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HERRSCHAFT/1689: Grün sieht Schwarz - Wahldesaster beflügelt Koalitionsgelüste (SB)




Lange standen die Zeichen auf Sieg. Vor zwei Jahren marschierten die Grünen bei Umfragen in Richtung 30 Prozent. Eine stabile Marge jenseits der 20 Prozent galt als sicher, und man stellte sich ernsthaft die Frage, ob da eine neue Volkspartei heranwachse und diese nicht klug beraten wäre, einen eigenen Kanzlerkandidaten aufzustellen. Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen - bei den vergangenen Landtagswahlen waren sie die Gewinnerpartei schlechthin und sahen sich bereits als die neue Mitte. Einer rot-grünen Bundesregierung schien nichts im Weg zu stehen, und im vergangenen Herbst kürte die Basis in einer Urwahl den als links geltenden Jürgen Trittin und die Realo-Vertreterin Katrin Göring-Eckardt zu den Spitzenleuten für 2013, was die gesamte Partei euphorisierte. Die traditionsgrüne Klientel zufriedenzustellen und mit der Frontfrau Göring-Eckardt, die auch eine wichtige Rolle in der Evangelischen Kirche spielt, weit ins bürgerliche Lager vorzudringen, schien den Spagat in einen eleganten Schlittschuhschritt zu verwandeln: Links ein Schwung, rechts ein Schwung, und schnurstracks ins Zentrum politischer Macht.

Doch je näher der Termin der Bundestagswahl rückte, desto mehr sackte die Partei ab. Hatten sie Demoskopen noch vor wenigen Monaten bei 15 Prozent oder mehr gesehen, so hofften die Grünen zuletzt nur noch auf ein Ergebnis wie 2009 oder ein Wunder. Sie hatten sich ein Wahlprogramm verpaßt, das auch Steuererhöhungen für Gutverdiener vorsah und damit auch vielen Grünen-Sympathisanten ins Fleisch schnitt. Hinzu kam die Kontroverse um vegetarische Tage in öffentlichen Kantinen und zuletzt setzte es heftige Anfeindungen wegen angeblicher Pädophilie-Verstrickungen in den frühen Jahren der Partei. Schließlich mußten sich sogar Jürgen Trittin selbst und der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck für Texte aus der Frühzeit ihrer Laufbahn rechtfertigen [1]. Am Wahltag sprangen nur noch magere 8,4 Prozent und damit mehr als zwei Prozent weniger als bei den letzten Bundestagswahlen heraus - ein wahres Desaster für eine Partei, die bereits davon geträumt hatte, als zweitstärkste politische Fraktion neben der Union ihre Vision grüner Bürgerlichkeit fest zu verankern und die Zukunft für sich zu reklamieren.

Was war geschehen? Wenngleich eine ganze Reihe vordergründiger Faktoren aufgezählt werden könnte, die zum Resultat dieses Urnengangs beigetragen haben mögen, harrt der grandiose Absturz der Grünen doch eines tiefgreifenderen Erklärungsansatzes. Hatte sich die Partei einst in erbitterten Flügelkämpfen all jener Positionen entledigt, die einer Regierungsfähigkeit im Wege standen, und gemeinsam mit den Sozialdemokraten die Kriege nach außen und die verschärfte Drangsalierung im Innern durchgesetzt, so schien damit der Durchbruch zur Teilhabe an gesellschaftspolitischer Macht unumkehrbar vollbracht. Das hat sich nun als Trugschluß erwiesen. Es bedurfte nicht mehr als einiger Blößen, die sich die Grünen im Wahlkampf gaben, um ihnen die nächste Lektion zu erteilen: Erst wenn sie die letzten verbliebenen sozialen Flausen der Gründergeneration und am besten auch diese selbst über Bord geworfen haben, sind sie salonfähig in der Schaltzentrale der europäischen Führungsmacht.

Nun setzen die Grünen auf eine personelle Umwälzung, die eine opportunistische Glättung verbliebener Ecken und Kanten verspricht. Im Strom mitzuschwimmen, um nicht abgehängt zu werden, ist die sich abzeichnende Ultima ratio des sogenannten Neuanfangs. Auf einem Parteitag noch im Herbst sollen der sechsköpfige Vorstand wie auch der 16köpfige Parteirat neu gewählt werden, womit die gesamte Führungsriege zur Disposition steht. Im innerparteilichen Machtkampf werden Köpfe rollen, wobei bislang nur als sicher gilt, daß Parteichef Cem Özdemir erneut kandidieren wird. Aus der zweiten Reihe drängen junge, ehrgeizige Leute wie Gerhard Schick, Anton Hofreiter und Kerstin Andreae nach vorn.

Wie soll es weitergehen? Als kleinere Fraktion hinter der Linkspartei in der Opposition zu versauern, obgleich man keine unüberbrückbaren Widersprüche zu den Parteien einer drohenden großen Koalition hat, ist eine wenig attraktive Perspektive. Darauf zu warten, daß die Sozialdemokraten noch innerhalb der nächsten Legislaturperiode aus der Regierung ausscheren oder an deren Ende erneut darniederliegen, reizt ebensowenig zum emotionalen Überschwang. Da bietet sich als Abhilfe an, laut über Schwarz-Grün nachzudenken. Wäre da nicht die grüne Basis, die allergisch und mit massenhaften Parteiaustritten auf eine Koalition mit der Union reagieren könnte, ließen sich die Schleusen leichter öffnen. Folglich muß man aufpassen, was und wie man es sagt.

Fraktionschefin Renate Künast erwiderte auf die Frage nach Schwarz-Grün vorsichtig, man müsse sehen, wie der interne Diskussionsprozeß diese Woche abläuft. Parteichef Cem Özdemir schloß im Gespräch mit dem Deutschlandfunk [2] eine Koalition mit der Linkspartei aus, während er sich Gesprächen mit der Kanzlerin "nicht verweigern" will. Er nehme sie immer ernst und höre ihr zu, wie sich das unter erwachsenen Menschen gehöre. In der Union gebe es für alles vernünftige Positionen, aber eben auch das Gegenteil, schielt Özdemir nach der offenen Tür, ohne sie gleich einzurennen. Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in Baden-Württemberg und einer der Wortführer der Realos, formulierte es am Wahlabend so: Sollte es zu Sondierungsgesprächen kommen, wären die Grünen dabei. "Was dann rauskommt, kann keiner sagen." Sein Modell einer Art neobürgerlichen Mainstreams mit moderatem Ökoprofil dürfte vielen Grünen, zumal in den höheren Rängen der Partei, wie ein rettendes Leuchtfeuer in schwerer See erscheinen.

Weit vorgeprescht ist der bayerische Grünen-Landeschef Dieter Janecek, der den Wahlkampf seiner Partei als verfehlt kritisiert und Konsequenzen gefordert hat. Man brauche einen inhaltlichen und personellen Neuanfang, da der "selbstgestrickte Lagerwahlkampf" für Rot-Grün ein Fehler und das vom Spitzenkandidaten Jürgen Trittin vorangetriebene Steuerkonzept der falsche Schwerpunkt und schwer zu vermitteln gewesen sei. Falls die Bundeskanzlerin Koalitionsgespräche anbiete, "sollten wir die auch ernsthaft führen", forderte der frisch gewählte Bundestagsabgeordnete. Zwar würde es angesichts der Stärke der Union schwer werden, eigene Positionen durchzusetzen und den Grünen-Wählern den Schwenk zu erklären, doch müsse man sich künftig alle Optionen offenhalten. Statt wie Kretschmann mit Glaubwürdigkeit und ökologischen Kernkompetenzen zu punkten und das positive Bild einer ökologischen Wohlstandsgesellschaft zu vermitteln, seien die Grünen als Partei der Besserwisser und der Bevormundung erschienen. Jetzt sei Zeit für eine schonungslose Debatte über "die Neuausrichtung der Grünen auf Bundesebene", so Janecek. [3]

Und was sagt die Kanzlerin dazu? Deutschland brauche eine stabile Regierung, weshalb man für Gespräche offen sei. Mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel habe sie bereits "einen ersten Kontakt" gehabt, doch auf die Frage nach den Grünen erklärte sie lediglich, das schließe weitere Kontakte nicht aus. Gründlichkeit gehe vor Schnelligkeit, da "für Deutschland etwas herauskommen" müsse. "Über rote Linien spreche ich heute nicht. Das hat ja keinen Sinn", machte sie den Grünen keinerlei Avancen, schloß Verhandlungen aber auch nicht aus [4]. Wer sich im Zweifelsfall bewegen muß, unterstrich Julia Klöckner, Landes- und Fraktionsvorsitzende der CDU in Rheinland-Pfalz. Es gebe auch die Möglichkeit Schwarz-Grün, und da müsse man eben sehen, wie weit die Grünen überhaupt dazu bereit sind. Die Union habe den klaren Auftrag bekommen, "dass möglichst viel Union in einer möglichen Koalition drin sein wird". Und da hänge es "natürlich immer vom Personal ab, wer schickt wen auch jetzt rein? Auch die Grünen - ist Herr Trittin geschwächt - wie sehr halten sie fest an den Steuererhöhungsvorstellungen, die sie haben?" [5]

Deutlicher könnte das Signal kaum sein, daß sich die Grünen von ihrem inhaltlichen und personellen Ballast trennen müssen, wollen sie gesprächsfähig für die Union sein. Das dürfte einer aufstrebenden jungen Garde der Grünen durchaus einleuchten, die eine günstigere Situation als das Wahldesaster so schnell nicht wieder vorfinden dürfte, um Trittin zu stürzen und den sogenannten linken Flügel entscheidend zu schwächen. Nie wieder so aberwitzige Forderungen wie eine Reichensteuer, lautet die Maxime der Protagonisten einer "ökologischen Wohlstandsgesellschaft", in der man sich nur zu gerne einrichten und die Abgehängten abgehängt sein lassen möchte. Da kann man sich durchaus mit der Union anfreunden, um womöglich als deren Juniorpartner die Nachfolge der FDP als Mehrheitsbeschaffer anzutreten.


Fußnoten:

[1] RAUB/1069: Trittins Lektion - Kindeswohl aus unionschristlicher Sicht (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1069.html

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2261226/

[3] http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.bundestagswahl-2013-schwarz-gruene-koalition-janecek-fordert-neuanfang.eaea8caa-5896-4ebf-81d7-7a468e6bd2e9.html

[4] http://www.welt.de/politik/deutschland/article120296259/Was-macht-Merkel-wenn-SPD-und-Gruene-sich-verweigern.html

[5] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/2261107/

23. September 2013