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HERRSCHAFT/1690: Im Wechselspiel der Grauwerte - SPD auf Identitätssuche (SB)




Das Unbehagen vieler SPD-Politiker an der ihrer Partei zugedachten Rolle des kleineren Koalitionspartners ist in Anbetracht der ungebrochenen Stärke der Bundeskanzlerin nachvollziehbar. Doch welche Alternativen bieten sich? Der Vorschlag, sich in der Opposition vier Jahre lang darauf vorzubereiten, die Bundeskanzlerin vom Thron zu stoßen, und mit neuen Bündnisoptionen, die auch Die Linke nicht länger ausschließen, eine Regierung zu bilden, ist ein schwacher Trost für den Verzicht auf Posten und Ämter, die eine Regierungsbeteiligung mit sich bringt. Vor allem bleibt die Frage, womit sich die Sozialdemokraten in einer weiteren Oppositionsrunde profilieren könnten, wenn sie schon in der letzten Legislaturperiode in zentralen Punkten inhaltlich kaum von den Regierungsparteien abwichen?

So haben die SPD-Abgeordneten die sozialfeindliche Sparpolitik der Kanzlerin ebenso mitgetragen wie die Refinanzierung des krisengeschüttelten Finanzkapitals und die dadurch notwendig gewordene Sozialisierung dieser Kosten. Wenn neue Kriege geführt werden sollen, ist auf die SPD ebenso Verlaß wie bei der Drangsalierung der europäischen Peripheriestaaten durch die Auflagen der Troika. Im Wartestand der Opposition Regierungsfähigkeit zu demonstrieren verlangt eben, der Staatsräson ebensowenig zuwiderzuhandeln wie den Interessen der Kapitalmacht. Daß kleine soziale Linderungen kein Erfolgsrezept sind, hat die jetzige Bundestagswahl hinlänglich bewiesen. Was die SPD im Furor symbolpolitischen Engagements für die Benachteiligten tatsächlich auf die Waage bringt, hat Merkel längst für sich vereinnahmt, und das Wahlvolk nimmt es ihr auch ab.

Es wähnt sich, inmitten eines globalen Krisenszenarios, das Millionen Menschen in lebensbedrohliche Mangelverhältnisse zwingt, als Sieger einer Umverteilungspolitik, die auf weltweiter Ebene von unten nach oben schaufelt, was dort um so unwiederbringlicher in eine Festung des Reichtums verwandelt wird, so daß das Fußvolk sich in ihren Mauern gut aufgehoben fühlt, weil außerhalb Not und Elend herrschen. Die sozialen Ansprüche, die SPD-Politiker erheben, basieren unausgesprochen auf der Ausschließung jener angeblich unproduktiven Menschen, die Parteigenosse Thilo Sarrazin ganz offen dorthin wünscht, wo nicht einmal mehr der Pfeffer wächst. So ist die sozialdemokratische Umverteilungspolitik und Forderung nach sozialer Gerechtigkeit im Kern national bestimmt, nicht nur, weil die Partei bloß der deutschen Bevölkerung zur Wahl steht, sondern weil die EU-Staaten sich durch die währungspolitische Egalisierung hochgradig differenzierter Produktivitätsniveaus in verschärfter nationalstaatlicher Konkurrenz befinden.

Träte die SPD mit der Forderung an, den Sozialismus in der EU zu verwirklichen, dann wäre das unbedingte Festhalten an der europäischen Einigung perspektivisch auf eine europäische Umverteilung ausgerichtet, von der die Bundesrepublik zumindest vorübergehend am wenigsten profitierte. Als Verfechtern der neoliberalen, durch den Primat des Förderns und Forderns sozialdarwinistisch dynamisierten Marktordnung könnte den Sozialdemokraten daher nichts ferner liegen, als dem deutschen Imperialismus die Stirn zu bieten und damit eine soziale Opposition zu begründen, die den Namen verdient. Da sich die Partei, wie das Festhalten an Sarrazin belegt, nicht eingestehen will, in welchem Ausmaß ihre politische Doktrin die Ausschließung und Abstrafung im Sinne der kapitalistischen Verwertungslogik nicht versorgungsberechtigter Menschen unterstützt, kann sich ihre Abgrenzung zu den Unionsparteien immer nur in einem eng umschriebenen Spektrum von Grauwerten bewegen.

Historisch gesehen hat sich die Rolle einer Partei, die bis heute mit ihren sozialistischen Wurzeln kokettiert, ohnehin weitgehend überlebt. Die Einbindung sozial widerständiger Kräfte durch den von der Sozialdemokratie in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften moderierten Klassenkompromiß wurde durch den Primat einer "Eigenverantwortung" obsolet gemacht, der die sozialen Leistungen der Eigentumsordnung in ein neofeudales Schuldverhältnis umgewidmet und das atomisierte Marktsubjekt der Pflicht zur ständigen Selbstoptimierung unterworfen hat. Die längst vergessene Erinnerung an das klassenkämpferische Ideal internationaler Solidarität wurde in einen vermeintlich "positiven Patriotismus" transformiert, der immer dann seine Zähne zeigt, wenn globale Handels- und Verwertungsverhältnissse durch nationale Sonderwege in Frage gestellt werden. Dies kann ärmeren Bevölkerungen nicht zugebilligt werden, nur weil die wohlhabenden Metropolengesellschaften die Globalisierung ihrer Rechts- und Marktordnung zu einem sie begünstigenden Geschäftsmodell ausgebaut haben.

Kurz gesagt, vor die Wahl gestellt, als in der Wolle rot gefärbte Opposition der zweifelhaften Aussicht zu folgen, in vier Jahren zu schaffen, was der SPD aufgrund der inhaltlichen Verwechselbarkeit mit den Unionsparteien bei dieser Bundestagswahl nicht gelungen ist, oder die bewährte und daher lediglich suspendierte Zusammenarbeit in Regierungsverantwortung wiederaufleben zu lassen, sind die Sozialdemokraten gut beraten, selbst zum Preis einiger Zugeständnisse zu nehmen, was ihnen angeboten wird. Sich darauf nur widerstrebend und unter Pochen auf vermeintliche politische Unabhängigkeit einzulassen gehört ebenso zur Mimikry der parteipolitischen Farbenschau wie die vierjährliche Scharade, bei der die Requisite des parlamentarischen Staatstheaters zum Tanz um neue Sitzordnungen und Zuständigkeiten altbewährte Masken und Kostüme ausgibt.

24. September 2013