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HERRSCHAFT/1664: Konzernpresse säuerlich - Chávez kann Lebenswerk fortführen (SB)




Säuerlich kommentiert die deutsche Konzernpresse den Ausgang der Präsidentschaftswahl in Venezuela, lagen Tiraden voll Spott und Hohn für den gescheiterten Hugo Chávez und seine unsägliche "Bolivarische Revolution" doch griffbereit in der Schublade. Nur nicht die Contenance verlieren, heißt es nun, denn ließe man der Wut und Enttäuschung freien Lauf, könnte am Ende noch der Eindruck entstehen, man habe aufs falsche Pferd gesetzt und dabei eine herbe Schlappe bezogen. Die Munition ist verschossen, genutzt hat es nichts. Notgedrungen behilft man sich mit distanzierter Ironie, der freilich selbst die letzten Spitzen auszugehen scheinen. Lahm kramt der Focus das "eigenwillige Sozialismus-Modell" des für seine stundenlangen Reden "gefürchteten" Staatschefs aus dem angestaubten Fundus der Pseudokritik. Doch "allen Unkenrufen zum Trotz genießt er vor allem in der armen Bevölkerung hohe Popularität" [1]. Auch der Süddeutschen Zeitung fällt am Tag danach nicht mehr viel ein, was man Chávez unter die Nase reiben könnte. Gemessen an den immensen Einkünften aus der Ölindustrie, die eine "üppige Sozialpolitik" ermöglicht hätten, falle die Bilanz seines sozialistischen Modells eher mager aus. Noch immer herrsche in einigen Vierteln der Hauptstadt Caracas Armut und Mangel, während nebenan die Oberschicht in Luxusvillen residiere [2]. Hat die Süddeutsche Chávez still und heimlich links überholt, daß sie ihm auch noch die unvollendete Revolution zum Vorwurf macht?

Den Bannerträger der Reaktion, Henrique Capriles Radonski, trifft keine Schuld. Er hat sein Bestes gegeben, die eigene Herkunft vergessen zu machen und seine politischen Absichten zu tarnen. Der 40jährige Hoffnungsträger der venezolanischen Eliten entstammt einer Familie von Medienunternehmern, die zu den reichsten des Landes gehört. Er gilt als einer der Hauptakteure des gescheiterten Putschversuchs gegen die gewählte Chávez-Regierung vom 11. April 2002, und die von ihm mitbegründete Rechtspartei "Primero Justicia" wird seit Jahren von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt. Um überhaupt Chancen bei der Wahl zu haben, präsentierte er sich dennoch als Mitte-Links-Politiker. Dieses Image bekam jedoch vor dem Urnengang Risse, als ein Geheimpapier mit dem tatsächlichen Programm nach einem Wahlsieg des rechten Bündnisses MUD publik wurde. Es sah unter anderem die Privatisierung der staatlichen Gesundheitsvorsorge und der Wasserversorgung, die Erhöhung der Tarife für Energie und öffentlichen Nahverkehr, die Abschaffung der staatlichen Lebensmittelmärkte mit garantierten niedrigen Preisen, Verschlechterungen bei der Rente und den Ausstieg aus weiteren sozialen Projekten vor. [3]

Kein Wunder, daß Capriles mit dem Motto "Hay un camino" (Es gibt einen Weg) angetreten war, wie es inhaltsleerer nicht sein konnte. Um welchen Weg es sich handelte, würden die Venezolaner noch früh genug erfahren, wenn er erst einmal im Präsidentenpalast säße, mochte sich der Herausforderer gedacht haben. Das bringt uns zu Barack Obama, der mit seinem "Yes we can!" vorgeführt hat, daß man haltlose Versprechen am besten macht, indem man sich alles offenhält. Festgelegt hat sich der US-Präsident aber bereits am 19. Dezember 2011 in einem Interview mit der konservativen venezolanischen Tageszeitung El Universal, worin er sich gegen die Wiederwahl von Chávez aussprach: "Ich warte auf den Tag, an dem die Regierungen der USA und Venezuelas wieder enger zusammenarbeiten können." Um dem nachzuhelfen hatte Obama im Haushaltsentwurf 2012 im "Budget für Auslandsoperationen des Außenministeriums" fünf Millionen Dollar für Anti-Chávez-Aktivitäten in Venezuela festgeschrieben. Wie wir dank der Anwältin und Journalistin Eva Golinger wissen, werden weitere Millionen zur Finanzierung politischer Kampagnen, von Medienpropaganda und anderen destabilisierenden Aktivitäten in Venezuela gezahlt.

Dort verbietet zwar das "Gesetz zum Schutz der politischen Souveränität und Nationalen Selbstbestimmung" seit Dezember 2010 die Finanzierung politischer Aktivitäten aus dem Ausland, doch behilft man sich eben mit verdeckter Unterstützung. Das gilt nicht zuletzt für die Tätigkeit deutscher Parteistiftungen, die sich seit Jahren für Regierungsgegner engagieren: Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU), Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD), Hanns-Seidel-Stiftung (CSU) und nicht zu vergessen die berüchtigte Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) mischen finanziell und personell mit - schließlich geht es um Bildung, Demokratie und Stärkung des Parlamentarismus, wobei ein kleiner Putsch wie in Honduras und Paraguay schon mal dabei abfallen darf. Allein stehen die deutschen Parteistiftungen bei diesem Treiben nicht, drängte doch die Bundesregierung im April innerhalb der Europäischen Union auf eine verstärkte Unterstützung der venezolanischen Opposition. Als dann eine deutsch-südamerikanische Parlamentariergruppe unter anderem Venezuela bereiste, traf man sich dort - wen wundert's - fast ausschließlich mit oppositionellen Kräften.

Die von Chávez angestoßene Entwicklung - das müssen seine Gegner zähneknirschend einräumen - hat seit 1998 beachtliche Erfolge erzielt und der ärmeren Bevölkerungsmehrheit deutliche Verbesserungen gebracht. Nach einem UNO-Bericht vom 21. August 2012 hat sich Venezuela zum Land mit der geringsten sozialen Ungleichheit in Lateinamerika entwickelt. Extreme Armut ist deutlich zurückgegangen, zahllose Menschen haben erstmals Zugang zu einer landesweiten medizinischen Versorgung, günstigen Lebensmitteln und Bildungseinrichtungen. Die Regierung hat ein ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm aufgelegt, und das Anfang Mai in Kraft getretene neue Arbeitsgesetz stellt die Forderungen deutscher Gewerkschaftsführer in den Schatten. Auch außenpolitisch hat die Regierung Chávez bemerkenswerte Zeichen gesetzt: Die Staatenbündnisse ALBA, Unasur, Celac und der Beitritt zum Mercosur zeugen ebenso von einem Kontrapunkt zur US-amerikanischen Hegemonialpolitik wie die Gründung von Petrocaribe, Petrosur, der Bank des Südens und der Gemeinschaftswährung SUCRE, an denen Caracas maßgeblich beteiligt ist.

Kein Wunder, daß der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" in der Bevölkerung Venezuelas mehrheitlich Unterstützung findet und Hugo Chávez in Lateinamerika hohes Ansehen vor allem bei jenen genießt, die von der kapitalistischen Klassengesellschaft und dem imperialistischen Übergriff der Vereinigten Staaten und europäischen Mächte nichts als Elend zu erwarten haben.

Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/ausland/bolivarische-revolution-geht-weiter-chavez-als-praesident-venezuelas-wiedergewaehlt_aid_834011.html

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/praesidentenwahl-in-venezuela-chavez-verlaengert-sein-sozialistisches-projekt-1.1489835-2

[3] http://www.scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=28864&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=de26fc5de2

8. Oktober 2012