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HERRSCHAFT/1765: Informationelle Selbstbestimmung hat ein Preisschild (SB)



So erfreulich es ist, daß das Bundesarbeitsgericht der Klage eines Angestellten stattgegeben hat, der aufgrund von Erkenntnissen, die aus der Überwachung seines Arbeitsrechners hervorgingen, gekündigt werden sollte, so sehr kratzt dieses Urteil gerade einmal an der Oberfläche der mit informationstechnischen Mitteln erfolgenden Rationalisierung der Lohnarbeit. Zwar sei der Einsatz von Keyloggern, die Tastatureingaben und Bildschirminhalte protokollieren, unzulässig insbesondere dann, wenn die Software ohne Wissen der überwachten Person installiert wurde. Derartiges könne nur bei einem "auf Tatsachen beruhenden Verdacht einer Straftat oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung" erfolgen, urteilte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt letztinstanzlich, wodurch die Kündigung des Angestellten aufgehoben wird.

Ein derartiger Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung gehe auch dann zu weit, wenn es tatsächlich zur privaten Nutzung des PCs in der Firma gekommen sei, meinten die Richter. Dennoch sprachen sie lediglich ein Verwertungsverbot der dabei erlangten Erkenntnisse aus. Eine vorher bekannt gemachte Kontrolle und das eventuelle Aussprechen einer Abmahnung hingegen sei legal, sprich die informationelle Selbstbestimmung der Angestellten steht unter Vorbehalt unternehmerischer Verfügungsgewalt. Das entspricht der Logik des zwischen Arbeit und Kapital herrschenden Vertragsverhältnisses - wer derartige Bedingungen für inakzeptabel hält, braucht ja nicht bei dem betreffenden Unternehmen anzuheuern oder zu bleiben.

Da die Lohnabhängigen nicht über die Produktionsmittel verfügen, haben sie auch nur begrenzte Einfluß auf die Gestaltung ihrer Arbeitsumgebung. Nicht nur in der Fabrik oder im Lager, wo Arbeitstempo, -pausen und -wege zwecks Effizienzsteigerung genau gemessen werden, sondern auch in Büro und Verwaltung haben digitale Kontrollinstanzen den Arbeitsprozeß im Blick. Doch nicht nur daß, die vernetzte Kontrollsphäre verändert die Arbeitsprozesse selbst. Weit über das bloße Messen der Tastenanschläge oder der Dauer spezifischer Projektaufgaben hinaus werden Arbeitsvorgänge so zerteilt und strukturiert, daß das Büro der Prozeßlogik und Taktrate des Fließbandes unterworfen werden kann. Die funktionelle Einspeisung des Personals in den Arbeitsvorgang impliziert folgerichtig die Erfassung und Aussteuerung sozialer und physiologischer Faktoren. Zu messen, wie sehr sich die räumliche Organisation des Büros, die Zusammensetzung und Auslastung des Personals auf das Arbeitsergebnis auswirkt, wie psychophysische Leistungsgrenzen zu bestimmen und auszuschöpfen sind, liegt auf der gesamtgesellschaftlich eingeschlagenen Linie der biopolitischen Zurichtung des Menschen durch Verhaltens- und Konsumsteuerung.

All das hat nicht mit der Einführung des Computers angefangen. Die Rationalisierung der Arbeit ist der unternehmerischen Bemühung um die Steigerung der Mehrwertrate seit jeher implizit, wie die wissenschaftliche Arbeitsorganisation nach Frederick Winslow Taylor vor über hundert Jahren gezeigt hat. Damals schon wurde der körperliche Einsatz der Lohnabhängigen anhand von Zeit- und Bewegungsparametern analysiert, um die Fertigung möglichst hoher Stückzahlen in der gekauften Arbeitszeit zu ermöglichen. Der Griff in Physis und Psyche der Arbeitssubjekte mit informationstechnischen Mitteln folgt der immer gleichen Absicht, auch letzte Resistenzen und Residuen in die große Maschine einzuspeisen. Was dem Zugriff des Unternehmers auf die ihm unterworfene Subjektivität vorenthalten wird, ob durch Bummelei, nichtveräußertes Wissen oder ungenügend entwickelte Fertigkeiten, stellt ungenutztes Kapital dar und läuft dem Primat seiner Verwertung gemäß auf regelrechte Sabotage hinaus.

Die so hervortretende Herrschaftslogik beschränkt sich nicht auf die Maximierung des Profites, wiewohl dies das zentrale Motiv sein mag. Sich in einer Situation zu befinden, in der es statthaft sein soll, daß ein anderer Mensch die Arbeit nicht nur organisiert, sondern den eigenen Körper seinen Vorstellungen von Effizienz und Ertrag unterwirft, ruft von vornherein Widerstand hervor. Da die Zurichtung des Menschen auf optimale Verwertbarkeit die Überwindung möglichen Widerstandes gegen die permanente Fremdbestimmung durch das Eingespanntwerden für Ziele, die nicht die eigenen sind, erfordert, muß die Einwirkung auf ihn so umfassend wie möglich sein.

Eine aus dieser Erkenntnis resultierende Strategie besteht darin, den Widerstand ins Leere laufen zu lassen, indem die soziale Reaktionsbereitschaft der Lohnabhängigen manipuliert wird. Die höhere Kunst der Arbeitsorganisation zeigt sich darin, Motivationstechniken aller Art wie die Identifizierung mit den Unternehmenszielen, die Anerkennung erfolgreich vollzogener Optimierungsschritte oder die soziale Dynamik des Teams zu nutzen. Informationstechnische Kontrolle erscheint dann wie eine von den Arbeitssubjekten selbst gewünschte Maßnahme, nicht anders als die Leistungs- und Lebensoptimierung durch Selftracking, die auch und gerade dann für sinnvoll erachtet wird, wenn die dabei erwirtschafteten Daten von intermediären Plattformen anderweitig verwertet werden. So macht die eigene Entmündigung das Leben schön. Dann entfallen alle Mühen und Wagnisse eines Widerstandes, der sich der Logik sozialdarwinistischer Konkurrenz nach sowieso nicht lohnt, wenn er doch nur dazu führt, daß ein anderer an die eigene Stelle tritt.

Damit erfüllt die wissenschaftlich optimierte Arbeitsgesellschaft die Verteidigung der herrschenden Eigentumordnung gegen das Aufbegehren ihrer unterprivilegierten Insassen praktisch im Nebenlauf. Die informationstechnisch erweiterte Kontrolle trägt dazu bei, die von Neid und Angst bestimmte Arbeitsgesellschaft in immer kleinere, voneinander isolierte Einheiten zu zerteilen. Die Überwachung der Arbeit bis in intime Bereiche hinein zu verwerfen und informationelle Selbstbestimmung prinzipiell vorauszusetzen, anstatt ihre Einschränkung zur Kondition der Ware Arbeitskraft zu erheben, ist und bleibt mit dem privatwirtschaftlich organisierten Kapitalismus unvereinbar.

28. Juli 2017


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