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HERRSCHAFT/1758: Trotz allem - linker Wahlerfolg in NRW (SB)



Knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, heißt es zum Ergebnis der Partei Die Linke bei der Landtagswahl NRW. In der Erwartung, daß linksradikalen und außerparlamentarischen Bewegungen entspringende Parteien, wenn sie sich einmal an den Fleischtöpfen der repräsentativen Demokratie eingefunden haben, über jedes Stöckchen springen, das man ihnen hinhält, soll die Linkspartei in Zukunft um so mehr Abbitte von allem leisten, was ihre Regierungsfähigkeit in Bund und Land beeinträchtigen könnte. Dafür gibt es auch in diesem Fall nicht den mindesten Grund. Die antidemokratische Sperrklausel, auch kleines Parteiverbot genannt, ist so ein Stöckchen, gegen dessen Disziplinierungsimpetus schon aus Prinzip eigener Glaubwürdigkeit zuwiderzuhandeln ist.

Man kann es auch ganz anders sehen. Die Linkspartei in NRW hat ihr Ergebnis von 2,6 Prozentpunkten bei der Landtagswahl 2012 mit einem Zugewinn von 2,4 Prozent in diesem Jahr fast verdoppelt, war also durchaus erfolgreich. Daß sie 2010 schon einmal mit 5,6 Prozent in den Landtag eingezogen war, um 2012 mehr als die Hälfte ihre Wählerinnen und Wähler zu verlieren, muß nicht bedeuten, daß Die Linke jetzt verlorenes Terrain zurückgewonnen hat. Angesichts der andauernden Krise und der allgemeinen Rechtsentwicklung in der EU ist die Ausgangslage und Klassenzusammensetzung heute eine andere. Seit dem Aufstieg der AfD ist Die Linke weniger denn je eine Adresse für sogenannte Protestwähler, die ihrem Unmut Luft machen wollen und dabei auf die Anti-Establishment-Rhetorik des kommenden Establishments hereinfallen. Die Anziehungskraft emanzipatorischer, nicht den eigenen Vorteil an erste Stelle setzender Positionen hat demgegenüber stark abgenommen. Gerade weil die AfD denjenigen Teil der Bevölkerung einsammelt, der die eigene Misere als Bestätigung nationalistischer und rassistischer Ressentiments versteht, taugt Die Linke nur bedingt für das wetterwendische Potential einer Anspruchshaltung, laut der der Staat dazu berufen sei, sich um die Sorgen und Nöte der Menschen zu kümmern.

Wie jeder antikapitalistisch denkende Mensch weiß, ist der irreführende Glaube daran, in der Politik gehe es um das Wohlbefinden aller Menschen oder auch nur des eigenen Staatsvolkes, der Kitt, der die gesellschaftliche Funktionsfähigkeit bei anwachsender sozialer Polarisierung sicherstellt. Da die rechte Antwort auf die soziale Misere, Staat und Nation von mißliebigen Nutznießern freizuhalten und mit allen Mitteln gegen die globale Krisenkonkurrenz aufzustellen, von der AfD und den Unionsparteien besetzt ist, bereiten linkspopulistische Avancen à la Wagenknecht und Lafontaine vor allem der politischen Reaktion das Feld. Warum eine Linke wählen, wenn das Original im Angebot ist, werden sich viele Menschen fragen, die ihr Heil im Anrennen gegen das Feindbild anderer Hungerleider suchen, mit denen sie um den verbliebenen Kuchen sozialstaatlicher Vergünstigungen zu konkurrieren glauben, anstatt sich im Widerstand gegen die kapitalistische Mangelregulation zusammenzuschließen.

Antikapitalistische Positionen, mit denen die Schaffung günstiger Voraussetzungen zur Kapitalverwertung bekämpft wird, erfreuen sich hierzulande nur geringer Beliebtheit. Auch sozialpartnerschaftliche Arrangements oder keynesianische Umverteilungslogik, mit denen ein Kapitalismus befriedet wird, den es im Kern abzuschaffen gilt, stellen keine Erfolgsgarantie mehr dar, wie der Niedergang der Sozialdemokratie bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW zeigt. Fatal für die Linkspartei ist denn auch, sich lediglich in Teilbereichen wie der Kriegspolitik, der Flüchtlingssolidarität, der Menschenrechts- und Antirepressionsarbeit deutlich von der SPD abzusetzen. Dies im Grundsatz fundamentaler Gesellschaftskritik zu tun und sich nicht vom Scheitern an der Sperrklausel beeindrucken zu lassen böte die Gewähr dafür, keiner Abweichungen ins sozialdemokratische Lager verdächtig und damit eine glaubwürdige Adresse für die wachsende Zahl derjenigen zu sein, die in dieser Gesellschaftsordnung nicht mehr leben wollen, weil sie schlicht zu zerstörerisch ist.

Da sich das Gros der sogenannten Protestwähler rechten Parteien zuwenden dürfte und Die Linke NRW im Spektrum der Landesverbände der Partei eher links verortet ist, ist ihr Wahlergebnis bei weitem nicht so schlecht wie behauptet. Scheitern an der Wahlurne wird ihr nur aus dem einen Grund attestiert, sie auch in Zukunft und vor allem in Hinsicht auf die Bundestagswahl kleinzuhalten. Gerade weil das Wählerpotential einer genuin sozialistischen, kommunistischen und internationalistischen Linken in der Bundesrepublik klein ist, liegt es in ihrer Verantwortung, den langfristigen Aufbau einer parlamentarischen Präsenz antikapitalistischer Kräfte nicht durch opportunistische Zugeständnisse an Regierungskoalitionen und die Distanzierung von außerparlamentarischen linksradikalen Bewegungen zu schwächen. Auch aufgrund der Notwendigkeit antifaschistischen Widerstandes und der Bekämpfung militaristischer Politik wäre zu wünschen, daß Die Linke dem gesellschaftlichen Trend zur Unterwerfung unter die Sachzwanglogik des Kapitals zuwiderhandelt und den bequemen Weg in die opportunistische Mitte rechts liegen läßt.

15. Mai 2017


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