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HERRSCHAFT/1819: Cottbus - rechte Strukturen ... (SB)



Wir haben Probleme mit Rechtsextremismus
Jan Gloßmann (Sprecher der Stadt Cottbus) [1]

Seit 30 Jahren hat die Region Cottbus das Problem eines "festen braunen Bodensatzes", wie es der Landtagsabgeordnete der Linksfraktion Matthias Loehr dieser Tage zum Ausdruck brachte. Wie konnte es soweit kommen, daß die zweitgrößte Stadt Brandenburgs mit ihrem rechtsextremistischen Potential, gewalttätigen Ausschreitungen und aggressiver Stimmung immer wieder für Schlagzeilen sorgt und der Verfassungsschutz diese Region jüngst als "Hotspot" des Rechtsextremismus in dem Bundesland bezeichnete? Der Referatsleiter Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Brandenburg, Heiko Homburg, spricht von rund 400 rechtsextremen Personen, und der Verfassungsschutzchef Frank Nürnberger beziffert die Zahl der Rechtsextremisten in Cottbus selbst auf etwa 170 Personen. [2]

Angriffe auf Flüchtlinge und deren Unterstützerkreise, Bedrohung von Journalisten, nächtliche Aufmärsche, Attacken gegen Fans anderer Fußballvereine, Massenschlägereien unter Hooligans und vieles mehr sind seit langem bekannt. Daß die Reaktion des Staates erst spät und zunächst verhalten einsetzte, bis es dann vor wenigen Tagen endlich zu einer Großrazzia kam und ein dringender Tatverdacht gegen 16 Personen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung im Raum steht, hat viele Gründe. In der Bevölkerung, den örtlichen Behörden und Einrichtungen wie auch der Politik auf kommunaler und Landesebene reicht das Spektrum von Gleichgültigkeit, Wegsehen oder Furcht über klammheimliche bis offene Sympathie für rechtes Gedankengut bis hin zu mutmaßlicher Protektion. Im entscheidenden Unterschied zur Linken, die von Staats wegen ungleich schärfer verfolgt wird, weist die Ideologie und Agenda der Rechten beträchtliche Schnittmengen mit der Staatsräson auf. Sie kämpfen nicht gegen Ausbeutung und Unterdrückung, Kapital und Imperialismus, sondern für einen starken Staat, nationale Identität zu Lasten aller anderen Länder und Ethnien wie auch patriarchale Dominanz im repressivsten Sinn.

Der Ausbau des sogenannten Sicherheitsstaats mit seinen Polizeigesetzen, exekutiver Ermächtigung und einer zunehmenden Verschmelzung polizeilicher, geheimdienstlicher und militärischer Optionen der Überwachung, Kontrolle und Verfolgung setzt in vielen Aspekten all das um, wovon die Rechten träumen. Die ökonomische und zunehmend auch bewaffnete Kriegsführung der Bundesrepublik ist von einer Ratio der Vorherrschaft durchdrungen, die dem rechten Rand auf der Zunge zergehen müßte. Der Entwurf des Aufmarsches und Umsturzes will all das nur noch brachialer durchsetzen und dabei insbesondere das parlamentarische System abschaffen und das sogenannte Establishment liquidieren, das in mehr oder minder großen Portionen andere Formen der Einbindung und Befriedung favorisiert. Ein Paradebeispiel wäre der menschengemachte Klimawandel, den der grüne Kapitalismus mit administrativen und technologischen Instrumenten auszubremsen vorgibt, um eine neue Stufe der Verwertung zu etablieren, während ihn die Rechte bis hinein in die AfD kurzerhand leugnet und zur Feindpropaganda erklärt.

Du bist nichts, du hast nichts, aber du bist ein Deutscher, und das werden wir allen anderen einbläuen, so die angesichts multipler Krisen um so eingängigere Botschaft der Rechten an die von Abstiegsängsten heimgesuchten Gesellschaftsschichten. Wenn der Sozialstaat abgeschafft wird, weil es keine Geschenke zur Befriedung der Lohnabhängigen und für überflüssig Erklärten mehr zu verteilen gibt, ist eine rechte Machtübernahme zugleich aus Perspektive der Herrschaftssicherung eine mögliche Option präventiver Aufstandsbekämpfung. Das langjährige Treiben des NSU, dessen Umfeld von V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war, zeugt vom geheimdienstlichen Ansatz, die extreme Rechte zu instrumentalisieren, wie auch die offene Protektion eines Hans-Georg Maaßen für die AfD einen der eher seltenen unverstellten Einblicke in solche Szenarien geliefert hat.

Thilo Sarrazin, immer noch Mitglied der SPD, hat als Berliner Finanzsenator den Bestand der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft an Investoren verscherbelt und später als Bestsellerautor einem Millionenpublikum erklärt, warum sich Deutschland abschafft. Fremdenfeindlichkeit und Sozialrassismus sind kein Alleinstellungsmerkmal der Rechten, wenn die vielzitierte Mitte der Gesellschaft von der parteipolitischen Drift in diese Richtung getrieben wird. Hinzu kommt im Falle von Cottbus natürlich die Ausplünderung der ostdeutschen Bundesländer nach dem Anschluß der DDR, die abgehängte Regionen und gedemütigte Menschen hervorbrachte. Wenn 30 Jahre nach der Wende zum Schlechteren keine Besserung in Sicht ist, wenden sich viele Menschen dem einzig erkennbaren Heilsversprechen zu, das auf den Putz haut, Sündenböcke vorführt und schwache Opfer im öffentlichen Raum vor die Fäuste, Knüppel und Springerstiefel jagt oder in ihren Unterkünften in Brand setzt.

Nun ist die Polizei in vier Bundesländern mit einer Großrazzia gegen die rechtsextreme Szene vorgegangen, um Netzwerke aufzudecken. Die Einsatzkräfte und Ermittler durchsuchten mehr als 30 Objekte wie Wohnungen, Geschäftsräume und Büros vorwiegend in Cottbus, aber auch in Spremberg und Frankfurt (Oder), in Hennigsdorf und Kolkwitz, Görlitz in Sachsen, Kühlungsborn in Mecklenburg-Vorpommern und in den Berliner Bezirken Marzahn und Lichtenberg. Beschlagnahmt wurden unter anderem Material der Identitären Bewegung, Schlagringe und andere Waffen sowie Gegenstände mit eindeutig nationalsozialistischem Bezug. [3] In dem seit einem Jahr laufenden Verfahren wird wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt, nach Behördenangaben besteht ein dringender Tatverdacht gegen 16 Personen im Raum Cottbus, die mutmaßliche Führungsriege der Gruppe soll aus fünf Deutschen zwischen 28 und 35 Jahren bestehen. Festgenommen wurde zunächst niemand, es lagen Durchsuchungsbeschlüsse, aber keine Haftbefehle vor.

Der Brandenburger Verfassungsschutz hatte die besondere Mischung in Cottbus vor einiger Zeit als "toxisches Gebilde" bezeichnet. Es handelt sich demnach um eine breit gefächerte Szene aus der Hooligan-Gruppe "Inferno" des FC Energie Cottbus, Kampfsportlern, Sicherheitsleuten, Rockern, Neonazis und Mitgliedern der NPD. Ausgelöst wurden die Ermittlungen durch Erkenntnisse aus Cottbus, wo offenbar Journalisten bedroht wurden. Zugleich flossen Dutzende andere Straftaten in die Ermittlungen ein, darunter Körperverletzung, Verstoß gegen das Waffengesetz, Steuerhinterziehung, Bedrohung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Unter den Beschuldigten finden sich bekannte Namen von Neonazis, die bereits in der Vergangenheit durch Gewalttaten aufgefallen und in die 2012 verbotene "Widerstandsbewegung Südbrandenburg", auch bekannt als "Spreelichter", verstrickt waren.

Die rechtsextreme Cottbusser Szene gilt als besonders gewaltbereit, aber auch als geschäftstüchtig mit Sicherheitsfirmen, Tattoostudios, Kleidungsmarken und Label für rechtsextremistische Musik. Ermittler sprechen deshalb von einer neuen Qualität der organisierten Kriminalität. Die Sicherheitsbehörden sehen die Gefahr, daß sich in der Stadt ein rechtes Milieu verfestigt, Einfluß in bürgerlichen Kreisen gewinnt und mit den Geschäften Gelder für rechte Umtriebe und Aktionen generiert werden. Durchsucht wurde etwa ein Tattoo-Studio in der Innenstadt, das einer Führungsfigur von "Inferno" zugeordnet wird. Der Kampfsportler gilt als Bindeglied zwischen den verschiedenen rechten Kreisen und hatte auch eine in der Szene beliebte Modemarke gegründet, 2012 suchte ihn die Polizei wegen des Verbots der "Spreelichter" auf, 2013 stach er im Zuge eines Konflikts um die Vorherrschaft im Türstehermilieu einen Rocker des Hells Angels MC nieder und verletzte ihn lebensgefährlich. Dafür saß er wenige Jahre im Gefängnis, seit 2016 ist er wieder aktiv.

Mitglieder der Cottbuser Szene nehmen regelmäßig an Kampfsport-Events teil und verfügen über internationale Kontakte zu den rechtsextremen Kampfsport- und Hooligan-Gruppen in Rußland, Polen und Frankreich. Die Wettkämpfe sind häufig streng abgeschottet, da sich die Neonazis laut Verfassungsschutz auf den "Endkampf" am "Tag x" vorbereiten, um sich für "den angestrebten Zusammenbruch der staatlichen Ordnung zu wappnen". Dazu gehört auch ein Leben mit eiserner Disziplin, ohne Alkohol und Drogen. So war von der Razzia auch ein Neonazi betroffen, der gerade dabei ist, einen Vegan-Laden aufzumachen.

Die 1999 gegründete Gruppe "Inferno Cottbus" hält die Fanszene beim Drittligisten FC Energie Cottbus seit vielen Jahren fest im Griff. Obwohl das Problem lange bekannt ist, hielt sich der Verein zumeist gegen die rechtsextremen Anhänger zurück oder saß sogar offen mit ihnen zusammen. Schon früher geriet "Inferno" ins Visier von Ermittlungen und Berichterstattung, etwa als Mitglieder der 2012 verbotenen Neonazi-Organisation "Widerstandsbewegung Südbrandenburg", mit Kontakten zur rechtsextremen Gruppe "Firma 18" oder mit Aufmärschen beim rassistischen Verein "Zukunft Heimat". [4]

Anfang 2017 waren mehr als 100 Neonazis nachts mit Fackeln ungestört durch Cottbus marschiert. Dieser Aufmarsch war eine Machtdemonstration der rechtsextremen Szene und nicht zuletzt ein Signal an die Fanszene des FC Energie. Dort war es zu Auseinandersetzungen mit Bedrohungen, Hausbesuchen und Schlägereien gekommen, durch die "Inferno" die Fans und die Kurve im Stadion der Freundschaft auf Linie brachte. Die größte Ultra-Gruppe des Vereins sah sich zum Aufgeben gezwungen. Die Polizei gründete daraufhin die Ermittlungsgruppe, die jedoch zunächst nur einzelne Straftaten in den Blick nahm, bis bekannt wurde, daß auch Journalisten Gewalt angedroht worden war.

Wenngleich "Inferno Cottbus" im Mai 2017 vorgeblich seine Auflösung bekanntgab, diente dies nur dem Zweck, einem Verbot zuvorzukommen. Die Neonazi-Hooligans setzten ihre Vormachtstellung in der Kurve weiterhin gewaltsam durch. Der Brandenburger Verfassungsschutz führte zum Beleg dafür, daß es sich bei der Auflösung nur um ein Lippenbekenntnis gehandelt habe, gemeinsame Fahrten "Infernos" zu Rechtsrock-Konzerten und rechtsextremen Kampfsportturnieren an.

Erst in den letzten Jahren unternahm der Fußballverein stärkere Versuche, sich gegen die Rechten zur Wehr zu setzen. Schlagzeilen machten dennoch Vorfälle wie jener während des Ligaspiels beim SV Babelsberg 2017, wo Energie-Fans unter anderem durch den Hitlergruß und den Spruch "Arbeit macht frei: Babelsberg 03" auffielen. Den Aufstieg in die Dritte Liga im Sommer 2018 feierten einige Cottbus-Anhänger mit einem Aufmarsch im Ku-Klux-Klan-Stil. Und gute Kontakte hat "Inferno" auch zu anderen Rechtsextremen wie denen bei "Kaotic Chemnitz", die ebenfalls trotz Stadionverboten kräftig mobilisieren. Dem Verein wurde immer wieder vorgeworfen, nicht genügend gegen die zahlreichen rechtsextremen Energie-Fans zu tun und beispielsweise Ordner für die Heimspiele aus dem rechtsextremen Milieu zu rekrutieren. Die Ordner des Fußball-Drittligisten werden nun vom Verfassungsschutz überprüft. Die Vereinsführung bezeichnete in einer ersten Stellungnahme die Großrazzia als "gutes Signal".

Brandenburgs Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke wies in Potsdam als Ziel der Gruppe die "Begehung von Straftaten zum Nachteil von Journalisten, politisch Andersdenkenden und Ausländern" aus. Konkret wurden demnach fünf Journalisten als gefährdet betrachtet. Bei den Ermittlungen habe sich auch gezeigt, daß sich innerhalb der Gruppierung offenbar eine sogenannte "schnelle Einsatztruppe" gebildet hatte, die bei "Notfällen" unter anderem "mit Kanaken abrechnen" sollte. Alle Beschuldigten seien bereits zuvor polizeilich bekannt gewesen. Auch an den gewalttätigen Ausschreitungen in Chemnitz im vergangenen Jahr seien Mitglieder der Gruppierung beteiligt gewesen. Das Verfahren ist in der Brandenburger Polizei hoch angebunden, Polizeipräsident Mörke wurde stets direkt informiert, der Fall liegt beim Staatsschutz des Landeskriminalamtes.


Fußnoten:

[1] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_85558282/cottbus-nach-razzia-tatverdacht-gegen-16-rechtsextreme.html

[2] www.tagesspiegel.de/berlin/razzia-bei-rechtsextremen-so-gefaehrlich-ist-das-braune-netz-von-cottbus/24201834.html

[3] www.faz.net/aktuell/politik/inland/nach-rechtsextremismus-razzia-tatverdacht-gegen-16-menschen-16135881.html

[4] www.taz.de/!5584766/

12. April 2019


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