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HERRSCHAFT/1533: Partei Die Linke am Scheideweg (SB)



Der Parteitag in Rostock verlief so harmonisch, wie es einem für das breite Publikum gedachten Schaufenster der eigenen Politik gut zu Gesicht steht. Die Partei Die Linke (PDL) verschob die Austragung der virulenten Debatte um ihren Kurs auf einen späteren Zeitpunkt und beschäftigte sich mit der Neubesetzung des Vorstands, die erwartungsgemäß verlief. Mehrheitlich aus Abgeordneten auf Bundestags- und Landtagsebene sowie Parteifunktionären zusammengesetzt scheint sichergestellt zu sein, daß es zu keinen überraschenden Initiativen einer Basis kommt, die allen Grund dazu hat, der Professionalisierung linker Politik skeptisch gegenüberzustehen. Vor dem Hintergrund einer Systemkrise, die aller Welt am Beispiel Griechenlands vor Augen führt, daß neoliberale Austeritätspolitik als Rezeptur der Bestandssicherung zu Unrecht totgesagt wurde, tut antikapitalistische Politik auch in den Parlamenten im wortwörtlichen Sinne not.

Bürgerliche Kommentatoren, die der PDL prophezeien, daß der Parlamentarismus eine Partei mehr verändert als diese den Parlamentarismus, wissen um die Macht realpolitischer Handlungs- und Sachzwänge. Sie können sich auf zahlreiche historische Beispiele für die Neigung radikaler Systemüberwinder berufen, den Angeboten an materiellen Privilegien und gesellschaftlicher Anerkennung nicht zu widerstehen, um ihren Frieden mit den Herren zu machen, gegen die sie einst angetreten waren. Einen Politikwechsel in Koalitionsregierungen mit etablierten Parteien zu erwirken, der diesen Namen verdient, kann nicht einmal als Illusion bezeichnet werden, da das bedeutete, daß man das Angebot zum Ausverkauf nicht durchschaut hätte. Auf dem Bundesparteitag Bekenntnisse zu antikapitalistischer Politik abzulegen, um in der Programmdebatte zahlreiche Hintertürchen zu ihrer Aufhebung offenzulassen und die offene Konfrontation der Flügel nicht zu wagen, ist ein Beispiel für die Kulissenschieberei, deren letzter Akt die Vollendung der Integration der PDL als Systempartei zum Ziel hat.

Dreh- und Angelpunkt der Bewegung hin zur politischen Mitte bleibt die Frage der Regierungsbeteiligung. Sie positiv zu beantworten, ohne zuvor definitiv nichtverhandelbare Positionen gegen Krieg und Ausbeutung festgelegt zu haben, bestimmt die Entwicklung der Partei auf absehbare Weise. Eine Klärung dieser Positionen hätte zur Folge, daß der Drift der PDL ins sozialdemokratische Lager Einhalt geboten würde auch zum Preis einer möglichen Spaltung. Dies unter allen Umständen zu verhindern und die notwendige Positionsbestimmung so lange aufzuschieben, bis der systemkritische Gehalt des vorliegenden Programmentwurfs bis zur Unkenntlichkeit verdünnt wurde, öffnet den integrativen Kräften Tür und Tor.

Je länger an einer Einheit der Partei festgehalten wird, die das ganze Spektrum zwischen revolutionärer Systemüberwindung und liberaler Freiheitsideologie brücken soll, desto mehr rächt sich der Verzicht auf eine vollständige Analyse kapitalistischer Vergesellschaftung unter Einbeziehung der Rolle, die der Parlamentarismus zur Sicherung herrschender Verhältnisse erfüllt. Um mit einem sozialistischen Anspruch in einer kapitalistischen Gesellschaft Politik zu betreiben, bedarf es doppelter Anstrengung, müssen doch die eigenen Schritte stets auf den konträren Nutzen hin überprüft werden, der aus ihren Legitimationszwängen erwächst. So arbeiten die Stellungnahmen, mit denen PDL-Politiker der antikommunistischen Propaganda des politischen Gegners entsprechen, diesem so lange zu, als sie nicht selbst in die Offensive gehen und ihm die Rechtfertigung für eine Herrschaftslogik abverlangen, die die Macht der Kapitaleigner zu Lasten von immer mehr Menschen, die ihr tägliches Leben nicht mehr sichern können, zementiert. Wirksam läßt sich dies nur mit einer internationalistischen Perspektive tun, anhand derer deutlich wird, daß der Reichtum der hochproduktiven westlichen Metropolengesellschaften in direktem Zusammenhang zu den verwüsteten Landschaften und verelendeten Megalopolen des Südens steht.

Die geringe Resonanz, auf die die kritische Analyse der Destruktivität des globalisierten Kapitalismus in der Wahlbevölkerung stößt, ist ein wesentlicher Grund dafür, daß die PDL dem Beispiel der etablierten Parteien folgt und vor allem nationale Themenfelder besetzt. Der unbequemen Einsicht in die Reformresistenz des herrschenden Verwertungssystems entkommen die politischen Funktionseliten jedoch nur zum Preis des Verzichts auf die Antizipation krisenhafter Entwicklung und des Ergreifens von Maßnahmen, die im Interesse aller Menschen und nicht allein der Eliten stehen. Statt dessen verallgemeinert sich die Vogel-Strauß-Politik der massenmedialen Beschwichtigung, wie am Beispiel Griechenland vorexerziert, zu einem nationalchauvinistischen Ressentiment, das eine Linke, die auf Mehrheiten schielt, vor unlösbare Probleme stellt.

Um so mehr erscheint es geboten, mit den nicht gering zu schätzenden Mitteln einer im Bundestag und in 13 Landesparlamenten vertretenen Partei Aufklärung zu betreiben, die den antagonistischen Charakter herrschaftsförmiger Propaganda entlarvt und Klasseninteressen artikuliert, wo mit pluralistischer Konsensbildung alle Ecken und Kanten bis zur Immanenz umfassenden Vergessens abgeschliffen werden. Wenn es für die praktische Verwirklichung linker Ziele keine Massenbasis gibt, dann ist Bewußtseinsbildung das Gebot der Stunde. Was hat ein Bundesbürger mit den Problemen griechischer Arbeiter und Jugendlicher zu tun, was verbindet ihn mit den notleidenden Menschen in den Ländern des Südens, wieso werden in seinem Namen Soldaten in alle Welt geschickt? Sich nicht als Monade gegen den Freßfeind durchgesetzter Überlebensinteressen zu isolieren, sondern den anderen als in seinem humanen Entwurfscharakter ununterscheidbar von sich selbst zu begreifen eröffnet Potentiale des Lernen und Wachsens, auf die niemand freiwillig verzichtet. Anstatt angstgetriebener Regression zu entsprechen und auf neofeudale Zumutungen bloß zu reagieren, böte die offensive Formulierung unbescheidener Ansprüche und humanistischer Ideale die Chance auf eine Gegenbewegung im außerparlamentarischen Raum, die der PDL in den Parlamenten ein Gewicht verschaffte, über das sie in Ermangelung von Koalitionspartnern, die etwas anderes täten als die linke Agenda gegen sich selbst zu kehren, nicht verfügt.

Die PDL ist zwangsläufigen Entwicklungen, die Karrieren von Parteimitgliedern, die in der SPD besser aufgehoben wären, zu Lasten des Gros linker Wähler und der Parteibasis beförderten, keineswegs ausgeliefert. Das gilt um so mehr, als ihr Anspruch auf das Primat demokratischer Willensbildung deutlich ausgeprägter ist als bei den etablierten Parteien. Gerade weil die globalen Krisen des Kapitals, der Energie, der Ernährung, der Umwelt und nicht zuletzt der Demokratie sich zu gesellschaftlichen Transformationen paradigmatischen Charakters zuspitzen, eröffnen sich Möglichkeiten politischer Einflußnahme, die überraschende Ergebnisse zeitigen können. Sozialistische und emanzipatorische Grundsätze preiszugeben, weil man sich gerade nicht in einer erfolgversprechenden Lage wähnt, ist demgegenüber Ausdruck einer Verschwendung humaner Entwicklungspotentiale, die sich im Kalkül kurzfristiger Vorteilsnahme nicht von den Praktiken kapitalistischen Hegemonialstrebens unterscheidet.

17. Mai 2010