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HERRSCHAFT/1686: Warum nicht Alleinstellungsmerkmal Fundamentalopposition? (SB)




Das Fernsehduell zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück hat einer Personifizierung der politischen Auseinandersetzung Vorschub geleistet, bei der die Selbstdarstellung aktuell führender Protagonisten der herrschenden Verhältnisse längst jeder inhaltlichen Diskussion den Rang abgelaufen hat. Zusammengefaßt in der Frage, wer von beiden denn nun gewonnen habe, feiert die Unveränderbarkeit der Gesellschaftsordnung und die blinde Überantwortung aller Geschicke an die harten Hände staatslenkender Interessen Urstände. Reduziert auf die Rolle des Publikums bei einer Inszenierung der Mächtigen, erschöpft sich die Teilhabe des Wahlvolks auf das für sein Fortkommen bedeutungslose Heben oder Senken des Daumens, verwechselt es doch seine virtuelle Präsenz auf den Rängen der Arena mit der dadurch entsorgten Einflußnahme auf politische Entscheidungen.

Als sei der hegemoniale Übertrag US-amerikanischer Politunkultur in Gestalt des Zweiparteiensystems unanfechtbare Richtschnur bereitwilliger Unterwerfung, spricht das auf Merkel und Steinbrück geschrumpfte Rededuell dem deutschen Mehrparteiensystem Hohn. Sämtliche kleineren Parteien werden krass benachteiligt und zu bloßen Mehrheitsbeschaffern degradiert, vor allem aber als potentielle Störenfriede im Konzert der symbolischen oder faktischen großen Koalition ausgeschlossen. So hackt eine Krähe der andern kein Auge aus, vordergründig der unaufgeregten Präsentation staatsmännischer Gelassenheit geschuldet, grundsätzlich jedoch mangels ernsthafter Differenzen hinsichtlich des anzulegenden Kurses.

Mit einer geringfügigen Korrektur dieses Mankos kokettierend, holte der Deutschlandfunk den Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei, Gregor Gysi, ans Telefon, um die Berichterstattung mit seiner bekanntermaßen wortgewandten Behendigkeit zu würzen [1]. Obgleich Peer Steinbrück noch einmal dezidiert erklärt hat, er halte die Linkspartei nicht für koalitionsfähig, und die Grünen in ihrem Wahlprogramm schreiben, Die Linke mache unseriöse sozial- und finanzpolitische Versprechungen, so daß der Wortbruch vorprogrammiert sei, hält Gysi an den Avancen fest, für eine rot-rot-grüne Mehrheit zu werben.

Wenigstens schließt er die befristete Tolerierung einer möglichen Regierung aus Sozialdemokraten und Grünen entschieden aus, wie sie der Parteivorsitzende Bernd Riexinger kürzlich ins Spiel gebracht hatte. Offenbar wollten zu Monatsanfang Teile der Parteiführung die Tolerierung einer Minderheitsregierung formell ausschließen, doch kam ein geplanter Vorstandsbeschluß dieses Inhalts nicht zustande. [2] Nun stellte Gysi noch einmal klar, daß man entweder richtig toleriere oder gar nicht. Ersteres wäre mit einer Einbeziehung in alle Beschlüsse verbunden, weshalb man dann auch gleich mit am Kabinettstisch sitzen könne. Alles andere lehne er ab, da man schließlich nicht ein bißchen Soziales mit der SPD und Kriegsbeteiligung mit der Union beschließen wolle. "Entweder wir gehen in die Regierung, dann muss es inhaltlich stimmen, oder aber wir sind Opposition. Was Halbgewalktes würde ich uns immer abraten zu machen."

Diese energisch vorgetragene Klarheit, "Halbgewalktes" tunlichst zu meiden, endet jedoch sofort beim Lavieren zwischen Abgrenzung von SPD und Grünen auf der einen und Angeboten zur Zusammenarbeit in einer Koalition auf der anderen Seite. Wie Gysis Gesprächspartner Jürgen Liminski zwischendurch bilanziert, seien die Schnittmengen mit diesen beiden Parteien augenscheinlich nicht eben groß, zumal diese der Linkspartei ohnehin ein ums andere Mal eine Absage erteilt hätten. Wie also sollte es dennoch zu einer Koalition kommen?

Dem hält Gysi entgegen, die SPD suche nur immer neue Ausreden. Zuerst habe man der Linkspartei eine falsche Geschichte vorgehalten, dann einen Oskar Lafontaine im Bundestag zum Unvereinbarkeitskriterium erklärt. Jetzt seien es plötzlich die falschen Mitglieder, wenn Peer Steinbrück die kleine kommunistische Plattform zum dritten Teil der Partei erkläre. Das sei doch alles Kokolores. Ihn selbst hätten schon linke sozialdemokratische Gruppen scharf kritisiert, was er aber nie der SPD als solcher vorhalte. Auf eine Mehrheit in Thüringen und Sachsen-Anhalt habe sich die SPD bekanntlich nicht eingelassen. Die Sozialdemokraten sollten keine Ausreden suchen, sondern sich einen Ruck geben. Er verlange ja nicht mehr, als daß die SPD wenigstens sozialdemokratisch wird. Sollte das geschehen, sei eine Zusammenarbeit möglich.

Was die Grünen betrifft, hält auch Gysi eine ökologische Nachhaltigkeit für sinnvoll. Allerdings müsse es eine sozialökologische Nachhaltigkeit sein, da es gelte, auch die ärmeren Schichten der Bevölkerung mitzunehmen. Beispielsweise wäre die inzwischen nicht mehr aktuelle Forderung nach einer Benzinpreiserhöhung verheerend für viele Pendler, die auf dem Lande leben. Auch bei den Strompreisen dürfe der Ausstieg aus der Atomenergie nicht zu einer finanziellen Katastrophe für die ärmeren Leute werden. Das müsse man den Grünen "noch ein bisschen beibringen, dass sie die soziale Frage immer mit beantworten müssen."

Die Losung der Linkspartei, sie wolle die Gesellschaft verändern und scheue dafür "weder den Weg über eine Regierungsbeteiligung noch über die Oppositionsrolle" [3], spart die entscheidende Frage geflissentlich aus: Könnte von dieser Veränderung überhaupt noch die Rede sein, wenn sich Die Linke nach den Maßgaben von SPD und Grünen auf Regierungsfähigkeit getrimmt hätte, ist doch gerade der Ruch, die Linkspartei habe noch immer nicht allen gesellschaftsverändernden Ambitionen entsagt, der entscheidende Hinderungsgrund. Das bloße Kalkül mit Wahlprognosen, wonach es für Rot-Grün allein nicht reichen werde, während Die Linke zu Gesprächen für einen Politikwechsel bereitstehe, kann diese Grundsatzdiskussion nicht ersetzen, auch wenn Gysi behauptet, Steinbrück und der SPD fehle dafür nur der Mumm. So gleitet die vorgehaltene Strategie der Linkspartei, sie treibe mit ihren Forderungen die SPD vor sich her, da doch die Sozialdemokraten immer mehr Positionen der Linken aufgegriffen hätten, in die durch nichts begründete Annahme ab, im Grunde ihres sozialdemokratischen Herzens wolle die SPD dasselbe, habe aber noch nicht den Mut, es zuzugeben.

Dabei trägt Gysi durchaus die Kritik vor, Steinbrück widerspreche sich permanent selbst, wenn er beispielsweise gegen die prekäre Beschäftigung argumentiere, die er zusammen mit Schröder und Fischer eingeführt hat. Auch hätten Union, SPD, Grüne und FDP zusammen beschlossen, das Rentenniveau zu senken und die Rente um zwei Jahre zu kürzen. Und dann noch die Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr, die stets von allen Fraktionen gemeinsam beschlossen wurden. "Und was hat uns der Afghanistankrieg gebracht und der afghanischen Bevölkerung? Nichts, außer Toten und viel Geld. Wir hätten denen viel wirksamer zivil helfen können, als dort einen Krieg zu führen. Das ist völlig daneben. Also Sie sehen: Es gibt noch vieles zu klären."

Der Gestus Gysis, daß man noch eine Menge mit den potentiellen Koalitionspartnern zu bereden habe, geht so weit an den tatsächlichen Ausschlußkriterien seitens Sozialdemokraten und Grünen vorbei, daß sich die Frage geradezu aufdrängt, wer am Ende wohl auf wen zugehen wird, wenn die Regierungsbeteiligung lockt. Offenbar ist der Aufwind der Meinungsumfragen der Führungsriege der Linkspartei derart zu Kopf gestiegen, daß sie diese Episode vermeintlicher Stärke um so mehr in Avancen an Parteien verpulvert, die sich bereits über das Stalking der Linken beschweren. Warum nicht das Bekenntnis zur Opposition zum Alleinstellungsmerkmal der Linkspartei erklären und den Menschen klar machen, warum man sich unter den herrschenden Verhältnissen keinesfalls an der Regierung beteiligen wird? Dann könnte man nicht nur die Kriege beim Namen nennen und tief aus dem Fundus sozialer Forderungen schöpfen, sondern womöglich am Ende auch noch verhindern, daß der dünn gewordene Faden des Gedankens an eine grundlegende Veränderung dieser Gesellschaft ganz abreißt.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2236125/

[2] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/gregor-gysi-und-bernd-riexinger-streiten-ueber-tolerierung-von-rot-gruen-a-919118.html

[3] http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2013-09/27884106-tv-duell-gysi-weder-von-merkel-noch-von-steinbrueck-ueberzeugt-003.htm

2. September 2013