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HERRSCHAFT/1642: Farce Friedensprozeß - Lieberman schließt Verhandlungen mit Abbas aus (SB)



Israelische Regierungen haben mit voller Rückendeckung der Vereinigten Staaten und der europäischen Verbündeten im Verlauf von Jahrzehnten die Palästinenser derart in die Defensive gezwungen und unablässig ihre Widerstandspotentiale geschleift, daß von Verhandlungen zwischen den beiden höchst ungleichen Kontrahenten so gut wie keine Rede mehr sein kann. Wollte man Gespräche führen, die diesen Namen auch nur ansatzweise verdienten, bedürfte es eines Mindestmaßes an Konzessionen seitens des in jeder Hinsicht übermächtigen Partners, da andernfalls nur ein weiteres Zwangsdiktat die Folge sein kann. Ein außerordentlich folgenschweres Manöver, diesen aggressiven Prozeß der Unterwerfung voranzutreiben, war die Doktrin, auf palästinensischer Seite existiere kein Verhandlungspartner. Dabei ließ Israel nichts unversucht, auf dem Wege der Spaltung, Diskreditierung oder Leugnung durchweg dafür zu sorgen, daß immer neue Vorwände für die Verweigerung ernsthafter Verhandlungen ins Feld geführt werden konnten. Wo aber dennoch Abkommen geschlossen wurden und man vorgeblich ein Friedensprozeß auf den Weg brachte, machten die Palästinenser weitreichende Zugeständnisse, ohne jemals eine nennenswerte Gegenleistung zu erhalten. Statt dessen forderte man sie zu neuen Verhandlungen auf, die auf noch niedrigerem Niveau ansetzten und so das Verhängnis bis in die Sphäre der Unumkehrbarkeit trieben.

Daß Israel allen Lippenbekenntnissen zum Trotz nicht zu Verhandlungen mit den Palästinensern bereit ist, dokumentiert ein Rundschreiben vom 26. Oktober 2011, in dem Außenminister Avigdor Lieberman allen israelischen Botschaften als außenpolitische Richtlinie mitgeteilt hat, daß mit dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, unter keinen Umständen verhandelt werde. Lieberman bezeichnet die Schlußfolgerung als "unausweichlich", daß ein Übereinkommen solange nicht möglich sein werde, wie Abbas die PA leitet, da dieser es vorziehe, zentrale palästinensische Interessen seinem historischen Vermächtnis und seiner persönlichen Zukunft zu opfern. [1]

Dieser Winkelzug Liebermans mutet auf den ersten Blick überraschend an, gilt doch Abbas als ein selbst unter seinen Landsleuten in hohem Maße diskreditierter Repräsentant, wie ihn Israel sich gefügiger kaum wünschen könnte. Nicht ohne Grund pochte die US-Regierung stets darauf, daß nur mit Mahmoud Abbas und keinem andern verhandelt werden dürfe. Solange man ihn in Stellung hielt, hatte man ein Werkzeug zur leichtgängigen Aussteuerung der Palästinenser in der Hand, wie es opportuner nicht sein konnte. Es hätte nicht der von der Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlichten Botschaftskabel bedurft, um zu der Überzeugung zu gelangen, daß dieser Präsident der Autonomiebehörde hinter verschlossenen Türen selbst die Preisgabe jener Positionen in Erwägung zog, die nicht nur für die Palästinenser, sondern die gesamte arabische Welt stets als unverzichtbar galten.

Was wirft Lieberman dem PA-Präsidenten vor, daß er die Parole ausgibt, dieser habe sich als Verhandlungspartner auf ganzer Linie diskreditiert? Der israelische Außenminister fabriziert in seinem Schreiben an die Botschaften das Bild eines "radikalen, Terrorismus und Gewalt glorifizierenden" Abbas, wozu es krassester Geschichtsfälschungen und Realitätsverzerrungen bedarf. Der einseitige Antrag auf Unabhängigkeit in der UN verschärfe die Spannungen und wende sich direkt gegen die Lösung der anstehenden Streitigkeiten durch Dialog und Übereinkommen, behauptet Lieberman. Ob die "dreisten Bemühungen um eine Einheit mit Hamas", die Forderung nach einem vollständigen Stopp der Bautätigkeiten in Jerusalem und den Siedlungen, die Versuche, seinen Status bei der WTO, der EU und der OECD aufzuwerten oder die "offen rassistische" Position, israelische Soldaten in der möglichen Stationierung einer internationalen Streitmacht in "Judäa und Samaria" abzulehnen, all das und manches mehr führt der Außenminister an, um Vorwände dafür zu schaffen, daß man mit Abbas keinesfalls verhandeln dürfe.

Lieberman legt Abbas und seiner Behörde in Ramallah zur Last, systematisch an der Delegitimierung Israels und der Verunglimpfung seines Bildes in der Welt zu arbeiten. Wie die Geschichte lehrt, wiederholt sich damit die Verteufelung, mit der politische Führer Israels wie Begin, Rabin und Scharon seinerzeit Arafat überzogen, um keine Friedensverhandlungen mit ihm aufnehmen zu müssen. Abbas galt aus israelischer Sicht lange als favorisierte, weil wesentlich moderatere und formbarere Ablösung Arafats. Heute scheint selbst dieser Niedergang palästinensischer Interessenvertretung verworfen zu werden, als lasse sich Kollaboration ohne Ende erzwingen.

Nachdem Abbas bereits Anfang des Jahres dem Nahost-Quartett seine Vorstellungen für die Wiederaufnahme der Gespräche übermittelt hatte, verstrich der vereinbarte Termin des 26. Januar, ohne daß Israel seinen Teil dazu beigetragen hätte. Kennt man Liebermans Positionspapier vom Oktober, verwundert diese neuerliche Blockade nicht. Wenngleich das Schreiben des israelischen Außenministers bislang einer breiteren Öffentlichkeit nicht bekannt ist, gilt das sicher nicht für die Regierungen in Washington, London, Paris und Berlin. Ihnen war bekannt, daß Israel nicht zu Verhandlungen bereit ist, doch trugen sie wie immer das Täuschungsmanöver mit, die Tür zum Friedensprozeß vorgeblich offenzuhalten, als habe man sie den Palästinensern nicht schon tausendmal vor der Nase zugeschlagen.

Fußnote:

[1] http://www.norman-paech.de/

6. Februar 2012