Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


HERRSCHAFT/1822: Rechts - zweierlei Maß ... (SB)



Schauerliche Bilder aus Plauen: Braunhemden marschieren mit volksverhetzenden Parolen und Hitlergrüßen auf.
Amadeu-Antonio-Stiftung zum Aufmarsch des "III. Wegs" [1]

Am 1. Mai marschierten im sächsischen Plauen rund 500 Neonazis des "III. Wegs" uniformiert und mit Fackeln, Trommeln und grünen Fahnen durch die Straßen der Stadt. Fast alle hatten sich ein hellbraunes T-Shirt mit dem Aufdruck "national, revolutionär, sozialistisch" übergezogen, es wurden Parolen wie "Illegale Ausländer raus. Und die anderen auch!", "Asylflut stoppen!", "Nationaler Sozialismus - jetzt!" und "Deutschland erwache!" skandiert und mehrfach Leuchtfackeln gezündet, während die Demonstranten über eine auf der Straße ausgerollte EU-Flagge trampelten und eine andere EU-Flagge an einem Galgen mitführten. Ein Teilnehmer habe den Hitlergruß gezeigt und "Tod den Kanaken" in Richtung von Anwohnern geschrien, hieß es. Der Aufmarsch fand ausgerechnet am Vorabend des jüdischen Shoa-Gedenktages und nicht einmal einen Kilometer von dem Ort entfernt statt, an dem Nazis vor gut 80 Jahren die Plauener Synagoge in Brand gesetzt hatten. Daß die martialischen bis gespenstischen Bilder Erinnerungen an die Aufmärsche der Sturmabteilung (SA) zu Zeiten der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus weckten war kein Zufall, sondern beabsichtigt, sieht sich "Der III. Weg" doch ausdrücklich in der Tradition der NSDAP.

Die Polizei war nach eigenen Angaben mit rund 1300 Beamten vor Ort und sah dem Treiben gelassen zu, ohne einzuschreiten. Am Ende des Tages zog man in der Polizeidirektion Zwickau ein positives Fazit: "Ich freue mich, dass die Umsetzung des auf Deeskalation beruhenden polizeilichen Einsatzkonzeptes gelungen ist und dass der Blick nach Plauen ein friedliches 1.-Mai-Geschehen zeigte", so die befremdliche Bilanz des Einsatzleiters Alexander Beitz. Insgesamt seien zehn Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, unter anderem wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot auf seiten der schätzungsweise rund 800 Gegendemonstranten. Festnahmen habe es keine gegeben. Sehr zufrieden äußerte sich denn auch die Neonazi-Partei selbst: Es sei eine "gelungene und kraftvolle Veranstaltung" gewesen. [2]

Daß dieser Aufmarsch unter den Augen von Polizei und Ordnungsbehörde derart ungehindert vonstatten gehen konnte, rief heftige Kritik auf den Plan. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, nannte das Geschehen "verstörend und erschreckend". "Wenn es die sächsische Landesregierung mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus ernst meint, darf sie solche Demos nicht zulassen." Die zivilgesellschaftliche Amadeu-Antonio-Stiftung erklärte: "Schauerliche Bilder aus Plauen: Braunhemden marschieren mit volksverhetzenden Parolen und Hitlergrüßen auf." "Das sollte uns Sorgen machen", erklärte die SPD-Politikerin Sawsan Chebli. Der SPD-Vizefraktionschef im Landtag, Henning Homann, sagte: "Aufmärsche im SA-Stil dürfen und werden wir nicht dulden." Sachsens Grüne und Linke verlangten Aufklärung. Es sei mehr als offensichtlich, daß "Der III. Weg" zurück ins "Dritte Reich" führen solle, erklärte unter anderem Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt.

Dessen ungeachtet gaben sich die Behörden in Sachsen davon überzeugt, alles richtig gemacht zu haben. Das Landratsamt des Vogtlandkreises, das als Versammlungsbehörde den Aufzug der Neonazis beauflagt hatte, fand auch rückblickend nichts zu beanstanden, während die Polizei darauf verwies, selbst eine Sitzblockade von Gegendemonstranten möglich gemacht zu haben. Ansonsten spielte die Polizei den Ball zurück an den Vogtlandkreis, dessen zuständige Versammlungsbehörde das Abbrennen von Signalfackeln erlaubt habe. Der Polizei seien dann "die Hände gebunden". Pyrotechnik war zu Beginn und zum Ende des Aufmarsches gestattet worden. Der Sprecher des Landratsamtes, Uwe Heinl, erklärte, 16 Fackeln seien erlaubt gewesen, 14 habe er gezählt. Noch im Oktober 2018 hatte die Kreisverwaltung bei einer Demonstration des "III. Wegs" versucht, das Tragen von Fackeln zu verbieten, doch das Verwaltungsgericht Chemnitz hob die Entscheidung auf. Angesichts dieser juristischen Niederlage hatte das Landratsamt nun von vornherein auf beschränkende Auflagen für den Aufmarsch der Rechtsextremen verzichtet.

Wie aber verhält es sich mit dem uniformen und paramilitärisch anmutenden Auftreten der Demonstrierenden? Das Sächsische Versammlungsgesetz verbietet es, bei öffentlichen Versammlungen Uniformen "oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen", wenn dadurch "Gewaltbereitschaft vermittelt" wird oder sie dadurch "einschüchternd" wirken. Den Behörden war schon im Vorfeld des Aufzuges bekannt gewesen, daß die Teilnehmer in gleichen T-Shirts durch Plauen ziehen wollten. "Wir haben vor und während des Aufzugs die einschlägigen Gesetzesnormen geprüft und sind zu der Einschätzung gekommen, daß kein Verstoß vorliegt", erklärte ein Sprecher der Polizei und verwies auf "höchstrichterliche Entscheidungen" in der Vergangenheit. So hatte der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr geurteilt, daß einheitliche Kleidung erst dann verboten ist, wenn "der Eindruck entstehen kann, dass die Kommunikation im Sinne eines freien Meinungsaustausches abgebrochen und die eigene Ansicht notfalls gewaltsam durchgesetzt werden soll". Dies sah die Polizei in Plauen offenkundig nicht als gegeben an. Zudem sei "keine Anlehnung an aktuelle oder historische Uniformen ersichtlich" gewesen, wie es etwa das Oberlandesgericht Dresden in einem früheren Urteil für ein Einschreiten verlangt habe.

Das ist denn doch ziemlich starker Tobak, wenn man das Gesamtbild des Aufmarsches in Betracht zieht, der nicht von ungefähr an eine Machtdemonstration rechtsextremer Braunhemden im öffentlichen Raum denken ließ. Nach Einschätzung des Staatsrechtlers Christoph Degenhart von der Universität Leipzig hätte die Polizei bei dem Aufmarsch einschreiten können, aber nicht müssen. Entscheidend für ein Uniformverbot sei, ob der Auftritt auf die Einsatzkräfte einschüchternd gewirkt habe. Die Polizei habe offensichtlich aber keine derartige einschüchternde Wirkung gesehen. "Ihre Einschätzung ist vertretbar, auch wenn ein Einschreiten durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hätte." Die Fraktion der Linkspartei im Sächsischen Landtag kündigte an, das Geschehen auf die Tagesordnung des Parlaments zu setzen, und sie verlangt Aufklärung, "wie es zur Genehmigung dieses Fackelmarsches uniformierter Nazis kommen konnte und weshalb die Gesetzeslage nicht durchgesetzt worden ist". [3]

Ganz offensichtlich reizt die extreme Rechte auch in diesem Fall aus, wie weit sie gehen kann, und verschiebt in einem politischen Milieu, das in erheblichen Segmenten in ihre Richtung tendiert, die Grenzen zu ihren Gunsten. Daß sie auch vielfach bereit ist, darüber hinaus zu gehen, unterstreicht die Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der FDP. Demnach sei mehr als jeder zweite Rechtsextremist in Deutschland als gewaltorientiert einzustufen, von insgesamt 24.000 Personen würden 12.700 so eingeschätzt. Zudem warnte das Ministerium, daß die Übergänge zum Rechtsterrorismus fließend sein könnten. Derzeit sichte das Bundesamt für Verfassungsschutz mehrere hundert relevante Internetpräsenzen beziehungsweise Profile und Kanäle der rechtsextremistischen Szene in Onlinenetzwerken, Kurzbotschaftendiensten oder auf Videoplattformen. Es bestehe eine "nicht zu unterschätzende Radikalisierungsgefahr für Einzelpersonen oder (Klein-/Kleinst-)Gruppierungen".

Der innenpolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Konstantin Kuhle, fordert ein "neues Konzept gegen Radikalisierung im Internet". Rechtsradikale Inhalte und Amokankündigungen blieben dort "über Jahre offen einsehbar". Zudem sei beunruhigend, daß die Bundesregierung keine Verbindung zwischen der Kommunikation potentieller rechtsextremer Attentäter in Online-Spielen und den Aktivitäten der Identitären Bewegung erkennen wolle. Die Behörden müßten die Netzwerke rechtsextremer Kommunikation noch stärker in den Fokus rücken, "damit aus einer Kommunikation über rechtsextreme Anschläge keine echten Taten werden". [4]

"Der III. Weg" ist kein unbeschriebenes Blatt. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht ist der Partei ein eigenes Kapitel gewidmet. Danach lehnt sie "das Wertesystem der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab und strebt nach einer Gesellschaftsordnung in Anlehnung an den historischen Nationalsozialismus". Sicherheitskreise halten sie trotz der geringen Größe für gefährlich, da sie "am klarsten Nazipartei" sei. Bundesweit zählt "Der III. Weg" mehr als 500 Mitglieder, in Sachsen sind es etwa 120. Vor drei Jahren waren es im Freistaat nur halb so viele, was erkennen läßt, daß Sachsen für die Partei eine besondere Bedeutung hat. Im Parteiprogramm wird "die Entwicklung und Erhaltung der biologischen Substanz unseres Volkes" und die "Schaffung eines deutschen Sozialismus" gefordert. Angesichts der unverhohlenen ideologischen Nähe zum Dritten Reich habe die Partei in der Szene ein "hohes Mobilisierungspotenzial". Zu ihrer Popularität unter Rechtsextremisten trägt zudem bei, daß mit dem Sänger Michael Regener alias "Lunikoff" eine der bekanntesten Figuren der braunen Musikszene die Parteihymne mit dem Titel "Der III. Weg marschiert" komponiert hat. Regener war einst Chef der Band "Landser", die das Berliner Kammergericht 2003 als kriminelle Vereinigung eingestuft und den Neonazi zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt hat.

Gegründet wurde die Partei 2013 in Heidelberg von Klaus Armstroff, ehemals Funktionär der NPD, der auch an der Spitze des Demonstrationszuges in Plauen mitlief. Mit der Parteigründung und dem Umzug ins Vogtland reagierten die Neonazis auf Verbote rechtsextremer Vereine. Dort knüpfte die Kleinstpartei ab 2014 an eine aktive Szene an, die teilweise bereits kommunalpolitisch verankert war. So hatte es laut Verfassungsschutz Sachsen schon in den Jahren zuvor eine Vernetzung der neonationalsozialistischen Szene in Nordbayern und im Vogtland gegeben. Die Partei veröffentlichte 2015 bei Google Maps eine Karte, auf der bundesweit Flüchtlingsunterkünfte verzeichnet waren - kombiniert mit der Parole "Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft". In Plauen eröffnete "Der III. Weg" 2017 das bundesweit erste "Partei- und Bürgerbüro", von dem aus Wahlkampfaktionen und Demos gesteuert werden.

Im Juli 2018 veranstaltete die Partei im thüringischen Kirchheim ein Festival mit Kampfsport, Musik und politischen Reden. Teile der Szene bereiten sich auf Straßenkämpfe und Bürgerkrieg vor. Mancherorts laufen Parteimitglieder als Bürgerwehr Streife, soziale Aktionen wie Suppenküchen, Hausaufgabenhilfe oder "Deutsche Winterhilfe" für einheimische Obdachlose sollen das Ansehen in der Bevölkerung verbessern. Das Kulturbüro Sachsen warnt, daß jeder lokalpolitische Aspekt in Plauen und jedes Thema von der Partei rassistisch belegt werde. Die Partei arbeite als autoritär geführte Kaderorganisation und suche sich ihre Mitglieder aus, die ihre Tauglichkeit erst in der Szene beweisen müßten. Laut Verfassungsschutz Sachsen ist zu erwarten, daß insbesondere die Akteure der Partei im Vogtland weiterhin auch außerhalb Sachsens eine große Rolle bei den kommenden Parteiaktionen spielen werden. Die Bedeutung der Partei werde im Freistaat absehbar wachsen, was sie in Zukunft zu einer der bestimmenden Einflußgrößen der rechtsextremistischen Szene machen dürfte. [5]

In Plauen ist seit sieben Jahren ein "Runder Tisch für Demokratie" aktiv, der bürgerschaftliches Engagement in der Stadt bündelt. Parteien, Vereine und Initiativen sowie Kirchgemeinden arbeiten dabei unter Moderation der evangelischen Kirche zusammen. Die Akteure organisieren Musikfeste, Diskussionen, Bürgerrunden und zeigen Präsenz im von Neonazis dominierten Stadtteil Haselbrunn. "Wir stellen uns den Neonazis entgegen. Es nützt nichts, nach dem Staat zu rufen und ein Verbot dieser Partei zu verlangen. Jeder muss sich einsetzen, dem Demokratie etwas bedeutet", meint Pfarrer Hans-Jörg Rummel. Das sieht Kerstin Köditz von der Linkspartei ähnlich: Der Runde Tisch und die Arbeit der Zivilgesellschaft reichten nicht aus. "Es muss mehr Engagement auch vom Stadtrat und den Behörden kommen." Sie habe den Eindruck, daß "Der III. Weg" in Plauen "relativ ungestört von der Verwaltung" arbeiten könne. Im Lichte des jüngsten Aufmarsches in der Stadt dürfte genau das eines der zentralen Probleme nicht nur in Plauen sein.


Fußnoten:

[1] www.stern.de/politik/deutschland/plauen--wieso-neonazis-martialisch-durch-die-stadt-ziehen-konnten-8691894.html

[2] www.taz.de/!5588679/

[3] www.tagesspiegel.de/politik/rechtsextremer-marsch-durch-plauen-landratsamt-verteidigt-uniform-entscheidung/24279008.html

[4] www.faz.net/aktuell/politik/inland/nach-aufmarsch-in-plauen-12-700-gewaltorientierte-rechtsextremisten-in-deutschland-16168660.html

[5] www.mdr.de/sachsen/chemnitz/vogtland/partei-dritter-weg-plauen-100.html

3. Mai 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang