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HERRSCHAFT/1488: Fundamentalopposition ... weiche Sessel gibt es später immer noch (SB)



Mit einem so eintönigen, bar jeder Empathie oder auch nur sympathischer Freundlichkeit auftretenden Herausforderer wie Frank Walter Steinmeier im TV-Rededuell nicht zu streiten und bei den Umfragen daraufhin Punkte zu verlieren zeigt, daß das Wahlkampfrezept der Bundeskanzlerin von befristeter Haltbarkeit ist. Angela Merkel hat fast alles dafür getan, daß eine öffentliche Debatte um brisante Themen wie die massive Benachteiligung der Lohnabhängigen bei entsprechender Privilegierung der Kapitaleigner, der Ausschluß der Bevölkerung von der Mitbestimmung über den Lissabon-Vertrag oder die Kriegführung der Bundeswehr in Afghanistan unterbleibt. Die CDU hat erstmals in ihrer Geschichte vor einer Bundestagswahl keinen Wahlparteitag abgehalten, sie hat den Streit mit der Schwester CSU um die europäische Integration weitgehend unter der Decke gehalten und trägt Sorge dafür, daß ihre Spitzenkandidatin jetzt noch mehr Symbolpolitik macht als zuvor.

Nur darauf ist es zurückzuführen, daß die schon an der 20-Prozent-Grenze aufsetzende SPD wieder nach oben marschiert. Inhaltlich weiterhin eine Regierungspartei ohne Agenda, die nach einer sozialen Verbesserung schmeckte, zu der es bisher auch nicht gereicht hat, geführt von den Erfindern und Verfechtern des Zwangsregimes nach Hartz IV und in wichtigen Politikbereichen nicht mehr als ein Schatten der Unionsparteien gewinnen die Sozialdemokraten bei den Wählern in einem Maße dazu, als litten diese unter akutem Gedächtnisverlust.

Die große Unbekannte im parlamentarischen Kräfteparallelogramm bleibt Die Linke. Nachdem die SPD dankenswerterweise eine Zusammenarbeit mit ihr auf Bundesebene ausgeschlossen und der linken Konkurrenz damit eine Schonfrist vor dem Abtragen verbliebener Außenseiterpositionen verschafft hat, kann sie weiterhin Adresse jenes Protestes sein, dem ansonsten nur die Wahl der DKP, der PSG oder der Verzicht auf die Stimmabgabe bleibt. Vor der Landtagswahl im Saarland wurde die Linke von den Demoskopen runde sechs Prozentpunkte niedriger eingestuft, als letztlich bei der Stimmauszählung herauskam. Man gab sich überrascht und fand allerlei implausible Erklärungen, um nicht eingestehen zu müssen, daß Umfragen immer auch Einflußfaktoren sind und sich daher bestens für manipulative Zwecke anbieten.

Wie auch immer die jetzt zwischen zehn und zwölf Prozent liegenden Angaben für das voraussichtliche Wahlergebnis der Linken zustandekommen, das Potential der einzigen Partei, die in wesentlichen Politikfeldern deutlich von allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien abweicht, müßte angesichts der desolaten sozialen und wirtschaftlichen Lage, angesichts des neokonservativen Charakters der politische Leitkultur um einiges größer sein. Um dies bis auf den letzten schwankenden Wähler ausschöpfen zu können, empfiehlt sich, jegliches Blinken in Richtung SPD einzustellen und keinesfalls an prinzipiellen Positionen zu rühren, um Regierungsfähigkeit zu signalisieren. Warum voreilig sein, wenn die Rutschbahn in die weichen Sessel auch später noch geöffnet ist?

Wer konformistische Realpolitik und die vermeintliche Vernunft der kapitalistischen Singularität bevorzugt, der ist bestens bei den etablierten Parteien aufgehoben und wird diese auch wählen. Wer grundlegende Einwände am herrschenden Gewaltverhältnis hat, wer sich nicht an Krieg und Ausbeutung beteiligen will, wer Reichtum nicht nur als Ziffern auf dem Kontoauszug begreift und wer den Kampf gegen Armut und Hunger ausschließlich internationalistisch führt, der neigt dazu, sich der repräsentativen Demokratie nicht als Legitimationsfaktor zur Verfügung zu stellen. Ihn dennoch zur Stimmabgabe zu bewegen kann nur gelingen, wenn Fundamentalopposition nicht als Schimpfwort, sondern als die angemessene Antwort auf die systematische Korrumpierung demokratischer Willensbildung durch übergeordnete Interessen und Herrschaftsverhältnisse verstanden wird.

24. September 2009