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HERRSCHAFT/1707: Reputationsmanagement für Lobbyisten im Wartestand (SB)



Eine "Karenzzeit" für Politiker soll richten, was nicht zu richten ist. Wer aus einem Regierungsamt oder Parlamentssitz in einen hochdotierten Job der Wirtschaft wechselt, erhält diesen fast immer aufgrund der im Staatsdienst oder als Volksvertreter erlangten Expertise und Kontakte. Wenn diese sich so gewinnbringend verwerten lassen, daß selbst scheidende Politiker ohne besondere berufliche Eignung ihr nicht eben schlechtes Salär als Abgeordnete oder Regierungsbürokraten noch deutlich verbessern können, dann haben sie bereits zuvor das Geschäft derjenigen verrichtet, die sie nun einstellen oder gar nach Headhunter-Manier abwerben. Die Karriere als Lobbyist wurde also lange vor dem tatsächlichen Übertritt ins Lager der Wirtschaft eingeschlagen. Das zeigt sich auch daran, was nicht als Qualifikation bei der Anbahnung neuer Geschäfte gilt, wie etwa die grundsätzliche Opposition gegen jede Form von Ausbeutung durch Arbeit oder eine radikalökologische Position, mit der kein grüner Kapitalismus zu machen ist.

Was in nämlicher Karenzzeit, ob sie nun ein oder drei Jahre währt, abklingen soll, betrifft nicht die vermeintliche Malaise einer Politik, die der Selbstermächtigung ökonomischer Interessen eherne Grenzen setzt. Auch die von einem solidarischen Denken, das den Primat von Mensch und Natur gegen Verwertungszwang, Sparpolitik und Wachstumsdogma verteidigt, ausgehende Gefahr gesellschaftlicher Veränderung ist nicht gemeint, wenn Menschen mit einem öffentlichen Mandat eine Wartezeit auferlegt wird, in der ihnen, wie der aus lateinisch "carentia" für "Nichthaben, Entbehren" abgeleitete Begriff nahelegt, pekuniäre Zurückhaltung angeraten wird. Man gibt sich vielmehr bescheiden, um vergessen zu machen, daß die neoliberale Marktwirtschaft die Geschäftsgrundlage des Staates und das privatwirtschaftlich organisierte Kapital sein wichtigster Partner bei der Sicherung eines Wachstums ist, dessen geldwerte Bemessung alle gesellschaftlichen Verhältnisse regiert.

Nicht der Ethos einer bürgerlichen Demokratie, für die die Kategorie des Wertes noch nicht auf ökonomische Forderungen reduziert ist, sondern die Hoffnung auf Freiheit und Gerechtigkeit repräsentiert, ist die treibende Kraft der politischen Willensbildung. Wo Volkssouveränität und Verteilungsgerechtigkeit suggeriert werden, beherrscht das nationale Ziel eines Wirtschaftswachstums die Maßgaben eines politischen Handelns, das mehr denn je dem Sachzwang des Geldes unterworfen ist, seinen Wert gegenüber einer Zahlungsforderung zu erhalten, deren Begleichung sich weit in die Zukunft noch gar nicht erbrachter Leistungen erstreckt. Wo die von der Finanz- zur Staatschuldenkrise mutierte Kreditierung gesellschaftlicher Erfordernisse nicht mehr durch menschliche Arbeit in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen gedeckt werden kann, weil ihr Wert bereits in der destruktiven Monopolisierungstendenz der Marktkonkurrenz verfällt und immer weiter hinter der am Finanzmarkt akkumulierten Geldmenge zurückbleibt, da hält der Staat die Menschen, deren Steueraufkommen sein einziges Kapital bildet, zu immer größerer Leistungs- und Entbehrungsbereitschaft an.

In einer technischen Produktivkraftentwicklung, die nicht selten mit desaströser Umweltbilanz einhergeht und auch in ihrer grünen Version gegen die Verwirklichung tatsächlich klimaneutraler Reduktionsziele verstößt, in der expansiven Erschließung neuer Märkte notfalls auch durch Gewaltandrohung und der effizienteren Ausbeutung der Arbeit durch die Zurichtung des Menschen zum Humankapital artikuliert sich ein politischer Wille, der offenkundige Erfordernisse, die im Interesse der meisten Menschen stehen, nicht nur ignoriert, sondern aktiv als illusionär oder unproduktiv diskreditiert. Die egalitäre Befriedigung essentieller materieller Bedürfnisse, die Herstellung eines Friedens, der den sozialen Krieg tatsächlich beendet, anstatt ihn in neoliberaler Art zur sozialdarwinistischen Natur des Menschen zu erklären, und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nicht nur zwecks besserer Ausbeutbarkeit, sondern um ihrer selbst willen, gehören nicht zu den Zielen gesellschaftlicher Machtausübung.

Die Kopplung der Sozialhilfe an den Arbeitszwang und die dadurch erwirkte Senkung aller Lohnforderungen ist der deutlichste Ausdruck dessen, daß die Politik den sogenannten freien Markt in ein modernes Arbeitshaus verwandelt hat. Dort werden die Menschen mit der Peitsche des Mangels zur Schaffung eines Reichtums angetrieben, der seinen Produzentinnen und Produzenten nicht nur entzogen, sondern in der Fortschreibung und Vertiefung ihrer Abhängigkeit direkt gegen sie verwendet wird. Die Verfügungsgewalt über menschliche Arbeit als einzige Ressource einer Mehrwertproduktion zu vertiefen, ohne die sich das fiktive Kapital, also die als Vermögen ausgewiesene Bringschuld vergebener Kredite, im wortwörtlichen Sinne in Luft auflöste, gelingt am wirksamsten dann, wenn sich der Preis der Arbeit nicht, wie unterstellt, äquivalent zu ihrem Ergebnis verhält. Hier hat die monetaristische Politik der EZB, den Banken Milliarden Euro an zinsgünstigem Geld zur Verfügung zu stellen, ihren tieferen Sinn. Anstatt die damit angeblich bezweckte Belebung der Wirtschaft dadurch zu erreichen, den Lohnforderungen der Arbeiterinnen und Arbeiter stattzugeben, was auch bedeutete, ihnen neue politische Handlungsmacht an die Hand zu geben, wird die zentrale gesellschaftliche Machtfrage zugunsten eines Kapitals beantwortet, das diese Milliarden auch in Zukunft vor allem in Eigentumstitel, Nutzungsrechte und die Spekulation mit Rohstoffen und Börsenwerten investieren wird.

Um all das nicht ruchbar werden zu lassen, sondern immer weiterreichenden Einbrüchen der Verwertungslogik in bislang unerschlossene Potentiale menschlicher Subjektivität, kollektiver Daseinsvorsorge und noch nicht verbrannter und verzehrter Naturgüter Vorschub leisten zu können, verrichten die politischen Funktionseliten unverzichtbare Arbeit an der gesellschaftlichen Legitimationsproduktion. Wo sich im schönen Schein der Widerspruchsregulation Risse und Brüche auftun, weil etwa eine als christliche Fundamentalistin mit besten Absichten geradezu überfrachtete Politikerin Torschlußpanik ob der Möglichkeit ereilt, einen Spitzenjob in einem Verband der Kommunalwirtschaft angesichts einer dagegen gerichteten Gesetzesvorlage vielleicht doch nicht antreten zu können, droht deutlich zu werden, daß Politik und Wirtschaft bestenfalls formalrechtlich voneinander getrennte Sphären kapitalistischer Vergesellschaftung sind.

Insofern rennen Politiker, die die ganze Aufregung gar nicht verstehen können, weil die Annäherung von Politik und Wirtschaft doch nur förderlich für den Standort Deutschland und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt sein kann, keine offenen Türen ein. Sie haben die Kommandobrücke des Schiffes, in dessen Kesseln alles verheizt wird, was seinen unentbehrlichen Nutzen nicht tatkräftig unter Beweis stellen kann, und das Besatzung wie Passagiere in schwerer See zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenschweißt, die die an Bord drängenden Schiffbrüchigen aus den bereits gekenterten Booten des Geleitzuges von der Reling zurück ins Wasser schubst, während die Kannibalisierung im Unterdeck längst begonnen hat, nie verlassen.

4. Februar 2015


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