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HEGEMONIE/1800: Die Logik des größeren Übels im Präsidentschaftswahlkampf der USA (SB)



Deutsche Leitmedien feiern die Nominierung Hillary Clintons zur Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, als handle es sich um eine für die Bundesrepublik zentrale Frage, wer künftig das Weiße Haus bezieht. Zugleich wird der republikanische Mitbewerber Donald Trump in düsteren Farben als demagogischer Rassist gezeichnet, als unterscheide sich seine Xenophobie wesentlich von landläufigen Ausfällen deutscher Politiker gegen Migrantinnen und Migranten. Im rechtspopulistischen Gegenentwurf erscheint die Bewerberin wiederum als kalte Verfechterin des imperialen Übergriffs, demgegenüber ihr Konkurrent vermeintlich Maß zu halten versteht und sogar die Interessen der "kleinen Leute" vertritt.

Beide Sichtweisen lassen sich anhand der zahlreichen Stellungnahmen, mit denen Trump und Clinton den Nominierungswahlkampf bestritten haben, gut belegen, doch stellt sich die Frage, warum sich Menschen, die ihr Leben durch diese Wahl, selbst wenn sie über Stimmrecht verfügen, nicht verbessern können, überhaupt für die eine oder andere Seite aussprechen sollten. Zwar wirken sich Wahlentscheidungen auf nationaler Ebene in den USA aufgrund des globalen Führungsanspruchs Washingtons weltweit aus, doch macht die Inszenierung von Gut und Böse vergessen, daß derartige Formen von Parteinahme zuerst einmal bekräftigen, was es zu überwinden gilt.

Das betrifft schon den antidemokratischen Charakter des de-facto-Zweiparteiensystems der USA, mit dem zum Beispiel unterschlagen wird, daß sich mit Gloria La Riva von der Party for Socialism and Liberation (PSL) und Jill Stein von der Green Party zwei Kandidatinnen zur Wahl stellen, deren Programm die progressiven Positionen von Bernie Sanders links überholt. Dessen Einschwenken auf die Unterstützung Hillary Clintons gibt all denjenigen recht, die von Anfang an vertreten haben, daß die wichtigste Funktion seiner Bewerbung als Präsidentschaftskandidat in der Neutralisierung linker Kräfte besteht, die nun für Clinton als vermeintlich kleineres Übel votieren. Die Formierung der US-Bevölkerung in zwei Lager, die im wesentlichen der Fortschreibung des Status quo verpflichtet sind, läuft jedoch auf das größere Übel ihrer Unterwerfung unter ein Herrschaftssystem hinaus, das als demokratisch zu bezeichnen die Legitimitätskrise dieses Politikmodells zutiefst bestätigt.

So werden die Wählerinnen und Wähler zwei miteinander konkurrierenden Kapitalfraktionen überantwortet, denen gemeinsam ist, daß die privatwirtschaftliche und marktorientierte Eigentumsordnung unter allen Umständen geschützt und ausgebaut werden soll. Indem ein vermeintlich epochaler Konkurrenzkampf um das höchste Amt der USA eröffnet wird, kommen die politischen Funktionseliten der Aufgabe, den Klassenantagonismus zu befrieden, vollkommen lagerunabhängig in grundsätzlicher Übereinstimmung nach. Nichts anderes belegt die auch hierzulande hochgehängte Premiere der Wahl einer Frau ins Weiße Haus, als sei an den Journalisten völlig vorbeigegangen, daß bereits 85 Frauen in 54 Staaten in entsprechende Regierungsämter gewählt wurden.

So wenig, wie Barack Obama am endemischen Rassismus in den USA etwas geändert hat, so wenig haben Frauen und andere Minderheiten eine Verbesserung ihrer Lage durch eine weibliche US-Präsidentin zu erwarten. Eher ist das Gegenteil der Fall - Obama hat sich bei entsprechenden Konflikten häufig mit dem Argument zurückgehalten, er dürfe sich als Afroamerikaner nicht für schwarze US-Bürgerinnen und -Bürger aussprechen, weil ihm dies als persönliche Voreingenommenheit ausgelegt werden könnte. So war das paternalistische Verhältnis, das die USA zu den Ländern des Südens haben, ein wesentlicher Grund für den unerwarteten Erfolg von Bernie Sanders, der sich als demokratischer Sozialist bezeichnet, im Vorwahlkampf der Demokraten. Ihm wurde eine Friedenspolitik zugetraut, für die Clinton nicht stehen kann, wie ihre außenpolitische Praxis gezeigt hat.

Die ehemalige Außenministerin Barack Obamas hat in allen Kriegen seit den 1990er Jahren eine wesentliche Rolle gespielt, und sei es als Propagandistin ihres Ehemanns William Clinton. Den Überfall der NATO auf den verbliebenen Teil Jugoslawiens bewarb sie ähnlich wie der damalige deutsche Außenminister Joseph Fischer als Feldzug gegen angeblich genozidale Diktatoren, die Eroberung des Iraks wurde durch die Aushungerung des Landes unter der Präsidentschaft ihres Mannes vorbereitet. Den Afghanistankrieg befürwortete sie im Namen all jener Frauen, die von der Kriegführung der Vereinigten Staaten noch niemals etwas anderes als Entbehrungen und Schmerzen zu erwarten hatten. Für die Zerstörung Libyens zeichnet sie als Außenministerin verantwortlich, und ihr große Genugtuung verratender Ausspruch "Wir kamen, wir sahen, er starb", mit der sie die Ermordung des von einem Mob gepfählten Muamar al-Gaddafi begrüßte, belegt ihr ganz persönliches Engagement in der Sache. Ihre Forderung, daß die Europäer gegen Putin aufstehen müssen, liegt auf der Linie einer Kriegführung, die die Bundesrepublik einmal mehr zum Kriegsakteur machen soll, was wiederum von den deutschen Funktionseliten begeistert begrüßt wird.

Kein Herz für Kinder ließ die von Clinton mitkonzipierte neoliberale Sozialhilfereform der 1990er Jahre erkennen, die arme US-Bürger zu einem noch elenderen Dasein in den reichen USA verurteilte. Nicht ein Wort der Kritik war von ihr zu vernehmen, als ihr Gatte sich im Präsidentschaftswahlkampf 1992 als entschiedener Befürworter der Todesstrafe präsentierte. So ordnete er als Gouverneur von Arkansas die Hinrichtung des geistig behinderten Ricky Ray Rector an, der so wenig begriff, wie ihm geschah, daß er seine Henker bat, ihm den Nachtisch seiner Todesmahlzeit für später aufzubewahren. Als Sachwalterin der kapitalistischen Globalisierung trat sie für das Freihandelsabkommen NAFTA, das Hunderttausende von US-Bürgern wie Mexikanern den Lebensunterhalt kostete, ebenso ein wie für TPP, wobei sie nun unter dem Druck der Sanders-Kampagne behauptet, es in der vorliegenden Form nicht unterzeichnen zu wollen.

Donald Trump scheint demgegenüber ein unbeschriebenes Blatt zu sein, doch das trifft nur darauf zu, daß er bisher über kein politisches Amt verfügte. Wird Clinton eine notorische Nähe zur Wall Street angelastet, so ist der Immobilienmagnat ein Exponent jener neofeudalistischen Königsdisziplin, bei der die Kapitalverwertung über die Grundrente, also die Spekulation mit Grundeigentum und Aufwertung vermietbaren Wohnraums, organisiert wird. Sich aus dieser Position heraus zur Stimme der kleinen Leute aufzuschwingen ist so durchsichtig irreführend wie alle populistischen Winkelzüge bourgeoiser Volkstribune. So sehr Clintons Ruf als Feministin diesen Anspruch nur auf eine Weise erfüllt, nämlich die Adaption patriarchalischer Werte und Normen zur Bestätigung der Dominanz maskuliner Durchsetzungskraft, so sehr ist Trump als deren Sachwalter bekannt. Versteigt er sich mitunter zur Denunziation nichtweißer Menschen als Vergewaltiger [1], so verbleibt er strikt im Kontext eines nationalchauvinistischen Rassismus, dem es noch niemals um die Besserstellung von Frauen ging.

Trumps Versprechen, Amerika wieder groß zu machen, überführt alle Mutmaßungen, er trete gegen den kriegerischen Interventionismus seines Landes an, der leichtfertigen Überbewertung opportunistischer Wahlkampfrhetorik. Wie bei der als "isolationistisch" gescholtenen Tea Party-Bewegung läuft Trumps Anspruch, die globalen Aktivitäten der USA zugunsten eines verstärkten Engagements im eigenen Land zurückzunehmen, auf eine bloße Modifikation imperialistischer Politik hinaus. So ist der von ihm gepredigte Primat des Marktes nicht ohne polizeistaatliche Aufrüstung zu haben, muß doch das Privateigentum desto mehr vor den hungrigen Massen geschützt werden, als diese der Bezichtigung zum Opfer fallen, nicht genug dafür getan zu haben, ihr Glück als Unternehmer ihrer selbst zu machen.

Keineswegs ist davon auszugehen, daß ein Präsident Trump das Geschäft transnationaler Konzerne mit Sitz in den USA behindern würde. Ein Land, das die vorhandenen Ressourcen an Rohstoffen und Lebensmitteln der Welt weit überproportional zu anderen Staaten konsumiert, ist nicht in der Lage, wesentliche Veränderungen an seinem Entwicklungspfad vorzunehmen, ohne Wohlstandseinbußen zu riskieren, die jeden Präsidenten unterhalb der Schwelle einer offenen Diktatur das Amt kosteten. Wenn Trump von der Globalisierungsstrategie einer Regierung Clinton abweichen sollte, dann bestenfalls im Sinne eines Handelskapitalismus, dessen merkantilistische Strategien nicht minder Waffengänge produzierten, als es der Entwurf US-amerikanischer Globalhegemonie tut. Der bei Kritikern von Freihandelsabkommen vorherrschende Glaube, unterhalb entsprechender Abkommen "fairen" Welthandel praktizieren zu können, ignoriert alles, was Kolonialismus und Imperialismus an Ausbeutung und Zerstörung zuwege bringen, ohne zu deregulierten Handelsregimes und marktförmigen Legalismen zu greifen.

Würde ein Präsident Trump alle Subventionen für US-Unternehmen streichen, die diesen einen Wettbewerbsvorteil in weniger produktiven Ländern verschaffen? Das ist zumindest zu bezweifeln, wird doch die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Lateinamerika schon seit Jahrzehnten von US-Multis niederkonkurriert, ohne daß es dazu auch nur der WTO, geschweige denn bilateraler Freihandelsabkommen bedurft hätte [2]. Was zahllose Menschen von ihrem Land vertreibt und in Hunger stürzt, ist herkömmlicher kapitalistischer Handelspolitik geschuldet. Diese nutzt Produktivitätsgefälle, Währungsunterschiede und Schuldentitel für ein Geschäft, dessen Waren einer Arbeitsleistung entspringen, die zu Lasten ihrer Erbringer angeeignet und verwertet wird, wie der entwicklungspolitische Diskurs schon vor 50 Jahren alle wissen ließ, die es interessierte.

So erwachsen die massiven Probleme der US-Gesellschaft nicht allein aus einem auf Territorium und Bevölkerung reduzierten Klassenwiderspruch. Dieser wird auf globaler Ebene ebenso verallgemeinert, wie seine Überwindung ohne die Aufhebung der integralen Verankerung der US-Kapital- und Funktionseliten in globale Hegemoniestrategien scheitern muß. Trumps gegen China gerichtete Polemik verrät allemal, daß am Horizont der virulenten Krisenkonkurrenz immer auch Konfrontationen mit militärischem Eskalationspotential aufscheinen, daran ändert auch seine gegenüber Clinton weniger aggressive Rhetorik in Sachen Rußland und Putin nichts. Nähme man den an Trump gerichteten Vorwurf des Isolationismus beim Wort und vollzöge ihn nach dem Vorbild Nordkoreas, dann wären bürgerkriegsartige Kämpfe die wahrscheinliche Folge der sich dadurch noch mehr verschärfenden Verarmung.

Rechter Nationalchauvinismus ist ohne aggressive Handelsstrategien ebensowenig möglich, wie ein grüner Kapitalismus tatsächlich den Klimawandel verhindern könnte. Auch auf diesem Feld tun sich die beiden Präsidentschaftskandidaten wenig, allerdings sind Trumps Angriffe auf jegliche Form internationalen Klimaschutzes [3] ein besonders drastisches Beispiel dafür, daß die Probleme der USA immer auch Weltprobleme sind. Wo ein ins Hotelgewerbe investierender Immobilientycoon Golfplätze anlegt, für die wertvolles Trinkwasser verschwendet wird, damit reiche Kunden ihrem Hobby nachgehen können, da ist ihm der existenzbedrohende Durst in den Ländern des Südens so gleichgültig wie die Frage, ob die namenlosen Kräfte, die die Zimmer seiner Hotels für Niedriglohn reinigen, zu jenen mexikanischen Arbeitsmigranten gehören, für die er nur Worte der Erniedrigung übrig hat.

Die auch hierzulande massenmedial inszenierte Präsidentschaftswahl in den USA hat mit den realen Problemen der Menschen so viel zu tun wie alle Herrschaftsdiskurse, die ausschließlich die Sicht der Herrschenden reflektieren. Der Glaube an das Handlungsvermögen gekrönter Häupter wie gewählter Präsidenten war schon immer das Soma, das den davon betroffenen Bevölkerungen jeden Gedanken daran austreiben soll, ihre Interessen in die eigenen Hände zu nehmen. Die Inszenierung herrschender Demokratie nicht in den Zusammenhang konkreter Klassenkämpfe zu stellen heißt der Logik des größeren Übels zu frönen, wird doch vergessen, daß das kleinere Übel nur als solches erscheinen kann, wenn der Herrschaft des Menschen über den Menschen überhaupt als akzeptables Organisationsprinzip stattgegeben wird.


Fußnoten:

[1] http://www.truth-out.org/opinion/item/36969-trump-s-rape-rhetoric-appeals-to-male-anxiety

[2] BERICHT/083: TTIP Nein danke - Innovativverwertung humaner Ressourcen ... (1) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0083.html

[3] http://www.counterpunch.org/2016/08/01/co2-donald-versus-planet-earth/

1. August 2016


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