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HEGEMONIE/1824: Peking - Wirtschaft als Medizin ... (SB)



Wir glauben, dass mit diesem Besuch das politische Vertrauen zueinander größer wird. Wir wollen die Kooperation und den Austausch in allen Bereichen vertiefen, den gegenseitigen Kontakt stärken. Ziel ist es, das chinesisch-japanische Verhältnis wieder in die Normalität zu führen.
Hua Chunying (Sprecherin des chinesischen Außenministeriums) [1]

Donald Trump hat einen Stein ins Rollen gebracht, der mit anwachsender Wucht weltweit etablierte Machtverhältnisse und Verkehrsformen der Ausbeutung und Verfügung ins Wanken bringt. Vermeintlich eherne geostrategische Bündnisse imperialistischer Expansion stehen auf tönernen Füßen, der Konsens handelspolitischer Verfahrensweisen wird zur Makulatur, der Leim einer für allgemeingültig erklärten Weltordnung verliert jegliche Bindekraft. Was sich vordergründig als amoklaufender US-Präsident darstellen mag und in diesem Sinne exzessiv instrumentalisiert wird, verkörpert gewissermaßen ein an seine Grenzen stoßendes kapitalistisches Verwertungsregime, das als ökonomisches Dogma und Muster zugrunde liegender Herrschaftsverhältnisse auf den Abgrund zusteuert. Die sogenannte Wertschöpfung durch Ausplünderung der Ressourcen und Unterjochung menschlicher Arbeitskraft taumelt in Gestalt der Profitmaximierung dem Zusammenbruch entgegen. So repräsentieren die weltweit kursierenden Geldmengen als Äquivalent der Schuldverschreibung ein Vielfaches der global existierenden Sachwerte und Produktionsleistungen. Anders ausgedrückt müßte die gesamte Menschheit auf Generationen hinaus tagtäglich schuften und könnte doch nicht die materielle Ernte einfahren, welche die Schuldherren heute für sich beanspruchen.

Zu der verschobenen, aber nicht gebannten finalen Verwertungskrise des Kapitals gesellt sich ein überproportional anwachsender Mangel an Sourcen des Überlebens. Während die Bodenschätze zur Neige gehen, reichen Wasser, Nahrungsmittel und selbst nicht kontaminierte Atemluft nur noch für einen Bruchteil der Weltbevölkerung aus. Der durch die fossilistische und wachstumsgestützte Produktionsweise angeheizte Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten, so daß allenfalls noch der Grad der Erwärmung und damit das Ausmaß der lebensvernichtenden Katastrophe zur Disposition stehen könnte. Diese dramatische Verschärfung existentieller Bedingungen befördert aus Perspektive der Herrschaftssicherung mehr denn je die Ratio, sich die Verfügung über die schwindenden Sourcen und globalen Arbeitsheere zu sichern, kurz zum eigenen Vorteil zu morden, zu brennen und zu raffen, als gäbe es kein Morgen mehr, was für wachsende Teile der Menschheit ja tatsächlich zutrifft.

Daß die politische Gallionsfigur der mächtigsten Militärmacht der Welt die Eigentumsfrage in Gestalt des "America First!" auf nationalistische, chauvinistische und rassistische Weise auf ihren Wesenskern zusammenballt entspricht der Logik überlegener Waffengewalt. Wenngleich Lebensnöte und Existenzängste weltweit die reaktionärsten Reflexe auf den Plan rufen, weil ihnen außer identitären Fiktionen kein anderer Selbstwert mehr greifbar erscheint, macht der Ruf nach dem starken Nationalstaat doch selbst im Kontext dieser Agenda nur dort wirklich Sinn, wo dieser über entsprechende Machtmittel verfügt, anderen seine Dominanz aufzuzwingen.

Dies exerziert der US-Präsident vor, wenn er alle anderen Staaten und Wirtschaftsblöcke bezichtigt, sie trieben unfairen Handel mit seinem Land, wofür sie bestraft werden müßten. Er kündigt Verträge auf, um sie zu günstigeren Konditionen neu festzuschreiben, heizt mit Strafzöllen den Handelskrieg an und rüstet zugleich die gewaltige Streitmacht der USA weiter auf, um eine umfassende Drohkulisse in Stellung zu bringen. Daß er von dieser Strategie, alle Welt in die Defensive zu zwingen, auch die verbündeten Mächte nicht ausnimmt, liegt ganz auf der Linie US-amerikanischer Suprematie, die sich in seiner Amtszeit nur um so brachialer Geltung verschafft. Diese machtpolitische Offensive führt zwangsläufig dazu, daß allerorten Regierungen ihre Freund-Feind-Kennung einer Revision unterziehen und nicht selten modifizieren oder zumindest neu gewichten.

Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Annäherung zwischen Japan und China durchaus nachvollziehbar, da die Führungen in Tokio und Peking angesichts der Bedrohung durch den Handelskrieg Washingtons ihre historischen und aktuellen Konflikte zurückstellen. Wenngleich von einer Stornierung der bislang geltenden Bündnisse noch nicht die Rede sein kann und wechselseitige Ressentiments in den Bevölkerungen der Nachbarländer tief verwurzelt scheinen, reichen doch die Regierungen in einer Mischung aus symbolischen Gesten und konkreten Abkommen einander demonstrativ die Hand. Beide Seiten arbeiten intensiv an ihrer Beziehung, und so hat sich das belastete Verhältnis zuletzt spürbar verbessert.

Zum ersten chinesisch-japanischen Gipfeltreffen seit 2011 ist Japans Premierminister Shinzo Abe zu einem dreitägigen Besuch nach Peking gereist, wo er mit Premier Li Keqiang und Präsident Xi Jinping zusammentrifft. Der Gipfel findet kurz nach dem 40. Jahrestag des Friedens- und Freundschaftsvertrages beider Länder von 1978 statt und bildet den vorläufigen Höhepunkt einer raschen Annäherung, die im Frühjahr mit der Wiederaufnahme des Wirtschaftsdialogs begonnen hatte. Zwar haben Abe und Xi bereits siebenmal miteinander gesprochen, aber immer nur am Rande von multilateralen Ereignissen. Abe hatte sich im Interesse der japanischen Wirtschaft des öfteren um einen Zweiergipfel bemüht, da China der größte Handelspartner Japans ist, wo viele Unternehmen große Summen investiert haben. Daß sich die Stimmung zwischen den beiden Regierungen zum Positiven verändert hat, zeigte sich bei der Begegnung von Abe und Xi beim Ostasiatischen Wirtschaftsgipfel im September im russischen Wladiwostok. Dort bat der Japaner den Chinesen, die Importbeschränkungen für Lebensmittel aus Fukushima aufzuheben, worauf Xi mit der freundlichen Bemerkung antwortete, japanischer Reis sei köstlich. [2]

Die chinesische Führung hatte das beharrliche Werben Abes lange zurückgewiesen. Peking mißfällt die offensive Außenpolitik des erzkonservativen japanischen Regierungschefs, der Chinas Einfluß in Asien begrenzen will und die Streitkräfte seines Landes aufrüstet. Auch sorgt Abes Drang für böses Blut, einen Schlußstrich unter den Zweiten Weltkrieg und die damaligen Kriegsverbrechen zu ziehen. So hat er erst vor wenigen Tagen wieder eine rituelle Spende an den umstrittenen Yasukuni-Schrein geschickt, der auch verurteilte und hingerichtete Kriegsverbrecher als Patrioten ehrt.

Der Handelsstreit mit den USA läßt die Führung in Peking jedoch umdenken. Trump hat bereits mehr als 40 Prozent des chinesischen Exports in die USA mit Strafzöllen belegt. Um nicht international isoliert zu werden, sucht Präsident Xi die Nähe zur Europäischen Union, zu Rußland und nun auch zu Japan. Eine konkrete Sorge besteht darin, daß die USA den handelspolitischen Spielraum Chinas einengen wollen. So enthält das neue Freihandelsabkommen für Nordamerika eine gegen China gerichtete Klausel, wonach Kanada und Mexiko eigene Freihandelsverträge mit Staaten, die keine Marktwirtschaft sind, nur mit Zustimmung der USA abschließen dürfen. Die USA erkennen China, aber auch die EU und Japan, nicht als Marktwirtschaft an. Eine derartige Sperrklausel könnten die USA auch bei den Verhandlungen über neue Verträge mit der EU und Japan durchsetzen und ihre Verbündeten dazu zwingen, sich für oder gegen China zu entscheiden.

Aber auch die Regierung in Tokio steht durch die US-Handelspolitik unter Druck. Japan erwirtschaftet ebenfalls einen enormen Handelsüberschuß mit den USA, im letzten Jahr waren es fast 70 Milliarden Dollar. Trump ließ kurz nach seinem Amtsantritt die Verhandlungen über das Transpazifische Freihandelsabkommen (TPP) stoppen, in das sämtliche Anrainerstaaten des asiatisch-pazifischen Raumes außer China eingebunden sein sollten. Abe, dessen Regierung TPP aufgrund der Rivalität zu China ein wichtiges Anliegen gewesen war, muß seine Strategie neu ausrichten. Tokio befürchtet nicht nur künftige Importzölle gegen japanische Autos, sondern leidet auch unter den US-Zollerhöhungen für chinesische Waren. Beispielsweise sind chinesische Aufträge für japanische Werkzeugmaschinen im September um mehr als ein Fünftel im Vergleich zum Vorjahr und den siebten Monat in Folge gesunken, weil die Produzenten in China wegen der Zölle mit Investitionen zögern.

Wenngleich Japan zu den höchstentwickelten Länder der Welt zählt, leidet die Volkswirtschaft seit mehr als 20 Jahren unter einem weitgehend gesättigten Markt mit geringem Wachstum. China will mit der Agenda "Made in China 2025" zur führenden Hightech-Nation aufsteigen und plant Investitionen in Höhe von mehreren hundert Milliarden Dollar. Die beiden Länder könnten sich gegenseitig also gut ergänzen. Mehr als 30.000 japanische Unternehmen sind in China tätig, der Handel hat bereits deutlich zugenommen, allein im vergangenen Jahr wuchs das japanische Exportgeschäft nach China um über 20 Prozent. Fast jedes vierte in Japan hergestellte Produkt geht inzwischen in die Volksrepublik, und für viele Chinesen ist das Inselreich inzwischen das beliebteste Touristenziel. [3]

Abe, der von Hunderten japanischen Wirtschaftsführern begleitet wird, will mit Xi neue Kooperationen bei Finanzen, Projekten und Technologien beschließen. Auch schlägt er Premier Li Keqiang vor, die japanische Entwicklungshilfe für China zu beenden und stattdessen gemeinsame Infrastrukturprojekte in Drittländern zu organisieren. Mehr als 30 solcher Projekte sind bereits vorbereitet und sollen in Peking unterzeichnet werden. Parallel zum Besuch Abes findet in Peking ein chinesisch-japanisches Wirtschaftsforum mit 1000 Unternehmen aus beiden Ländern statt.

Außerdem soll der Währungsaustausch zwischen den Zentralbanken der beiden größten asiatischen Volkswirtschaften wieder aufgenommen und um das Zehnfache auf umgerechnet 23,2 Milliarden Euro ausgeweitet werden. Bei Turbulenzen an den Finanzmärkten dienen diese sogenannten Swaps als Sicherheitsnetz. Damit können japanische Banken in China die Landeswährung Yuan und chinesische Unternehmen Yen erhalten. Die alte Swap-Vereinbarung war 2013 ausgelaufen.

Ein weiterer Baustein für bessere Beziehungen sollen Gesprächsrunden über eine technologische Zusammenarbeit unter dem Arbeitstitel "Innovationen und Dialog über den Schutz von Urheberrechten" werden. Sie sollen noch in diesem Jahr im Rahmen des Wirtschaftsdialogs stattfinden. Sieben Arbeitsgruppen werden sich unter anderem mit digitaler Wirtschaft, Kooperationen der Industrie, Innovation und geistigen Eigentumsrechte befassen.

Geplant ist auch eine engere militärische Zusammenarbeit. Der Chef des Führungsstabes der japanischen Streitkräfte soll erstmals seit 2008 wieder China besuchen, und Japan erwägt im Gegenzug, hochrangige chinesische Militärs zu empfangen. In diesem Zusammenhang sind auch Gespräche über die Details einer Hotline zu sehen, die im Juni vereinbart worden war, um militärische Zusammenstöße im Ostchinesischen Meer zu vermeiden. Nahe der Senkaku-Inseln, die von China als Diaoyu-Inseln beansprucht werden, kommt es immer wieder zu gefährlichen Annäherungen zwischen Schiffen und Flugzeugen beider Seiten.

Vor fünf Jahren wurde der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe in Peking noch als "nicht willkommene Person" bezeichnet. Zum Auftakt seines Besuches sprach er nun davon, die Beziehungen "auf eine neue Ebene" zu heben, und der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang lud Japan ein, sich an der Initiative der Neuen Seidenstraße zu beteiligen. "Mehr wirtschaftliche Kooperation ist gut für beide Länder - und auch für die Welt. Beide Seiten können dazu beitragen, das multilaterale Freihandelssystem und eine offene Weltwirtschaft zu bewahren", so Chinas Außenamtssprecher Lu Kang. Wenn die zweit- und die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt wieder enger zusammenrücken, könnte das signalisieren, daß gegen die Allmachtsphantasien Washingtons doch ein Kraut gewachsen ist.


Fußnoten:

[1] www.tagesschau.de/ausland/china1574~_origin-f676d73c-000f-4c8a-8d8a-630ad9637e0f.html

[2] www.dw.com/de/ein-asiatischer-gipfel-im-schatten-von-trump/a-46018534

[3] www.taz.de/!5545813/

26. Oktober 2018


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