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HEGEMONIE/1787: Bestandsgarantie Schuldendiktat (SB)




Niemals ging es darum, Griechenland oder gar die griechische Bevölkerung vor dem Staatsbankrott zu schützen, das hat die Bundesregierung auch nie behauptet. Griechenland retten, um den Euro zu retten, lautete bislang das Credo der Bundeskanzlerin. Daß dies nun in Frage gestellt wird, ist nicht durch die eher unwahrscheinliche Aussicht bedingt, daß der griechische Staat die ihm zur Aufrechterhaltung seiner Zahlungsfähigkeit gewährten Kredite jemals wird zurückzahlen können. Der Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar [1] etwa geht davon aus, daß die Rechnung für die Gläubiger in jedem Fall hoch sein wird, unabhängig davon, ob Griechenland seinen Verpflichtungen nachkommt oder tatsächlich Zahlungsunfähigkeit reklamiert.

Wichtig sei vielmehr, so Straubhaar, daß die Zinsen bedient werden, sprich das Schuldenregime beibehalten wird und die aufgelaufenen Kredite in Kurs bleiben. Andernfalls drohen nicht nur eine drastische Entwertung des Kreditgeldes Euro, sondern auch der Verlust der dadurch repräsentierten Verfügungsgewalt über Land und Leute. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen, stehen die Schuldner doch für ihre Kreditwürdigkeit mit der weitgehenden Bereitschaft ein, Grund und Boden, öffentliche Betriebe und die Arbeitskraft der Bevölkerung den Privatisierungsforderungen und Spardiktaten der Gläubiger zu unterwerfen.

Das Krisenmanagement der Bundesregierung wird wesentlich davon bestimmt, daß der Euro monetärer Ausdruck deutschen Hegemonialstrebens ist. Konzeptionell als Gemeinschaftswährung eingeführt verkörpert er den Expansionsanspruch der D-Mark, faktisch verwirklicht durch die Vormachtstellung der deutschen Export- und Finanzwirtschaft wie den dominanten Einfluß der Bundesregierung auf das Kreditsystem der EZB und die sogenannten Rettungsschirme. Aus dem Dilemma, die eigene Kreditwürdigkeit nicht mit weniger produktiven Volkswirtschaften teilen und den Euro als Basis des nationalen Erfolges nicht gefährden zu wollen, wurde die Konsequenz gezogen, durch hochverzinste Anleihen nicht mehr finanzierbare Staaten mit politisch bestimmten Krediten zu entlasten und im Gegenzug wesentliche Teile ihrer souveränen Handlungsfähigkeit unter die eigene Kuratel zu stellen.

Wird die Konkurrenz der Nationalstaaten in Berlin unter Verweis auf die Katastrophen europäischer Kriege noch so sehr dementiert, so ist die aus diesem Tauschhandel resultierende Verelendung der Peripheriestaaten bei anhaltender Prosperität der bundesdeutschen Gesellschaft doch ein Beleg dafür, daß die Epoche der kriegerischen Staatenkonkurrenz durch den Status quo des nationalen Standortwettbewerbs und der kreditgestützten Durchsetzung politischer Hegemonie abgelöst wurde. Daß Staaten dabei wie Unternehmen auftreten, die ihre Konkurrenten im Produktivitätsvergleich übertrumpfen und ihnen im Kampf um die knapper werdende Verfügbarkeit nachfragegestützter Güterproduktion und finanzkapitalistischer Bonität die Kosten anwachsender Arbeitslosigkeit und Verelendung aufbürden, entspricht der neoliberalen Leitdoktrin vom Primat des Marktes als Gewährleistung maximalen Erfolgs im sozialdarwinistischen Gegeneinander.

Dementsprechend ist die EU kein Wohlfahrtsverein oder gar die institutionalisierte Antizipation humanistischer Ideale, sondern eine zu globaler Handlungsmacht drängende Zuchtanstalt für Bevölkerungen, die noch nicht begriffen haben, daß das Vergießen von Blut, Schweiß und Tränen die Voraussetzung für die erfolgreiche Interessendurchsetzung auf der nächsthöheren Ordnungsebene, dem kapitalistischen Weltsystem, ist. Die Entscheidung, ob sie damit einverstanden sind oder nicht, liegt bereits hinter ihnen, das behaupten zumindest die nationalen Kapital- und Funktionseliten. Daß sich die nicht so wettbewerbsfähigen Konkurrenten in der süd- und osteuropäischen Peripherie den Bedingungen der bessergestellten Marktakteure auf Gedeih und Verderb zu unterwerfen haben und ihnen insbesondere letzteres als absehbare Entwicklung droht, wirft dort die Frage auf, ob ein Ende mit Schrecken in Form eines wirtschafts- und währungspolitischen Alleingangs nicht einem Schrecken ohne Ende unter der Verfügungsgewalt der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds vorzuziehen wäre.

Insofern ergänzen sich die Drohung Angela Merkels, Griechenland im Regen stehen zu lassen, und die Ankündigung des Chefs des linken Wahlbündnisses Syriza, Alexis Tsipras, zwar den bisherigen Schuldendienst neu verhandeln, aber den Euro nicht verlassen zu wollen, mehr, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Nach einem möglichen Sieg Syrizas bei den Parlamentswahlen am 25. Januar mit Tsipras neue Bedingungen des Schuldendienstes und des Verbleibs Griechenlands in der Eurozone auszuhandeln erscheint aufgrund seines konzilianten Kurses und der überwiegenden Zustimmung der Bevölkerung zur Beibehaltung des Euros allemal wahrscheinlicher, als daß er einen Bruch mit Brüssel und Berlin wagte, der dem seiner Reformfraktion unterlegenen linken Flügel Syrizas Auftrieb verliehe und der Absicht der kommunistischen KKE entspräche, nicht nur die Eurozone, sondern auch EU und NATO zu verlassen.

Zweifellos wäre der Bundesregierung damit gedient, wenn Syriza nach den Parlamentswahlen nicht die Chance zur Regierungsbildung hätte. Gegenüber einer Stärkung der revolutionären Linken in Form der KKE und einer weiteren Polarisierung der griechischen Gesellschaft, wodurch sich die soziale Frage als Machtfrage stellte, was wie ein Zündfunke auf die krisengeschüttelten Gesellschaften anderer EU-Staaten wirken könnte, dürfte eine von Syriza geführte Regierung das kleinere Übel für das Interesse Berlins sein, die Geschäftsordnung der EU auch in Zukunft bestimmen zu können.


Fußnote:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/diskussion-um-grexit-griechenland-ist-als-volkswirtschaft.694.de.html?dram:article_id=307862

6. Januar 2015


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