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HERRSCHAFT/1472: Rebellion im Herrgottswinkel zum Scheitern verurteilt (SB)



Der Streit zwischen den Unionsparteien um die Auslegung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag der EU fördert das ganze Elend der repräsentativen Demokratie zutage. Wenn sogenannte Volksvertreter einmal damit konfrontiert werden, den mehrheitlichen Willen des nominellen Souveräns in die Tat umzusetzen, dann wird deutlich, daß sie dies bisher tunlichst unterließen. Die Forderung des Karlsruher Gerichts, das Begleitgesetz, das die Kompetenzen des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union regelt, zugunsten einer größeren Einflußnahme beider Häuser zu verbessern, enthielt bereits die Feststellung, daß die Mitwirkung der Bundesbürger an auf EU-Ebene getroffenen Entscheidungen durch die Abgeordneten und Ländervertreter schmählich vernachlässigt wird. Dementsprechend verlegten sich die Politiker, die jede plebiszitäre Beteiligung an Entscheidungen von verfassungsrechtlicher Relevanz, die die Grundlagen des politischen Systems der Bundesrepublik und damit auch die Stellung des Bürgers in diesem Machtgefüge auf grundsätzliche Weise verändern, wie der Teufel das Weihwasser scheuen, darauf, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts voller Eigenlob als Zustimmung zum EU-Reformvertrag zu feiern.

Das war nicht falsch. Die Richter hatten sich den Kritikern, die weitere Kompetenzübertragung auf EU-Institutionen sowie einige der im Vertragswerk verankerten Leitlinien der Politik als Verstoß gegen staats- und verfassungsrechtliche Prinzipien bewerten, so gut wie nicht angeschlossen. Dennoch schmückten sich die Vertragsbefürworter mit falschen Federn, hatte das Bundesverfassungsgericht doch einige demokratische Defizite festgestellt, die die unzureichende Beteiligung des Parlaments und der Länderkammer an Entscheidungen auf EU-Ebene betreffen. Diese sollten durch die Forderung der CSU, daß die Legislative zu jeder EU-Entscheidung eine Stellungnahme abgeben kann, die für die Bundesregierung verbindlich sein soll, behoben werden.

Lieber spät als nie, kann man den christsozialen Politikern zugutehalten, die das supranationale Projekt der EU bislang weitgehend unterstützt haben, ohne dies zum Gegenstand der Willensbildung aller Bürger zu machen. Mit ihrer Forderung, Bundestag und Bundesrat prinzipielle Vollmachten zu übertragen, die die Handlungsfreiheit der Exekutive einschränken, haben sie ein demokratisches Anliegen formuliert, das den Urhebern jener Apologie, laut der die deutsche Bevölkerung in einem der freiesten und gerechtesten Staaten der Welt lebt, durchaus gut zu Gesicht stände.

Anstatt Lob für die Besinnung auf demokratische Werte zu erhalten, erntete die CSU Reaktionen von Politikern anderer Parteien sowie vieler Journalisten, die den Eindruck erweckten, diese Regierungspartei wildere im Terrain populistischer Demagogen und verursache schweren Schaden am Einfluß der Bundesrepublik auf die EU. Man ritt auf der angeblich notorischen EU-Skepsis der Bayern herum und bezichtigte sie eines unzeitgemäßen Provinzialismus, der sich den großen Aufgaben verweigere, die zu bewältigen die fortschreitende Integration Deutschlands in die EU erfordere.

Ganz offensichtlich wollen die Eliten, die die Europäische Union als Hebel ihrer wirtschaftlichen Interessen und als Mittel zur Konzentration staatlicher Verfügungsgewalt in den Händen einer auserlesenen Schar privilegierter Politiker betrachten, nicht einmal so zahme Relativierungen ihrer Macht in Kauf nehmen, wie sie die CSU vorgeschlagen hat. Deren Problem besteht nun darin, daß sie sich ins Fleisch der eigenen Teilhaberschaft geschnitten hat, gehören die bayrischen Politiker doch nämlicher Elite, deren Dominanz sie vorsichtig in Frage stellten, an. Nun heißt es den geordneten Rückzug antreten, ohne das Gesicht zu verlieren. Immerhin reicht der Vorstoß dazu, ein Rebellentum im Herrgottswinkel zu inszenieren, das den Wähler zumindest die gute Absicht der CSU erkennen läßt.

Interessant ist der Vorgang für alle Kritiker der EU-Integration, die seit jeher beklagen, daß der Verlust an grund- und bürgerrechtlichen Garantien und die darüber gestärkte Herrschaft der Kapitalmacht in Deutschland wie anderswo mit der Aufgabe souveräner Handlungsmöglichkeiten an die EU synonym ist. Ihnen wird ein Einblick in den machiavellistischen Charakter einer politischen Klasse gewährt, der die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe dieses Spektrums weit weniger bedeutsam ist als die immer wieder zu beweisende Zuverlässigkeit eigener Unterwerfung unter die Dominanz herrschaftlicher Interessen.

15. Juli 2009