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HERRSCHAFT/1754: Internationaler Frauenkampftag ... was sonst? (SB)



Acht Männer vereinen weltweit so viel Reichtum auf sich wie die 3,6 Milliarden Menschen umfassende ärmere Hälfte der Weltbevölkerung insgesamt. Weltweit verdienen Frauen rund 23 Prozent weniger als Männer bei gleicher Leistung und Tätigkeit. Während Frauen vor allem in Niedriglohnsektoren, in prekären und informellen Jobs tätig sind, bleiben die Unternehmenszentralen und -vorstände fast ausschließlich in Männerhand. Das trifft in der EU auf 97 Prozent der Vorstandsposten zu, was bedeutet, daß unternehmerische Entscheidungen im Zweifelsfall von Männern für Männer getroffen werden. Zusätzlich zur unterbezahlten Lohnarbeit verrichten Frauen bis zu zehn Mal mehr Care-Arbeit als Männer. Unbezahlte Reproduktionstätigkeiten wie Kochen, Reinigungsarbeiten, Kindererziehung, Altenpflege zu verrichten muß dennoch nicht heißen, daß, wie im Kleinfamilienklischee der AfD propagiert, ein Mann als Erwerbsarbeiter vorhanden ist, der den häuslichen Betrieb finanziert. Selbst in der sozial vermeintlich fortschrittlichen Bundesrepublik sind 97 Prozent aller Alleinerziehenden Frauen, von denen sich rund die Hälfte im Leistungsbezug Hartz IV mit allen dazugehörigen Schikanen und Repressalien befinden. Weltweit wird unbezahlte Subsistenzarbeit, also die notgedrungene Sicherung des blanken Überlebens, in erster Linie von Frauen verrichtet, die so einer Doppelt- und Dreifachbelastung ausgesetzt sind.

In der Bundesrepublik werden rund 100.000 Frauen alljährlich von häuslicher Gewalt betroffen, Dunkelziffer unbekannt. Rund 20 Vergewaltigungen pro Tag kommen in der Bundesrepublik zur Anzeige, auch das dürfte nur die Corona des Großfeuers gewaltsamer sexueller Unterwerfungsakte sein. 94 Prozent davon werden an Frauen begangen, nur 8,1 Prozent der Vergewaltigungsanzeigen enden mit einer Verurteilung. Die deutsche Sexindustrie, in der zum einen Sexarbeiterinnen dafür kämpfen, diesen Beruf mit allen Rechten und Möglichkeiten wie jeden anderen auch ausüben zu können, während gleichzeitig Zwangsprostitution und Menschenhandel in großem Ausmaß gang und gäbe sind, erwirtschaftet im europäischen Vergleich den mit Abstand größten Gewinn. Der politische Umgang mit Prostitution, ob im "Bordell Europas" oder anderswo, bleibt ein Streitfall unter Feministinnen. Wo Klassenverhältnisse weltweit über Leben oder Tod entscheiden, macht die Liberalität der kapitalistischen Marktwirtschaft auch Menschen zu Akteuren in Ausbeutungsprozessen, die ihrerseits ihre Haut als Ware Arbeitskraft zu Markte tragen müssen.

Die Bürger der Bundesrepublik kaufen in erheblichem Maße von Frauen verrichtete Dienstleistungen im europäischen Ausland ein. Dort ist die Bereitschaft, für eine hierzulande als Hungerlohn geltende Bezahlung weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn, der mit allerlei Verbuchungstricks umgangen werden kann, für einen Job in einem Fleischereibetrieb, der Gastronomie, der Altenpflege oder im Reinigungsgewerbe nach Deutschland zu kommen, so groß, daß die eigenen Eltern ins Pflegeheim müssen, weil die Tochter im Ausland die Eltern anderer Kinder betreut. Mitunter kaufen Deutsche auch Dienstleistungen privat im Ausland ein, die den Charakter elementarer physischer Ausbeutung aufweisen, wenn sie etwa Frauen aus armen Familien für eine hierzulande illegale Leihmutterschaft, Eizellen- oder Organspende bezahlen.

Wo Gleichberechtigung auf Antidiskriminierung und geschlechtergerechte Teilhabe an Berufschancen und Entlohnung reduziert wird, fungieren auch Karrieristinnen als Konsumentinnen prekärer, von Frauen verrichteter Arbeit. Um die Leistungsnormen einer patriarchalen Gesellschaft erfüllen zu können, beschäftigen sie ihrerseits Haushaltshilfen oder Kinderbetreuerinnen. Daß diese heutzutage nicht mehr unter "Dienstmädchen" oder "Putzfrauen" firmieren, muß nicht heißen, daß diese bestens ins Bild des spätkapitalistischen Neofeudalismus passenden Jobs weniger erniedrigend und ausbeuterisch sind.

Frauen sind mithin ebensowenig allein aufgrund ihres biologischen Geschlechts davor gefeit, Sachwalterinnen patriarchalischer Herrschaft zu sein, wie Schwule, Inter- oder Transsexuelle in den zweifelhaften Genuß männlicher Privilegien gelangen müssen, wenn sie von ihrer Umwelt dem männlichen Geschlecht zugeschlagen werden. In der Vertikale gesellschaftlich relevanter Geschlechterhierarchien steht der Mann oben und die Frau unten, und wo sich der einzelne Mensch auf ihr einfindet, wird anhand der heteronormativen Identitätsmerkmale entschieden, die sie oder er aufweisen oder nicht.

Von daher kann konventionelles Gender Mainstreaming das geschlechterspezifische Gewaltverhältnis nicht aufheben, es aber legitimieren und damit verstetigen. Wenn Frauen im Kampfeinsatz mit der Bundeswehr Menschenrechte in aller Welt verbreiten und dabei die Lebensgrundlagen ganzer Gesellschaften zerstören, sind die Leidtragenden meist Frauen. Wenn Frauen im Regierungsamt oder als Parlamentarierinnen imperialistische Strategien im globalen Süden durchsetzen, gilt das gleiche. Die formalrechtliche Gleichstellung ist in die soziale Widerspruchsregulation der neoliberalen Gesellschaft so perfekt eingebettet, daß sozialer Widerstand gegen die postmoderne Ständeordnung meist durch Abwesenheit glänzt. Herren und Knechte wissen, wo ihr Platz ist, und der Handschlag unter Männern, der die Sozialpartnerschaft besiegelt, bekräftigt ihr Bündnis gegen alle Frauen, die die neofeudale Harmonie mit grellen Mißklängen zu durchbrechen versuchen.

Auch in von Ausbeutung und Unterdrückung betroffenen Gruppen frißt sich die soziale Konkurrenz ins Gewebe solidarischer Verbindungen, wird sie doch angeheizt von einer sozialdarwinistischen Logik, derzufolge es immer schwächere Wesen gibt, denen die Last eigener Überlebensnot aufgebürdet werden kann. Kämpfen Frauen in der Bundesrepublik am 8. März Seite an Seite mit den Millionen Näherinnen in den Fabriken Südostasiens, die schon als junge Mädchen 12 Stunden am Tag im Akkord an der Nähmaschine arbeiten müssen, um im Alter von 30 bis 40 Jahren physisch so ausgelaugt zu sein, daß ihnen der frühe Tod willkommen ist, weil sie sich und ihre Familie von ihrem entbehrungsreichen Siechtum erlösen wollen? Denken sie, was selbst vielen linksradikalen Feministinnen abwegig erscheint, mitunter daran, daß schmerzempfindende Tiere von patriarchalischer Gewalt betroffen sind, wenn sie einem mit spezifisch maskulinen Attributen propagierte Fleischkonsum zum Opfer fallen oder auf sexistische, Frauen zum Objekt männlicher Begierden degradierende Weise als Lustobjekt dargeboten werden?

So sehr sich die am Internationalen Frauenkampftag protestierenden Gruppen und Menschen in ihren politischen Zielen unterscheiden mögen, so sehr gleichen sich die Angriffe auf ihr Leben. Sexistische Gewalt, dem Diktat einer auf Schlankheit und Jugendlichkeit abonnierten Mode- und Schönheitsindustrie nicht weniger immanent als der vielzitierten Rape Culture, ist vom Objektcharakter des Warenkonsums, der als zwingende Voraussetzung kapitalistischer Produktivität häufig mit der Ausbeutung weiblicher Körper als Projektionsfläche männlicher Wünsche angeheizt wird, nicht zu trennen. Die vergleichende Bewertung einzelner Menschen nach sogenannten Schönheitskriterien könnte kaum verletzender sein und wird doch in aller Öffentlichkeit als Lustbarkeit eines anonymen Publikums zelebriert, das die propagierten Ideale weiblicher Physis wie die Leistungsdaten eines Automobils oder die Körpermaße eines zur Schlachtung vorgesehenen Rindes taxiert. Die bis auf weiteres auf fossile Brennstoffen angewiesene explosive mechanische Kraftübersetzung in Automobilen, Kampfflugzeugen oder Kettensägen wird vorrangig von Männern in Anspruch genommen, die wie selbstverständlich über Leichen in Menschen-, Tier- und Pflanzenwelt gehen.

Dafür, daß der Internationale Frauenkampftag nicht zum Feigenblatt herrschender Geschlechterpolitik verkommt, ist die Radikalität der erhobenen Forderungen nicht minder entscheidend wie die Verbindung dieses Kampfes zum sozialen Widerstand an jedem Platz und zu jeder Zeit. Stürzt einmal die Symmetrie nach geschlechtlicher Identität, nationaler Zugehörigkeit, sozialer Herkunft vermeintlich wohlproportionierter Eigentumsansprüche in sich zusammen, dann kann der Mensch den Platz einnehmen, auf dem er sich zum handelnden Subjekt emanzipieren, zum streitbaren Kollektiv verbünden und zur antagonistischen Klasse formieren kann.

7. März 2017


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