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HERRSCHAFT/1815: Parteien - AfD in der Zerreißprobe ... (SB)



Die AfD gerät derzeit immer stärker in eine Zangenbewegung: auf der einen Seite eine feindselige Öffentlichkeit, die flankiert vom Verfassungsschutz mit unfairen Methoden die Partei aus dem diskutablen Feld herausdrängen und mundtot machen möchte, auf der anderen Seite radikalisierte Ränder, die gravierende Folgen einer Ächtung mutwillig in Kauf zu nehmen bereit sind - weil die Betreffenden nichts zu verlieren haben.
Dieter Stein in der rechten Postille Junge Freiheit [1]

Der Vormarsch der Alternative für Deutschland ist ins Stocken geraten. Drohte im Superwahljahr 2019 mit den Urnengängen zum Europäischen Parlament wie auch in den vier Bundesländern Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen eine rechte Offensive vor dem Durchbruch zu stehen, so mehren sich nun die Zeichen, daß die AfD an die Grenzen ihres Wählerpotentials gestoßen ist. Rückläufige Umfragewerte in Nordrhein-Westfalen, stagnierende Mitgliederzahlen und ein fast schon dramatischer Aderlaß bei der Nachwuchsorganisation Junge Alternative deuten eine einsetzende Trendwende an, die sich verfestigen könnte. So erfreulich das auf den ersten Blick anmuten mag, handelt es sich doch eher um ein Zusammenspiel verschiedener äußerer Faktoren und innerer Spannungsverhältnisse als das Resultat eines substantiellen gesellschaftlichen Diskussions- und Positionierungsprozesses, der rechte Gesinnung und Umtriebe wirksam eindämmen könnte. Daher ist keineswegs auszuschließen, daß die AfD nach einer vorübergehenden Schwächephase abermals Zuwächse verzeichnen kann. Vor allem aber bremst der parteipolitische Wellenschlag den Marschtritt der extremen Rechten nicht, deren institutionelle Verflechtung mit Teilen der Polizeien und Bundeswehr allenthalben zutage tritt.

Die Parteiführung der AfD ist sich der Gefahr bewußt, daß sie eine verstärkte Intervention des Inlandsgeheimdienstes Wählerstimmen im gemäßigten Spektrum ihrer Wählerschaft kosten könnte. So wurden im Sommer 2018 eine "Arbeitsgruppe Verfassungsschutz" eingerichtet und externe Gutachten in Auftrag gegeben, um die Partei möglichst unangreifbar zu machen. Diese Strategie sieht keineswegs eine inhaltliche Abgrenzung von der extremen Rechten, sondern vielmehr eine veränderte Kommunikation nach innen und außen vor. Kreide fressen heißt die Devise, da man interne Zerreißproben abwenden und die potentielle Anhängerschaft nicht verprellen möchte. So sollen anstößige Äußerungen einzelner Mitglieder verhindert werden, indem spontane Interviews unterbleiben, Pressesprecher und ein Mehraugenprinzip verbale Eskalationen ausbremsen und Chatgruppen eingestellt werden. AfD-Mitgliedern wird ein Sicherheitsabstand zu rechten Gruppierungen anempfohlen wie auch Themen, die sensible Felder wie die Jahre zwischen 1933 und 1945 betreffen, zu vermeiden seien.

Daß die Parteiführung auf Bundesebene weit offen nach rechts ist, belegte unter anderem der Auftritt Alexander Gaulands am Rednerpult beim "Kyffhäusertreffen", der Jahrestagung des "Flügels" um Björn Höcke, im Sommer 2018. Präsent war auch sein Nachfolger an der Parteispitze in Brandenburg, Andreas Kalbitz, der heute als der einflußreichste rechte Politiker in der Partei gilt. Er wird der völkisch-nationalistischen Strömung zugerechnet und hatte in der Vergangenheit enge Verbindungen in die rechtsextremistische Szene, enthält sich aber seit geraumer Zeit verbaler Provokationen, sondern setzt auf Beharrlichkeit und Geduld, da er sich auf einem politischen "Langstreckenlauf" sieht.

Aufschluß über die parteiinterne Kontroverse gibt ein Beitrag des eingangs zitierten Dieter Stein in der rechten Postille Junge Freiheit, der darüber klagt, daß "der Geist des Verdachts aus der Flasche" sei und sich so schnell nicht mehr einfangen lasse. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln, daß der Verfassungsschutz nicht mehr öffentlich erklären darf, die Partei sei ein "Prüffall" des Inlandsgeheimdienstes, habe die AfD einen Teilsieg errungen. Doch die stigmatisierenden Folgen seien unübersehbar: Der Mitgliederzuwachs stockt, die Umfragewerte sinken, qualifizierte Mitarbeiter für Fraktionen und Geschäftsstellen seien immer schwerer zu finden, seit "der Schatten der Schlapphüte" auf die Partei gefallen ist.

Der Landesparteitag der AfD Baden-Württemberg in Heidenheim habe gezeigt, unter welchen Spannungen die Partei steht. Jörg Meuthen wollte die anwesenden Mitglieder mit einer Brandrede wachrütteln, griff "komplett rücksichtslose Radikale" frontal an und nannte dabei namentlich die Gruppe um einen "Stuttgarter Aufruf", die sich Anfang Februar in Burladingen getroffen hatte. Diese Teile des "Flügels" um Björn Höcke hätten in Heidenheim demonstriert, daß sie zwar nicht die Mehrheit stellen, aber wohlorganisiert und einschüchternd aufzutreten wissen. Höcke habe die AfD bei ihrer Entwicklung und ihrem Erscheinungsbild schleichend geprägt, denn seine Stärke sei in erster Linie die Schwäche der anderen. Er warne treuherzig vor einer Spaltung der Partei, obgleich er selbst die stärksten Fliehkräfte verursache. Angesichts einer Zangenbewegung, in der die Partei von außen und innen gerate, bleibe den "Kräften der Vernunft" nicht mehr viel Zeit.

Ähnlich äußert sich Jens Wilharm, Sprecher der "Alternativen Mitte" (AM), die sich in der AfD als Gegenstück zu Höckes "Flügel" gegründet hat. Mit Blick auf den jüngsten Bundeskongreß der Jungen Alternative in Magdeburg nimmt er eine kritische Bestandsaufnahme vor und fordert den AfD-Bundesvorstand und die Landesvorstände auf, die Entwicklungen beim Nachwuchs sehr genau zu verfolgen und sich nicht von Worthülsen beruhigen zu lassen. Konkret sollte jenen JA-Verbänden der Status als Jugendorganisation entzogen werden, die sich "zu weit von der Mutterpartei" entfernt hätten. Daß es so weit kommen konnte, liege nicht zuletzt daran, "dass mit einer gewissen Portion Gleichmut problematischen Entwicklungen innerhalb der Jugendorganisation lange Zeit zugesehen wurde - wenn man die Entwicklungen nicht gar deckte". Wer sich mit Parteimitgliedern unterhalte, erfahre nicht selten, daß diese es nicht mehr gut fänden, wenn ihre eigenen Kinder bei der Jungen Alternative mitmachten, so Wilharm.

Die Junge Alternative hat in den vergangenen Monaten eine regelrechte Austrittswelle erfahren, von einst 2000 Mitgliedern sollen derzeit noch 1600 dem Nachwuchs angehören. Der Grund waren zunehmend extremistische Tendenzen, die auch durch Medienberichte publik wurden. In Hessen soll das damalige Landesvorstandsmitglied Elliot Murray in einem Chat die Todesstrafe für Politiker gefordert haben, die "ihr Volk verraten". In Niedersachsen hatte die JA wegen ähnlicher Vorkommnisse ihren eigenen Landesverband im November 2018 aufgelöst, der ebenso unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand wie es derzeit für die JA-Landesverbände in Bremen und Baden-Württemberg der Fall ist.

Auf ihrem Bundeskongreß in Magdeburg hatte der Nachwuchs eine neue Führungsstruktur und Satzungsänderungen beschlossen, um eine mögliche Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz zu vermeiden. Nach Wilharms Einschätzung hat sich die JA lediglich einige kosmetische Korrekturen verordnet, die nicht lange vorhielten. Nach der Austrittswelle des eher gemäßigten Lagers seien inhaltliche Kurskorrekturen noch unwahrscheinlicher. So hätten auf dem Landesparteitag in Baden-Württemberg die JA-Vertreter gemeinsam mit den Anhängern des "Stuttgarter Aufrufs" gestimmt, um gemäßigte Kandidaten zu verhindern, was zum Glück erfolglos geblieben sei.

Die Beschlüsse des JA-Bundeskongresses zeugten von instrumenteller Vernunft. "Programmpositionen werden nun angepasst, nachdem der Verfassungsschutz sie in seinem Gutachten rügte." Wer aber problematische Programmpassagen nur deshalb umzuschreiben bereit sei, um "taktisch Angriffsfläche zu verhindern, hat das eigentliche Problem nicht begriffen". Der Mutterpartei wirft die "Alternative Mitte" vor, viel zu wenig eingegriffen zu haben. Viele Probleme der Nachwuchsorganisation hätten nur deshalb anwachsen können, weil es am ausreichenden Willen gefehlt habe, ihnen entschlossen entgegenzutreten. [2]

Daß die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts ein Sieg auf ganzer Linie sei, versuchte Parteichef Jörg Meuthen als Sprachregelung auszuweisen: "Die Entscheidung belegt eindrucksvoll, dass das Vorgehen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und insbesondere seines Präsidenten Haldenwang nicht im Einklang mit den Prinzipien des Rechtsstaates steht." Damit sei die "politisch motivierte Instrumentalisierung" des Verfassungsschutzes gegen die AfD vorerst gescheitert. [3] Dies gleicht einem lauten Pfeifen im finsteren Wald, da zwar ein erster Erfolg auf dem Rechtsweg errungen wurde, aber die zur Begründung des Eilantrags angeführte Stigmatisierung längst Wirkung zeitigt. Zumindest ist die Assoziation von AfD und Verfassungsschutz derzeit in aller Munde, wobei sich die potentielle Wählerschaft eher nicht für die juristischen Feinheiten von "Prüffall" und "Beobachtung" interessieren dürfte, wenn sie kalte Füße bekommt.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung der Parteispendenaffäre für die AfD, weil sie die Behauptung ad absurdum führt, hier ziehe eine politische Kraft gegen den Sumpf der etablierten Seilschaften und für die Interessen der kleinen Leute zu Felde. Wenngleich es den harten Kern der Anhängerschaft nicht im geringsten irritieren dürfte, welchem gesellschaftlichen Spektrum der Führungszirkel entstammt oder was die "Lügenpresse" schreibt, dürften das die sogenannten Protestwählerinnen und -wähler, deren Neigung über den weiteren Aufstieg der AfD oder deren Stagnation entscheidet, doch etwas anders sehen.

Die Staatsanwaltschaft Konstanz ermittelt gegen Alice Weidel und drei weitere Mitglieder ihres Kreisverbandes am Bodensee wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Parteiengesetz. Die Partei hatte im November bestätigt, daß eine Schweizer Pharmafirma 2017 rund 130.000 Euro in mehreren Tranchen an den AfD-Kreisverband überwiesen hatte. Das Geld wurde den Angaben zufolge im Frühjahr 2018 zurückgezahlt. Spenden von Nicht-EU-Bürgern an deutsche Parteien sind illegal. Die AfD hatte dem Bundestag jüngst die Namen von vierzehn Deutschen und anderen EU-Bürgern vorgelegt, die hinter den Zuwendungen stehen sollen. Die Staatsanwaltschaft zweifelt allerdings an den Angaben. Medienberichten zufolge haben angebliche Gönner der AfD bestritten, der Partei Geld gespendet zu haben. Auch Jörg Meuthen könnte von den dubiosen Spenden profitiert haben. Das gehe aus besagten Namenslisten hervor, da Meuthens angebliche Gönner teilweise namensidentisch mit Spendern seien, die von der Partei als Gönner Alice Weidels präsentiert worden waren. "Das, was da in Rede steht, scheint mir einigermaßen abenteuerlich", erklärte Meuthen jüngst. Er sei sich keiner Schuld bewußt. [4]

Die AfD hat bislang ihre Doppelstrategie zur Täuschung einer breiteren Wählerschaft erfolgreich umgesetzt. Auf ihrem Marsch nach rechts hat sie Bernd Lucke und dann auch Frauke Petry entsorgt, im Zweifelsfall auch regionale Jugendverbände aufgelöst, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes standen. Zwar ist nach dem Ende der Protektion durch Hans-Georg Maaßen der Ton etwas rauher geworden, doch hat die Parteiführung um Alexander Gauland und Jörg Meuthen jeden Versuch blockiert, einen Parteiausschluß Björn Höckes herbeizuführen oder eine Unvereinbarkeit mit rechtsextremen Gruppierungen außerhalb der Partei zu beschließen. Besonders weit rechts aufgestellte Landesverbände wie jene in Brandenburg, Sachsen und Thüringen halten sich ohnehin nicht an das Abstandsgebot nach Rechtsaußen, sondern erklären diese Verbindung im Gegenteil zur eigentlichen Stärke der Partei. Im Zuge der Ausschreitungen von Chemnitz marschierten führende AfD-Politiker wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz gemeinsam mit Rechtsextremen auf.

Wenngleich ein Riß durch die Partei geht, steht eher nicht zu erwarten, daß sich die AfD unter inneren Auseinandersetzungen selbst zerlegt. Soweit sich der interne Machtkampf verschärft, könnte Kalbitz daraus als Sieger hervorgehen. Der ehemalige Fallschirmjäger hat sich unter paramilitärischen völkischen Nazis, als Autor rechtsextremer Publikationen, bei den Republikanern, dem Witikobund und der von SS-Offizieren und NPD-Funktionären gegründeten Organisation "Kultur- und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit" als Rechtsaußen gestählt. Heute unterhält er enge Verbindungen zur Neuen Rechten wie auch zur rechten außerparlamentarischen Opposition und denkt offenbar weit strategischer als die meisten seiner Parteigenossen. Er widerspricht dem AfD-Bundesvorstand, dem er selbst angehört, wonach AfD-Leute die Demos der Rechtsextremen meiden sollten. Diese Auffassung teile er nicht, so Kalbitz. Der Erfolg seiner Partei basiere doch gerade auf der Zusammenarbeit mit Pegida oder "Zukunft Heimat" in Cottbus. Andererseits setzt er auf vorsichtige Formulierungen, wie er Anfang letzten Jahres bei einem Vortrag im Institut des neurechten Verlegers Götz Kubitschek erläuterte. Er will auch jene Teile der Partei und Anhängerschaft für sich gewinnen, die von einem allzu derben Sprachgebrauch eher abgestoßen werden. Andreas Kalbitz folgt also der erprobten Doppelstrategie, diesmal jedoch in Personalunion, da er selber der rechte Parteiflügel ist, der sich erfolgreich als identitätspolitische neue Mitte der AfD etablieren könnte.


Fußnoten:

[1] jungefreiheit.de/debatte/streiflicht/2019/der-geist-ist-aus-der-flasche-2/

[2] www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-alternative-mitte-kritisiert-junge-alternative-a-1255468.html

[3] www.sueddeutsche.de/politik/afd-verfassungsschutz-klage-1.4346399

[4] www.derwesten.de/politik/afd-parteitag-als-joerg-meuthen-spricht-wird-es-laut-im-saal-id216509771.html

1. März 2019


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