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HERRSCHAFT/1774: Nicht um jeden Preis, aber doch für bescheidenen Lohn ... (SB)



Die SPD wolle nicht "um jeden Preis regieren", erklärt der Vizevorsitzende der Partei, Ralf Stegner, im Interview mit dem Deutschlandfunk [1] gleich dreimal. Mit Selbstverständlichem offene Türen einrennen, um es sich im noch warmen Ministersessel bequem zu machen, ist das Ergebnis der am Wahlabend kämpferisch vorgetragenen Absicht, nun in der Opposition zu den ob allzu großer Machtopportunität verschütt gegangenen sozialdemokratischen Tugenden zurückzufinden. Um jeden Preis regieren zu wollen heißt im Endeffekt die Macht zu ergreifen auch gegen Demokratiegebot und Verfassungstreue. Auf dem Ticket der wohlfeilen Politikerpflicht, den Erhalt exekutiver Stabilität zu garantieren, in Amt und Würden zu kommen verströmt hingegen den Nimbus selbstloser und unabdinglicher Verantwortungsübernahme.

Als Retter der Nation in Zeiten von Krise und Krieg aufzutreten war schon immer ein Merkmal sozialdemokratischer Mimikry. So wirft sich die älteste im Bundestag vertretene Partei in den Mantel einer Geschichte, die sich auch ganz anders lesen läßt, nämlich als die eines Überlebenskampfes, den erfolgreich zu bestehen verlangt, auch und gerade in stürmischen Zeiten die Segel in den Wind zu drehen. Erklärtermaßen nationalen Zielen verpflichtet, die der als Bundesregierung auftretende Generalausschuß deutscher Monopol- und Hegemonialinteressen sich auf die Brust heftet, soll das Land wieder einmal vor der in imperialistischer Zuspitzung raumgreifenden Staatenkonkurrenz gerettet werden. Daß die Bundesrepublik dabei weit mehr treibender Akteur als getriebenes Opfer ist, gehört zu denjenigen Wahrheiten, die nicht aufs Tapet der politischen Debatte zu heben die machiavellistische Logik eines Stegner kenntlich macht, wenn er behauptet, seine Partei wolle vor allem aus inhaltlichen Gründen Regierungsverantwortung übernehmen.

Die angeblich nur bedingt handlungsfähige Bundesregierung zeichnet wie selbstverständlich für die fortschreitende Militarisierung der EU, die Zementierung einer destruktiven, Auto- und Energiekonzerne schützenden Klimapolitik, eine auf Abschottung und Abschreckung setzende Flüchtlingspolitik als auch eine innere Aufrüstung sondergleichen gegen die verbliebenen Reste sozialen Widerstands verantwortlich. Warum nun die SPD antreten soll, um an diesen von ihr selbst mitverantworteten Politikkonzepten auch in Zukunft nichts zu ändern, läßt sich nur aus der unterstellten Notwendigkeit zur Mobilisierung exekutiver Machtfülle erklären. Der autoritäre und antidemokratische Maßnahmestaat wird vorweggenommen, bevor er ganz offen, sprich als offiziell verhängter Ausnahmezustand, ausgerufen wird. So gut auch die Bevölkerung eingebunden ist in die Ziele des in Berlin tagenden Generalausschusses, ist die Gefahr doch längst nicht gebannt, daß sich hinter der Nebelwand ihrer virtuellen und massenmedialen Rundumbespaßung Konturen eines längst überwunden gewähnten Antagonismus zeigen. Diesen angesichts einer zusehends von der neuen Rechten agitierten Arbeiterschaft klassengesellschaftlich zu nennen mag abenteuerlich klingen, doch bildet der Klassenwiderspruch nach wie vor eine wirksame Antithese zur sozialdemokratisch formierten Marktgesellschaft und zur neoliberalen Atomisierung ihrer Subjekte.

Nicht um jeden Preis regieren zu wollen findet seinen dialektischen Fortgang denn auch im inflationären Verfall jener Werte, die sogar als Feigenblatt demokratischer Verfaßtheit kaum mehr in Anspruch genommen werden. Gegenüber den Sachzwängen von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumsprimat haben bürgerlich-liberale Tugenden schon des längeren ausgedient, wie allein die simple Auszählung der entsprechenden Begriffe in Regierungserklärungen und Koalitionsvereinbarungen belegt. Wo die Basis dessen, was in der Politik wertbildend sein könnte, nämlich die prinzipiell gegebene Möglichkeit, inmitten der Ohnmacht privatwirtschaftlich verfügter Unterwerfung die Freiheit zu haben, die kapitalistisch formierte Eigentumsordnung in Frage stellen und überwinden zu können, negiert wird, wurde als Preis herrschaftlicher Partizipation längst entrichtet. Indem SPD-Chef Martin Schulz am Wahlabend geltend machte, man wolle vor allem deshalb an die Spitze einer starken Opposition treten, weil dort ansonsten die AfD das Sagen hätte, verwies er bereits auf die mögliche Preisgabe dieser Position. Daß diese Absicht ein Vierteljahr später keine Rolle mehr spielt, zeigt, wie schnell inhaltlich zusammenwächst, was in oberflächlicher Betrachtung wie Feuer und Wasser wirkt.


Fußnote:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/regierungsbildung-ohne-die-spd-laeuft-in-deutschland-nichts.694.de.html?dram:article_id=403050

14. Dezember 2017


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