, die Kriegsvorbereitungen könnten ungehindert vorangetrieben werden. Nicht, daß die Berliner oder Wiener Republik eine solche Machtübernahme herbeisehnen würde, die mit zahlreichen Unwägbarkeiten und Unwuchten verbunden wäre. Hörte sie aber die Totenglocken ihrer Gesellschaftsordnung in der Ferne läuten, gäbe es kaum ein Halten, den durchadministrierten Polizeistaat gegen ein rechtes Regime einzutauschen.

Mit den Worten "Genug ist genug" hat Bundeskanzler Sebastian Kurz die Reißleine gezogen. Die FPÖ schade dem Ansehen des Landes und dem Reformprojekt seiner Regierung. Im Sinne der Sacharbeit habe er die Koalition "nicht bei der erstbesten Verfehlung" aufgekündigt. "Ich musste vieles aushalten und vieles in Kauf nehmen", sagte Kurz. Dennoch erfolge sein Rückblick "aus voller Überzeugung und mit großer Freude": "Wir haben inhaltlich genau das umgesetzt, was wir im Wahlkampf versprochen haben." Wenn dem so ist, läuft der angekündigte Neustart ohne die übertölpelte FPÖ also darauf hinaus, denselben Kurs mit voller Kraft weiterzudampfen. Insofern ist die eingangs zitierte Klage und Warnung des österreichischen Bundespräsidenten Van der Bellen durchaus bezeichnend, dessen vordringliche Sorge Österreich gilt, für daß sich niemand schämen müssen soll. Österreich als höchstgültiger Wert, auf das es die Bevölkerung nun um so mehr einzuschwören gilt, ist auch im Nachbarland das Mittel der Wahl, Räson zu erzwingen.


Fußnote:

[1] www.spiegel.de/politik/ausland/oesterreich-sebastian-kurz-strebt-nach-strache-affaere-neuwahl-an-a-1268097.html

20. Mai 2019


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