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HERRSCHAFT/1471: CDU-Dissident Willy Wimmer verabschiedet sich aus dem Bundestag (SB)



Der CDU-Politiker Willy Wimmer ist eine Ausnahmeerscheinung im parlamentarischen Getriebe, die den Eindruck, man habe es bei den Bundestagsfraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen in außenpolitischer Hinsicht mit einer Einheitspartei zu tun, wohltuend relativiert. Als stets direkt gewählter Kandidat des niederrheinischen Wahlkreises 111 sitzt der Rechtsanwalt seit 1976 im Bundestag und engagiert sich dort vor allem für außenpolitische Belange. Dabei hat sich Willy Wimmer insbesondere seit Beginn der rot-grünen Bundesregierung 1998 einen Namen als Dissident gemacht, der nicht nur aus der Opposition heraus die Kriegspläne des Bundeskanzlers Gerhard Schröders und seines Außenministers Joseph Fischers kritisierte, sondern damit auch in der eigenen Partei aneckte. Das hielt den streitbaren Abgeordneten, der seine außenpolitische Expertise von 1994 bis 2000 als Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE vertiefte, nicht davon ab, bis heute wider den Strom vorherrschender Interessen Klartext zu reden.

Schon im Oktober 1998 hatte Wimmer die Entscheidung des Deutschen Bundestags, sich an einem militärischen Einsatz im Kosovo zu beteiligen, als "Abgrund des internationalen Rechts" und "Präzedenzfall, an den wir uns alle demnächst mit Schrecken zurückerinnern werden", bezeichnet und sich damit ins politische Abseits gestellt. Auch aufgrund seiner wohlbegründeten Stellungnahme kann heute kein Politiker behaupten, die Strategie der NATO nicht schon Monate vor dem Angriff auf Jugoslawien am 24. März 1999 als das erkannt zu haben, was sie war, eine völkerrechtswidrige Aggression, die unter Verwendung irreführender Behauptungen durchgesetzt wurde.

So klärte Wimmer im Januar 1999 anläßlich einer Geiselnahme der UCK, bei der acht Serben entführt wurden, über den größeren Rahmen des Konflikts auf:

"Der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages hat einmal sehr messerscharf herausgearbeitet, daß in den 80er Jahren eine massive Vertreibung von Serben durch Albaner auf dem Kosovo stattgefunden hat, und auch das hat wiederum Vorgeschichten bis 1945 und weiter zurückgehend. (...) Wenn man die Situation des Zweiten Weltkrieges noch einbezieht, dann muß man heute sagen, die UCK will eigentlich eine Lösung auf dem Balkan über den Kosovo hinaus, wie sie die Wehrmacht und die italienischen Verbündeten im Zweiten Weltkrieg ja schon einmal hatten. Das sind alles Dinge, die bei uns weitestgehend verdrängt worden sind, und man hat hier die Serben vielfach schwer in die Ecke gedrängt."
(Deutschlandfunk, 19.01.1999)

Wimmer gehörte auch zu den wenigen Abgeordneten der etablierten Parteien, die die manipulative Informationspolitik der Bundesregierung kritisierten:

"Alle Berichte, die das Verteidigungsministerium erstellt hat über die Abläufe vor dem Krieg, sind in der Regel sehr korrekt. Sie sind ja auch dem Parlament zugegangen. Und deswegen sind sie auch bis heute einsehbar. Das, was die Berichte der deutschen Botschaft in Belgrad ausmacht, das ist alles nachzulesen, wird nur durch das Außenministerium unter Verschluß gehalten, denn die öffentlichen Erklärungen, die der Außenminister abgegeben hat, die werden von diesen Berichten der deutschen Botschaft in Belgrad überhaupt nicht gedeckt."
(Deutschlandfunk, 19.01.1999)

Besonders erbost war Wimmer über die systematische Behinderung der OSZE-Beobachtermission im Kosovo. Sein Eintreten für die OSZE, deren parlamentarische Versammlung ein militärisches Eingreifen in Jugoslawien ohne UN-Mandat zu 90 Prozent abgelehnt hatte, konnte den Bedeutungsverlust der Organisation nicht aufhalten. Heute weiß man, daß die Beobachter der OSZE nur deshalb mehrere Tage vor Kriegsbeginn aus dem Kosovo abgezogen wurden, um einer Verhinderung des Angriffs der NATO durch ihre Mission vorzubeugen.

Der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium Wimmer hatte zudem darauf hingewiesen, daß die UCK sich im Vorfeld nach Belieben bewaffnen konnte und die dazu erforderlichen Gelder auch aus Deutschland und der Schweiz kamen. Er ließ nicht unausgesprochen, daß die im Abkommen zwischen dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic und dem US-Vermittler Richard Holbrooke vom Oktober 1998 verankerte OSZE-Mission zur Überwachung der ausgehandelten Bedingungen aus dem Hintergrund heraus torpediert wurde, da man die Tatsache hintertreiben wollte, daß die jugoslawische Seite sich im Unterschied zur UCK an die Vereinbarungen gehalten hatte.

Die Stellungnahmen Wimmers zur Außenpolitik der EU und USA waren auch im Globalen Krieg gegen den Terror stets von einer unkorrumpierbaren Deutlichkeit, an der sich auch Politiker der damaligen PDS ein Beispiel nehmen konnten. Wimmer erhielt wegen seines konsequenten Einsatzes gegen die Eskalationsstrategien der NATO und die Beteiligung der eigenen Koalitionsregierung daran vorzugsweise bei linken Medien wie der Tageszeitung junge Welt und der Wochenzeitung Freitag ein Forum, während die Mehrheitsmedien zu ihm auf eine für Unionspolitiker eher unübliche Weise Distanz hielten. Die Beteiligung der eigenen Partei an der Bundesregierung hielt ihn nicht davon ab, zusammen mit dem CSU-Politiker Peter Gauweiler einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht gegen die Entsendung von Tornado-Aufklärern nach Afghanistan einzureichen. Der wurde zwar abgelehnt, doch allein das Eintreten zweier Unionspolitiker gegen den Afghanistankrieg der NATO und die damit implizit ausgesprochene Opposition gegen den expansiven Charakter des Militärbündnisses zeigte, daß die mehrheitliche Ablehnung dieses Krieges durch die Bundesbürger zumindest an den Rändern der Regierungsparteien Gehör findet.

Repräsentative Demokratie sollte eigentlich bedeuten, daß ein Abgeordneter wie Willy Wimmer ständig auf der Rednertribüne des Bundestags und in dessen Außenpolitischen Ausschuß das Wort führt. Das glatte Gegenteil ist der Fall, wie ein Interview anläßlich seines Ausscheidens aus dem Parlament nach dieser Legislaturperiode belegt. In der vom Bundestag herausgegebenen Wochenzeitung Das Parlament (Nr. 29/30 - 13./20. Juli 2009) bestätigte Wimmer, daß seine Kritik an der Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistankrieg in seiner Fraktion auf wenig Gegenliebe stieß:

"Wie hat Ihre Fraktion auf diese ablehnende Haltung reagiert?

Im Grunde hätte das eine solch große Fraktion tolerieren können. Doch ich durfte nicht mehr reden, ich bekam Dienstreisen gestrichen und wurde durch die Fraktionsführung isoliert.

Also bekommen Abgeordnete bei Entscheidungen gegen die eigene Fraktion Schwierigkeiten?

Ja. Und zwar evident und eklatant. Dabei hilft auch hier ein Blick in die Verfassung. Die Fraktionen sollten ein anderes Verständnis für diese Dinge haben. Man ist dem gemeinsamen Ganzen natürlich verpflichtet, aber in solchen Fragen darf man sich nicht drücken und in die Büsche schlagen, wenn man der Auffassung ist, es stimmt nicht. Und es stimmt ja nun hinten und vorne nicht, was das Völkerrecht betrifft. Und wenn man Nein sagt - dann muss das hingenommen und nicht mit Sanktionen belegt werden.

Auch beim Lissabon-Vertrag waren Sie der einzige CDU-Abgeordnete, der dagegen gestimmt hat. Fühlen Sie sich durch das Urteil bestätigt?

Ja, sicher. Aber darum geht es nicht. Wenn man Leute aus den parlamentarischen Beratungen ausschließt, indem sie vor dem Parlament nicht mehr reden dürfen und sie aus dem Ausschuss geworfen werden, wenn sie dort den Mund aufmachen, trägt das dazu bei, dass unser parlamentarisches System verkommt."

Willy Wimmer gibt zwar an, nach 33 Jahren ohne Bitterkeit aus dem Parlament auszuscheiden, fordert jedoch, daß man frei gewählten Abgeordneten, auch wenn sie eine andere Meinung als die Mehrheit ihrer Kollegen vertreten, mit größerem Respekt entgegentritt. Auch deshalb wähle er eine so deutliche Sprache, begründete Wimmer die Offenheit dieser und anderer kritischer Anmerkungen, die er gegenüber Götz Hausding von Das Parlament machte. Bei allen grundlegenden Differenzen, die den CDU-Politiker von Politikern der Linken trennt, hat ihm sein Engagement für eine maßvolle Außenpolitik der Bundesrepublik dort viel Anerkennung eingebracht. Weil aufklärende Stellungnahmen aus kundigem Munde so wichtig sind, sollte die Linke um so entschiedener dagegen kämpfen, diese elementare Aufgabe auf der parlamentarischen Rutsche in den Konsens der besseren Menschen aus dem Auge zu verlieren.

14. Juli 2009