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HERRSCHAFT/1564: Demokratie Fehlanzeige ... "Freiheit" zu exekutiver Ermächtigung (SB)



"De Maizière warnt vor Terror - Deutschland ruft nach Prävention" was Focus Online [1] hier in einer der vielen Überschriften, laut denen sich die Bundesrepublik in eine Schutz- und Trutzburg gegen den internationalen Terrorismus zu verwandeln hat, behauptet, bedarf keines demokratischen Votums. Was immer "Deutschland" tut oder läßt, hat mit der Bevölkerung, die es bewohnt, nur so viel zu tun, als daß diese, ohne eigens gefragt zu werden, für die Instanz der Nation vereinnahmt wird. Der Exekutive soll größere Handlungsfreiheit gewährt werden, wie derzeit insbesondere am Beispiel der Vorratsdatenspeicherung angemahnt. Der Neuregelung des vom Bundesverfassungsgericht gekippten Gesetzes zur präventiven Speicherung der Telekommunikationsdaten der Bürger hat sich die FDP bislang verweigert, doch dieses Feigenblatt verbliebener bürgerrechtlicher Ideale dürfte bald fallen. Bundeskanzlerin Angela Merkel brachte die Angelegenheit in ihrer Rede auf dem Bundesparteitag der CDU in Karlsruhe auf den Punkt einer empörenden Ehrenrührigkeit: "Deshalb hat Thomas de Maizière unsere volle Unterstützung, wenn es darum geht, die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland wieder zu ermöglichen, damit die Terroristen uns nicht auslachen ..."

Ausgestattet mit angeblich höchst konkreten Terrorwarnungen wollen die Innenminister der Union und SPD "den Terroristen" das Lachen austreiben. Völlig ungeachtet der Tatsache, daß die Adressaten dieser Präventivmaßnahme so lange als unbescholten zu gelten haben, als sie nicht straffällig geworden sind, soll allen Bundesbürgern die große Datenreuse übergeworfen werden, um sehr viel mehr über sie zu erfahren, als daß sich einige potentielle Gewalttäter unter ihnen befinden könnten. "Deutschland ruft nach Prävention", weil es sich selbst nicht traut und daher auf die Finger schauen lassen muß, ist die Quintessenz jedes vorsorglich erhobenen und sicherheitstechnisch realisierten Generalverdachts.

Dieser muß sich nicht allein am Feindbild des Terroristen abarbeiten, wie jene Bürger meinen mögen, die tatsächlich nach Prävention rufen. Wenn Niedersachsens Innenminster Uwe Schünemann die Bedrohung unter deutschstämmigen Islamisten ansiedelt und von "hochgradig gewaltbereiten Gefährdern" spricht, die unter allen Umständen lückenlos zu überwächen wären, um ihnen bei Bedarf elektronische Fußfesseln anzulegen oder Mobiltelefon und Computer zu entziehen, dann schafft er Dispositionen der Kontrolle, die keineswegs auf diese übel beleumdete Gruppe beschränkt bleiben müssen [2]. Es liegt in der Logik jedes gegen die Bevölkerung gerichteten Mißtrauens, daß weitere Maßnahmen auf sie angewendet werden können, die, wie wohlmeinende Bürger glauben, dazu dienen, den virulenten Verdacht auszuräumen.

Die ob ihrer entschiedenen Kompromißlosigkeit gelobte Rede der Bundeskanzlerin auf dem CDU-Parteitag bildet die ideologische Matrix einer exekutiven Ermächtigung, die mit dem Rückenwind einer massenmedial orchestrierten Verunsicherung der Bevölkerung das Ziel der weiteren Verschärfung staatlicher Repression ohne viel Einwände seitens der Betroffenen erreichen wird. 22 gezählte Mal erging sich Merkel im Pathos einer "Freiheits"-Rhetorik, die den essentiell anarchischen Charakter des Begriffs bis an die Grenze seiner Aufhebung trieb. Darüber zu befinden, worum es sich bei "Freiheit" handelt, soll Sache des staatlichen Gewaltmonopols sein. Sie zu verteidigen mit allen zur Verfügung stehenden Gewaltmitteln setzt eine Definitionshoheit voraus, die in Anbetracht der dazu eingesetzten Mittel präventiver Art nur sehr bedingt auf den im Grundgesetz verankerten Grundrechten basiert. Der von Schünemann verlangte Einsatz der Bundeswehr im Innern bricht mit dem demokratischen Geist dieser Verfassung nicht weniger als ihre Entsendung in ferne Länder, in denen deutsche Soldaten auf angebliche Terroristenjagd gehen und als Besatzungsmacht auftreten. Die präventiven Überwachungsmaßnahmen stets immanente Vorverdächtigung ist ein antidemokratisches Herrschaftsmittel ersten Ranges, zumal dann, wenn sie die extralegale Kategorie des "Gefährders" dafür nutzt, die Freiheit der Bewegung einschränkende Maßnahmen wie Aufenthaltsverbote und elektronische Fußfesseln zu legalisieren.

Demokratie Fehlanzeige ... auf das partizipatorische Ideal bürgerlicher Gesellschaft, das selbst US-Präsident George W. Bush als legitimatorisches Banner des Terrorkriegs in Kombination mit "Freiheit" stets auf den Lippen führte, warteten die Zuhörer der Bundeskanzlerin, wenn sie es denn taten, vergebens. Nicht ein einziges Mal befand es die Kanzlerin für erforderlich, in ihrer Rede "Demokratie" zum Mittel wie Ziel politischer Willensbildung zu erheben. Lediglich in adjektivischer Form hielt dieser zentrale Wert Eingang in ihre Rede. Neben dem Namen ihrer Partei, die "christlich" und "demokratisch" nur unter einen Hut bringen kann, weil sie beide Werte ideologisch gegen ihren originären Anspruch kehrt, insistiert Merkel in ihrem Ärger über die Proteste gegen Stuttgart 21 und das geplante Endlager in Gorleben auf das demokratische Zustandekommen von Entscheidungen, deren Gegner sich mit guten Argumenten auf basisdemokratischen Widerstand berufen. Es könne "in unserem Land nicht die Arbeitsteilung geben: Erst entscheiden Politiker, Parlamente, Gerichte, dann kommen Demonstrationen, und dann wird ein Projekt eingestampft." Die Kanzlerin sprach nicht von Gewaltenteilung, weil da nichts zu teilen ist, zumindest nicht in einem gesellschaftliche Machtverhältnisse in Frage stellenden Sinne.

Die Verabsolutierung der Freiheit ist ein genuin neokonservatives Anliegen, bleiben etwaige Rückschlüsse auf den damit vermeintlichen konstituierten Grad freigesetzter individueller Möglichkeiten doch auf der Strecke des damit geschlagenen Schaums ideologischer Verklärung herrschender Interessen. Die Freiheit, die Merkel meint und die die Unionsparteien auch in Zukunft gemeinsam mit der FDP durchsetzen wollen, besteht in der selbstverständlichen Inanspruchnahme neofeudaler Privilegien im Rahmen eines modernen, den Menschen nach seiner Verwertbarkeit hierarchisch einstufenden Ständestaats. Offenliegende soziale Widersprüche werden durch das Diktum eines gesellschaftlichen Zusammenhalts nach innen gekehrt, der stets über sich hinausweist, um in mythischen Perspektiven wie dem starken Deutschland, der heilen Familie und dem christlichen Ethos normative Orientierung zu schaffen. Wer nicht dazugehört, weil er sich der damit bestimmten Leitkultur nicht unterwerfen will, dem sind die Instrumente zugedacht, die derzeit auf der Innenministerkonferenz in Hamburg geschärft werden.

Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/cdu-de-maiziere-warnt-vor-terror-deutschland-ruft-nach-praevention_aid_573242.html

[2] http://www.trading-house.net/news/politik/hochgradig-gewaltbereit-21731909.html