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HERRSCHAFT/1652: Piraten - Politisches Parkett taugt nicht zum Maskenball (SB)




Die Piraten gehen den Weg aller Parteien - nur viel schneller. Wie im Zeitraffer durchrasen sie die Stationen, angefangen von der Euphorie des vermeintlichen Neubeginns und Sammelns sogenannter Protestwählerstimmen über innerparteiliche Flügelkämpfe und Einflußnahme von außen bis hin zur Frage der Koalitionsfähigkeit und Regierungsbeteiligung. Dem Zeitgeist entsprungen entbehrt ihnen jegliche Substanz, denselben zu bestreiten, was sie aus Perspektive der parteipolitischen Konkurrenz zwar zu Rivalen beim Buhlen um die Wählergunst, aber mit Blick auf die Staatsräson zu paßförmigen Leichtgewichten macht. Ein Stachel im Fleisch der Herrschaftsverhältnisse sind sie nicht und haben es auch nicht vor zu werden, beteuern sie doch bereits im Frühstadium ihres Selbstfindungsprozesses, daß sie weder rechts noch links stünden. Allseits für ihre innerparteiliche Demokratie und Kommunikation gelobt, die auf Delegierte verzichtet, zehren sie vorerst von der beschränkten Zahl ihrer Mitglieder, die samt und sonders auf den Parteitagen antragsfähig und stimmberechtigt sind.

Ihr Sympathiebonus liegt auf der Hand, können sie doch für sich reklamieren, ein höchst unfertiges Projekt zu sein, dem die meisten Unsäglichkeiten etablierter Parteien vorderhand abgehen. Daher schöpfen sie das bundesdeutsche Unbehagen angesichts verfallender Lebensverhältnisse ab, bevor es sich zum Zorn verdichten kann, der ernsthaft nach der Herkunft des Verhängnisses fragt. Der rasante Zuwachs an Wählerstimmen sieht zwar nach Pfunden aus, mit denen die Piraten wuchern können, riecht aber gewaltig nach einem Strohfeuer, dessen Natur es ist, in kürzesten Fristen abgefackelt zu werden. Sollten sie es schaffen, nicht nur den Sprung in die Parlamente fortzusetzen, sondern auch die dort geltenden eisernen Regeln und Konventionen zu fressen und damit politisch salonfähig zu werden, integrierten sie sich endgültig als Modul in die parlamentarische Maschinerie. Der frische Wind der Piraten, der gerade wegen seiner Ungreifbarkeit die Option, dem Establishment als eisiger Sturm ins Gesicht zu pusten, zumindest nicht ausschließt, wäre unwiderruflich verweht.

Vorwerfen kann man ihnen das nicht, nehmen sie doch nur auf ihre Weise wahr, was die parlamentarische Demokratie hergibt. Selbst wenn sie dauerhaft nur bestimmte Themen bedienten, wäre das legitim, aber natürlich nicht sehr erfolgreich, da ihnen die rivalisierenden Parteien die Regierungsfähigkeit absprächen. Alle Wege führen nach Rom, heißt es, und so ist auch den Piraten im für sie günstigsten Fall das Schicksal vorherbestimmt, als etablierte Partei dem Machterhalt bundesdeutscher Eliten zu dienen. Wofür andere Jahrzehnte oder Jahre gebraucht haben, nämlich den Ballast rebellischer Gesinnung und unbeugsamer Streitbarkeit abzuwerfen, um nicht von der Staatsgewalt in den Schwitzkasten genommen und bei anhaltender Widerborstigkeit abgewürgt zu werden, scheinen sie fast schon in Monatsfristen abzuarbeiten.

Das ist bedauerlich, steht doch zu erwarten, daß die Partei ihre Verfestigung zu einem tragenden Teil des Systems keineswegs streckt, sondern im Gegenteil abkürzt. Wenngleich das Ende ohnehin absehbar ist, sorgte doch eine längere Phase der inhaltlichen Auseinandersetzung und fundamentaloppositionellen Positionierung zumindest befristet für einen Diskussionsprozeß, der im Verbund mit außerparlamentarischen Bewegungen gesamtgesellschaftliche Kontroversen beflügeln könnte.

"Wenn keine andere Konstellation möglich ist und wir Gelegenheit erhalten, unsere Inhalte umzusetzen, sollten wir bereit sein, auch Regierungsverantwortung zu übernehmen", so der Parteivorsitzende Sebastian Nerz vor dem Bundesparteitag in Neumünster. [1] Auch der Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen, Joachim Paul, schließt eine Regierungsbeteiligung seiner Partei nach der Landtagswahl nicht völlig aus. Grundsätzlich könne er sich eine solche vorstellen, sagte Paul, der immerhin einräumt, daß die Partei noch etwas lernen müsse, sich in parlamentarischen Zusammenhängen zu bewegen: "Das geschieht normalerweise auf der Oppositionsbank." [2]

Von Regierungsbeteiligung zu träumen, obgleich die Partei mit der Wirtschaftspolitik und Außenpolitik noch zwei riesige programmatische Lücken aufweist, die erst im November mit einem Grundsatzprogramm geschlossen werden sollen, geht manchen zu weit. Die scheidende politische Geschäftsführerin Marina Weisband plädiert dafür, erst einmal auf den Oppositionsbänken weitere Erfahrung zu sammeln: "Wir sind, glaube ich, die perfekte Oppositionspartei. Wir sind keine Stur-dagegen-Partei, wir schließen uns Projekten an, andere lehnen wir ab." Sie bezweifle außerdem, daß irgendwer mit den Piraten regieren wolle. "Wer möchte mit einer Partei koalieren, die Fraktionszwang ablehnt? Der Sprung von gar nicht im Parlament zum Regieren ist viel zu groß. Auch wir lernen noch."

Mit wem die Piraten ihrerseits koalieren möchten, bleibt völlig offen. Joachim Paul sieht jedenfalls keine besondere Nähe zu einem der etablierten politischen Lager. Prinzipiell seien Koalitionen mit der SPD und der CDU möglich: "Es gibt inhaltliche Berührungspunkte mit allen Parteien. Mit der einen etwas mehr, mit der anderen etwas weniger." Solche Äußerungen lassen befürchten, daß die kommenden Kämpfe verschiedener Fraktionen innerhalb der Partei nicht so sehr zwischen politischen Flügeln im traditionellen Sinn geführt werden, als sich vielmehr auf die Frage reduzieren, wie schnell oder langsam man das Piratenkostüm ablegt, da das politische Parkett auf Dauer doch nicht zum Maskenball taugt.

Fußnoten:

[1]‍ ‍http://www.ftd.de/politik/deutschland/:parteitag-in-neumuenster-piraten-diskutieren-ueber-regierungsfaehigkeit/70029048.html

[2]‍ ‍http://www.focus.de/politik/deutschland/focus-online-fragte-die-scheidende-piraten-chefin-ist-ihre-partei-regierungsfaehig-frau-weisband_aid_744565.html

28.‍ ‍April 2012