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HEGEMONIE/1780: Schattenspiele um die transatlantische Staatsräson (SB)




Folgt man dem Wortlaut der Nachrichtensendungen, dann scheint niemand in der Bundesrepublik zu wissen, ob die Streitkräfte der USA nur im rheinland-pfälzischen Luftwaffenstützpunkt Büchel Atomwaffen lagern oder auch an anderer Stelle in der Bundesrepublik einsatzfähige Nuklearsprengköpfe vorrätig halten. Nichts Genaues weiß man nicht, scherzt der Bürger an dieser Stelle und bezieht die Bundesregierung automatisch in seinen Verdacht ein, wie so oft von der US-Regierung im unklaren gelassen zu werden. Dies scheint auch aus einer Anfrage der Grünen im Bundestag hervorzugehen, die angesichts der geplanten Modernisierung der US-Kernwaffen in Deutschland laut der Grünen-Sicherheitspolitikerin Agnieszka Brugger erbracht hat, daß die Bundesregierung zum einen die atomare Abrüstung verlange, während sie zum andern an der "nuklearen Teilhabe" der Bundeswehr festhalte [1], bei der deutsche Kampfbomber US-amerikanische Atomwaffen ins Ziel bringen sollen.

Insbesondere kritisiert die im Verteidigungsausschuß des Bundestags sitzende Abgeordnete, daß die Bundesregierung weder über die Stationierung und Modernisierung in Deutschland vorhandener Atombomben informiert werde, noch daß sie von sich aus verlange, von der US-Regierung über den diesbetreffenden Sachstand informiert zu werden. Das ist Wasser auf die verbreitete Mutmaßung, hier werde mit unlauteren Mitteln und gegen das Interesse der Bevölkerung die Souveränität der BRD eingeschränkt. Dieser Vorwurf entbehrt allerdings schon deshalb jeder Grundlage, weil die Bundesregierung jederzeit von ihrer hoheitlichen Befugnis Gebrauch machen kann, wenn nicht auf eigenem Territorium stationierte Truppen anderer Staaten des Landes zu verweisen, so doch zumindest erschöpfende Auskunft über ihre Aktivitäten zu verlangen. Wäre es anders, dann müßte offiziell eingestanden werden, daß die Bundesbürger unter fremder Besatzung lebten, also am demokratischen Rechtsstaat weder das eine noch das andere zutreffe.

Was bei der Theorie einer von den USA weiterhin an kurzer Leine gehaltenen Bundesrepublik übersehen wird, ist die Zustimmung der Bevölkerung zur Aufrechterhaltung US-amerikanischer Militärstützpunkte in Deutschland und den dort möglicherweise stattfindenden Aktivitäten. Die Verschleppung sogenannter illegaler feindlicher Kombattanten nach den Anschlägen des 11. September 2001, die wiederholte Nutzung US-amerikanischer Luftstützpunkte für die völkerrechtswidrige Kriegführung im Irak und anderswo oder eben die Stationierung von Atomwaffen erfolgen inmitten einer Bundesrepublik, deren wahlberechtigte Bevölkerung es, wie zuletzt bei der Europawahl geschehen, vorzieht, mindestens 85 Prozent der Wählerstimmen an Parteien zu geben, die prinzipiell einverstanden sind mit der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO und damit auch der Anwesenheit US-amerikanischer Truppen in Deutschland. Auch wer nicht explizit transatlantisch wählt, stimmt meist für eine Partei, die sich in diesem Gründungskonsens der BRD gut aufgehoben fühlt.

Wirksamen Widerstand gegen die Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen in der Bundesrepublik zu leisten, bedeutete daher immer auch, die dies gutheißende Staatsräson anzugreifen. Wie sich aktuell im Konflikt zwischen NATO und Rußland um die Ukraine zeigt, gibt es gewichtige Gründe dafür, den transatlantischen Konsens nicht in Frage zu stellen und dies auch massenmedial zu kommunizieren. Dabei könnte die aus diesem Konflikt erwachsende Kriegsgefahr keine bessere Gelegenheit bieten, in den internationalen Beziehungen der Bundesrepublik grundlegend umzusteuern. Daß diese Möglichkeit kaum Unterstützung findet und sich auch nicht an der Wahlurne abbildet, daß also der deutsche Imperialismus sein Heil weiterhin in der Rückendeckung durch die größte Militärmacht der Welt sucht, ist alles andere als Ausdruck eines nur widerwillig hingenommenen Okkupationsregimes. Ein solches zu unterstellen, anstatt die Gewaltverhältnisse in der zwischenstaatlichen Konkurrenz zu Ende zu denken und in politische Handlungsmacht zu übersetzen, betreibt das Geschäft derjenigen, die dadurch angeblich kritisiert werden. Der in diesem Zusammenhang beklagte Antiamerikanismus ist denn auch nicht mehr als ein Instrument eines Akzeptanzmanagements, das notwendigerweise integrieren muß, was den Keim echter Widerständigkeit in sich tragen könnte.


Fußnote:

[1] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/neue-atomwaffen-in-deutschland-aid-1.4272603

28. Mai 2014