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HERRSCHAFT/1792: AfD - heb' lieber nicht den ganzen Stein ... (SB)



Ob ich jetzt Beamter bin oder Sozialarbeiter oder Unternehmer. Ich als Verfassungsschützer, das ist vielleicht noch etwas sensibleres, aber ich kann sehr wohl auch durch mein Dasein Hinweise geben oder schon mal sagen: So geht es nicht. Hier müssen wir besser aufpassen.
Hendrik S. (AfD-Funktionär und Verfassungsschützer in Sachsen) [1]

Wer Neigung und Beruf verbinden kann, darf sich glücklich schätzen, ist es doch nur wenigen vergönnt, Privatleben und Broterwerb nicht nur in Einklang zu bringen, sondern sogar Synergieeffekte zu befördern, wie man heute sagen würde. Handelt es sich gar um ein Dienstverhältnis, das eine gewisse Verschwiegenheit in seiner Stellenbeschreibung hat, ist es für den Betreffenden natürlich um so belebender, wenn er dessen ungeachtet frei von der Leber weg über seine harmonische Verknüpfung von Hobby und Arbeit erzählen kann und dafür viel Aufmerksamkeit erntet. Zu diesen Glücklichen zählt Hendrik S., Leiter des AfD-Landesfachausschusses 5 und damit zuständig für die Erarbeitung von Konzepten im Bereich Innere Sicherheit, Justiz und Datenschutz, der zugleich beim sächsischen Verfassungsschutz tätig ist. Er macht daraus überhaupt kein Geheimnis, wie es auch seinem Dienstherrn und der Partei seit langem bekannt ist.

Die Frage, wie sein Engagement bei der AfD mit seiner Arbeit als Verfassungsschützer zu vereinbaren sei, verwundert ihn. Unabhängig von der beruflichen Tätigkeit könne man sich politisch organisieren und engagieren. Da gelte für alle Berufe, und wenn es auch bei ihm als Verfassungsschützer vielleicht etwas sensibler sei, könne er doch gerade deswegen Hinweise geben oder warnen, daß es so nicht gehe und man besser aufpassen müsse. Ohne näher darauf einzugehen, wen er im Zweifelsfall vor wem warnen möchte, war er jedenfalls zuletzt bei der AfD-Veranstaltung in Chemnitz auf der Straße und will dort Rechtsextreme nur vereinzelt entdeckt haben. Auch den mehrfach verurteilten Pegida-Chef Lutz Bachmann habe er nur später im Fernsehen gesehen. "Live leider nicht", wie S. bedauert: "Wenn man schon mal die Chance hat, würde ich ihm ja auch mal Guten Tag sagen." An Pegida habe er nichts auszusetzen, das seien ja einfach nur friedliche Demonstrationen in Dresden.

Auch mit der "Identitären Bewegung" hat er keine Probleme, ja er lobt sie sogar, weil sie "intelligente Aktionsformen" betreibe: "Die ketten sich an keine Schienen, an keine Baufahrzeuge, an nichts. Die hängen Plakate auf, da steht nichts Verbotenes drauf, soweit ich das feststellen kann." Es hätte nicht dieses Winks mit dem Zaunpfahl bedurft, um zweifelsfrei zu definieren, in welchen Kreisen er die Verfassungsfeinde und politischen Straftäter verortet.

Als er sich 2014 beim Nominierungsparteitag der AfD um einen Listenplatz zur sächsischen Landtagswahl bewarb, bot er seine Expertise offen an. Er erstelle beim Verfassungsschutz "mit dem Schwerpunkt Extremismus" entsprechende Analysen, sei "Sicherheitsüberprüfter der höchsten Sicherheitsstufe SÜ3 und habe Umgang mit Verschlusssachen mit Einstufungsgrad 'geheim'". In dieser Vorstellungsrede bezeichnete S. auch die Medien als "gleichgeschaltet", was er heute noch genauso sieht. Er habe keineswegs die Pressefreiheit in Frage gestellt: "Es ist ja kein Duktus des Nationalsozialismus. Weil: die Wörter, die stehen im Duden, und die sind nicht verboten, die stehen auf keiner Index-Liste, also kann ich sie doch benutzen."

Beim Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen ist der Fall S. bereits seit 2015 bekannt, zumal die "taz" damals darüber berichtet hat. Personelle Konsequenzen wurden offenbar nicht gezogen, heißt es doch schriftlich zu einer aktuellen Anfrage: "Zu konkreten Personalien äußern wir uns grundsätzlich nicht. Sicherheitserhebliche Erkenntnisse, die nach Abschluss der Sicherheitsüberprüfung bekannt werden, können Gegenstand einer Aktualisierung der Sicherheitsüberprüfung sein. Generell gilt jedoch im Übrigen, dass Mitgliedschaften oder Funktionen in einer nichtextremistischen Partei beamtenrechtlich als solche kein Hindernis für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst sind. Für das LfV gilt insoweit rechtlich nichts anderes als für jede andere Behörde." Wie man dieser behördlich verklausulierten Antwort wohl entnehmen darf, hat das Landesamt nichts gegen Hendrik S. in Doppelfunktion einzuwenden.

Andere Landesämter wie etwa jenes in Thüringen reagierten sauer auf die aktuelle Erwähnung des Falls, aber offenbar nicht wegen der Zweigleisigkeit des Hendrik S. als solcher, sondern weil diese öffentlich bekannt und er mithin enttarnt sei, was bei einem Geheimdienstmann gar nicht gehe. Enttarnt wurde er indessen schon vor zwei Jahren, sofern man angesichts seines offenen Umgangs mit dem beruflichen Hintergrund überhaupt von Enttarnung sprechen kann. Da er den AfD-Kreisverband Mittelsachsen 2013 mitbegründet und unter anderem am Wahlprogramm der sächsischen AfD mitgeschrieben hat, wäre Geheimhaltung wohl eher nicht die passende Vokabel.

Die AfD gibt sich immer weniger Mühe, sich offen von Rechtsradikalen zu distanzieren. In Niedersachsen und Bremen werden mittlerweile Teile der "Jungen Alternative" von den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet, die "Identitäre Bewegung", deren Mitglieder in Chemnitz Seite an Seite mit der AfD marschierten, wird vom Verfassungsschutz als "rechtsextrem" eingestuft, sowohl in Sachsen als auch im Bund. Daß die AfD mehr und mehr ins Visier des Verfassungsschutzes gerät, ist innerparteilich ein vieldiskutiertes Thema. Zuletzt dachte Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, offen über den Einsatz interner Sonderermittler nach, um einer Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz zu entgehen. Hendrik S. sähe sich für diese Aufgabe prädestiniert: "Ich könnte meinen Hintergrund zur Verfügung stellen." Schließlich habe Verfassungsschutzpräsident Maaßen damals auch möglicherweise Frauke Petry beraten. "Das ist ja relativ normal, dass man sich da Informationen holt: was kann ich machen, um Dinge vorzubereiten? Und genau so kann ich auch Hinweise geben", bietet sich Hendrik S. für eine Tätigkeit an, die er aus naheliegenden Gründen in der Partei auf Bundesebene eher nicht bekommen wird.

Kerstin Köditz ist Abgeordnete der Fraktion "Die Linke" im Sächsischen Landtag und Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, zuständig für die Kontrolle der Landesregierung in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. Ihres Erachtens sind seit Jahren die Indizien nicht zu übersehen, daß der AfD-Landesverband Sachsen bei der Radikalisierung der Gesamtpartei eine wesentliche Rolle spielt. Nehme das einzig der sächsische Geheimdienst nicht wahr, sei politisches Kalkül hinter dieser Arbeitsverweigerung zu vermuten. Der Landesverband habe seit seiner Gründung Mitglieder und Funktionäre der NPD und bei der Zusammenarbeit mit Pegida eine Vorreiterrolle gespielt. Spätestens der Schulterschluß mit militanten Neonazis in Chemnitz lasse keine Fragen offen.

Hendrik S. habe sich öffentlich als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes geoutet, obwohl ihm dies in seiner Stellung untersagt wäre. Er attestiere der "Identitären Bewegung", die seine Behörde als rechtsextremistisch einstuft, "intelligente, friedliche Aktionsformen" und verstoße damit als Beamter gegen die Treuepflicht gegenüber seinem Dienstherrn. Und schon die Vermutung, daß in seiner Person ein Sicherheitsrisiko entstehen könnte, müßte ausreichen, Sicherungsmaßnahmen zu treffen, so Köditz. Dem Präsidenten des Landesamts, Meyer-Plath, sei der Vorgang seit Jahren bekannt, ohne daß disziplinarische Konsequenzen gezogen worden wären.

Der NSU-Komplex habe Szenen einer unheimlichen Nähe des Geheimdienstes zur extremen Rechten offenbart. Die Gefahr, daß weitere Mitarbeiter im Landesamt die Beobachtungsaufträge aufgrund ihrer eigenen politischen Einstellung für unsinnig halten, sei real und eine gruselige Vorstellung. Wie schon im Fall des Diebstahls eines USB-Sticks mit sensiblen Personaldaten im Frühjahr gebe das Landesamt nur das zu, was sich nicht mehr abstreiten läßt, und kein Jota mehr. Als in Chemnitz die große Demonstration von AfD, Pegida und Neonazis stattfand, war auch der fragliche VS-Mitarbeiter unter den Demonstrierenden. "Ein Verfassungsschützer, der gemeinsam mit Neonazis demonstriert? Das ist wohl nur in Sachsen möglich." [2]

Leider steht zu befürchten, daß Sachsen zwar das Kernland einer Radikalisierung der AfD unter mutmaßlicher Protektion des Verfassungsschutzes, aber keineswegs das Ende des rechten Aufmarsches in der Gesellschaft ist. Dessen Erfolge im Kampf um politische Hegemonie und Deutungsmacht mehren sich dramatisch, wie das immer offenere Auftreten ihrer Protagonisten und deren Treibjagd auf das übrige Parteienspektrum zeigt. Maaßens Aufstieg zum Staatssekretär im Innenministerium, der ihm neben einer höheren Besoldung einen deutlichen gewachsenen Einfluß beschert, verwandelt seine Provokation in einen Triumph zunehmender rechter Dominanz. Wo Rechte marschieren, werden immer häufiger Journalisten angegriffen. Allein beim "Trauermarsch" in Chemnitz am 1. September wurden neun Angriffe auf Journalisten erfaßt. Seien es früher vor allem Neonazis gewesen, die Journalisten bedrohten und angriffen, zeigten heute mehr und mehr Menschen aus dem bürgerlichen Milieu Gewaltbereitschaft, heißt es in der aktuellen Ausgabe des Reports "Feindbild ,Lügenpresse'" [3].

Die Arbeit der AfD im Bundestag wird von der Asyl- und Sicherheitspolitik beherrscht, wobei sie auch andere Themen kurzerhand in diese Richtung dreht. Sie provoziert und weitet "den Korridor des Sagbaren" unablässig aus, womit sie auch Abgeordnete anderer Parteien in den Strudel einer verrohenden Debattenkultur zieht. Das alles gefällt ihrer Anhängerschaft, die unaufhaltsam wächst: Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend stürzt die Union auf 28 Prozent, gefolgt von der AfD, welche die SPD überholt und mit 18 Prozent erstmals zweitstärkste Kraft wird. [4] Daß die Koalition und selbst Seehofers Stern zumindest in den Zustimmungswerten dramatisch sinkt und Steigbügelhalter der Rechten keineswegs von deren Aufstieg profitieren, weil mobilisierter Nationalismus, Rassismus und Sozialdarwinismus das Original jedem Surrogat vorzieht, scheint als Lektion bei der angeblichen Mitte der Gesellschaft nicht angekommen zu sein.


Fußnoten:

[1] www.daserste.ndr.de/panorama/archiv/2018/Sachsen-AfD-Funktionaer-arbeitet-beim-Verfassungsschutz,afdverfassungsschutz102.html

[2] www.daserste.ndr.de/panorama/archiv/2018/Das-ist-wohl-nur-in-Sachsen-moeglich,afdverfassungsschutz104.html

[3] www.sueddeutsche.de/medien/pressefreiheit-wo-rechte-marschieren-da-werden-journalisten-angegriffen-1.4138275

[4] www.tagesspiegel.de/politik/ard-deutschlandtrend-afd-zweitstaerkste-partei-hinter-der-union/23096434.html

21. September 2018


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