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HERRSCHAFT/1630: Piratenklamauk bedient Sackgasse Spaßpolitik (SB)



Als der Auftritt Joseph Fischers in weißen Turnschuhen im Hessischen Landtag 1985 den bundesdeutschen Blätterwald rauschen ließ, ahnte man noch nicht, wohin ihn die politische Pose eines Tages führen würde. Zwar hatte er der Pseudoradikalität früherer Tage längst abgeschworen und den Grünen jenen realpolitischen Flügel verpaßt, der ihren Zug in die bürgerliche Mitte befördern sollte. Daß derselbe Fischer es zum Außenminister bringen sollte, der Deutschland in den ersten Krieg seit 1945 führte, sich den Amerikanern in tiefer Verehrung andiente und schließlich als Redner, Wirtschaftslobbyist und Berater vermutlich bis an sein Lebensende von Anerkennung durch die wirklich Mächtigen träumen würde, war einfach nicht zu erwarten. Heute weiß man es besser und täte gut daran, Kostümfeste nicht mit widerständiger Substanz zu verwechseln. Abgesehen davon lehrt der grandiose Absturz der ehemaligen Spaßpartei, daß Frohnatur auf die Dauer keine Garantie für Volkes Gunst ist, wenn man diesem Spiele ohne Brot verordnet.

Die erste Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, an der die 15 vor sechs Wochen erstmals in ein deutsches Landesparlament gewählten Abgeordneten der Piratenpartei teilnahmen, zeugt von einem Lernprozeß. Nicht so sehr auf seiten der Piratenpolitiker, die sich der von ihnen erwarteten Späßchen pflichtschuldig befleißigten, sondern in Kreisen des Establishments. Seinerzeit hatte man noch versucht, Fischer samt seinem grünen Anhang als inkompatibel mit deutscher Mehrheitsmeinung zu diskreditieren, indem man auf seine geliebten weißen Turnschuhe trat, deren gerahmtes Foto übrigens später in seinem Arbeitszimmer des Außwärtigen Amtes hing. Heute lächelt man milde und kolportiert den Klamauk der Piraten in Erwartung, sie um so leichter in den längst bereitgehaltenen Sack stecken zu können.

So goutierte die bürgerliche Presse in der allseits beliebten Verquickung von Boulevard und Ernst des Lebens die alternative Kleiderordnung der neuen Abgeordneten, die teils ungewöhnlich bieder, teils mit als mehr oder minder unpassend empfundenen Stücken und Accessoires zeitweise für Unterhaltung sorgten. Sich naiv gebend und dabei nach Szenenapplaus schielend sorgten die Piraten nicht etwa für einen Eklat, sondern für gute Laune und einige Lacher. Wer heute provozieren will, um sich in der Woge empörter Schelte zu baden, muß schon mehr aufbieten als eine nonkonformistische Attitüde.

Am liebsten hätten die Piraten links zwischen Grünen und Linkspartei gesessen, um anzudeuten, wo ihr bislang volatiler Standort zu bestimmen sei. Dafür hätte die SPD nach rechts rücken müssen, was sie jedoch entschieden ablehnte, um nicht zu Assoziationen Anlaß zu geben, das Sitzerücken symbolisiere passenderweise ihren Trend. Platznehmen mußte die Piratenfraktion vielmehr auf den früheren Stühlen der FDP am rechten Rand neben der CDU unweit der Regierungsbank, was nicht wirklich besagen will, daß man sie auch politisch dort einzuquetschen gedenkt, wobei das andererseits nicht gänzlich auszuschließen ist. Noch hoffen alle bürgerlichen Parteien, daß die Mühle parlamentarischer Formalien und Zwänge die Neulinge binnen kurzem so sehr zermürbt, daß der Spuk von selbst verschwindet.

Denn als Spuk dürften sie es durchaus empfinden, daß eine Partei wie der Pilz aus dem Boden schießt, die sich als wie auch immer vernetzter Teil einer internationalen Bewegung versteht und hierzulande augenscheinlich über eine beträchtliche Klientel verfügt. Die Aufmerksamkeit der Medien war den Neulingen jedenfalls gewiß: Kamerateams drängen sich zu Beginn der konstituierenden Sitzung vor den Räumen der Piraten, selbst der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira wünschte Interviews und ein japanischer Sender übertrug live aus dem Sitzungssaal. Was also tun?

Leicht genervt nörgelte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit als Platzhirsch, jeder Journalist habe ihn nach den Piraten gefragt. Dabei habe er in diesem Haus schon ganz andere Erscheinungen erlebt. Später verfolgte er sichtlich amüsiert, daß bei einem Antrag der Piratenfraktion nur die Hälfte ihrer offenbar verwirrten Mitglieder die Hand zum Zeichen der Zustimmung hob. Nachdem mit großer Mehrheit der SPD-Abgeordnete und bisherige Haushaltsausschußvorsitzende Ralf Wieland zum Parlamentspräsidenten gewählt worden war, begrüßt er besonders die Piraten mit den anzüglichen Worten: "Wir alle warten mit Spannung auf ihre Vorschläge für diese Stadt." Wie er fortfuhr, habe sich das Abgeordnetenhaus schon immer um viel Transparenz bemüht: "Insofern sollten wir offen sein, vorurteilsfrei voneinander zu lernen." Wenn ihnen so mit süßlicher Miene ihr Scheitern angekündigt wird, täten die Piraten gut daran, ihr Profil dort zu schärfen, wo es den gönnerhaft onkelnden Mainstreamparteien am Ende doch noch wehtun könnte.

29. Oktober 2011