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HEGEMONIE/1752: EU zwischen nationalistischer Restauration und supranationaler Sozialkontrolle (SB)




Der Bayerische Finanzminister Markus Söder hat mit seiner Kampfansage in Richtung Griechenland ins Mark deutscher Befindlichkeiten gestoßen. Warum sollen "wir" für die Mißwirtschaft der anderen zahlen, wenn diese doch einfach versäumt haben, die Disziplinierung der eigenen Bevölkerung durch ein enges Lohn- und Sozialkorsett zu vollziehen, lautet der Klartext seiner Forderung, man müsse an Athen ein Exempel statuieren, mit dem deutlich werde, "dass diese Euro-Zone auch Zähne zeigen kann." [1] Diese soll sie ins magere Fleisch einer Bevölkerung schlagen, die schon jetzt unter offiziellen 24 Prozent Arbeitslosigkeit leidet, deren Volkswirtschaft sich in einer nicht enden wollenden Abwärtsbewegung befindet und die schon durch die bisherigen Spardiktate Einkommenseinbußen bis zu 50 Prozent hinnehmen mußte. Und ihre Aussichten werden immer düsterer. Die angekündigten Verschärfungen der Sparpolitik im Renten- und Sozialbereich, ohne die keine Kredite aus dem sogenannten Rettungsfonds freigesetzt werden sollen, werden Millionen Griechen, die nicht einmal einen Anspruch auf Sozialhilfe haben, wenn ihr Arbeitslosengeld ausgelaufen ist, in ein Elend stürzen, das die Sozialfeindlichkeit der Troika-EU auf drastische Weise hervortreten läßt.

Doch auch wenn sie die Eurozone verlassen, wie Söder ostentativ verlangt, ist die weitere Verarmung des Gros der griechischen Bevölkerung vorprogrammiert. Für den hierzulande ausgebrochenen Streit darüber, ob unter scharfen Privatisierungs- und Kürzungsauflagen die griechische Staatsschuld refinanziert werden oder man riskieren sollte, daß bei einer Rückkehr zur Drachme Kredite der deutschen Finanzwirtschaft in Höhe von 80 Milliarden Euro nicht mehr bedient würden, dokumentieren das Dilemma der europäischen Führungsmacht. Das neoliberale Konzept des Abwertungswettlaufes über Löhne und Sozialtransfers zugunsten einer Kapitalmacht, deren Renditeinteressen sakrosankt sind, droht so oder so gegen die Wand zu fahren.

Die ebenfalls am Sonntag vom italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti ausgesprochene Warnung vor einem Auseinanderbrechen Europas aufgrund der anwachsenden Spannungen in der Eurozone legt denn auch den Finger in die Wunde eines imperialen Projekts, dessen Ambitionen, mit gemeinsamer Finanz- und Wirtschaftskraft Weltmachtgeltung zu erhalten, nur noch ein Schatten ihrer selbst sind. Montis Rezept, die Regierungen dürften sich nicht zu sehr durch die Entscheidungen ihrer Parlamente binden lassen, sondern müßten "einen eigenen Verhandlungsspielraum" [2] wahren, sprich das in der repräsentativen Demokratie ohnehin geringe Mitspracherecht der Bevölkerung weiter einschränken, weist den Weg in eine noch autoritärer geführte Union.

Dies war in dem Plan, sich im härter werdenden globalen Kampf um Ressourcen und Investitionen mit der vereinten Schlagkraft der meisten europäischen Nationalstaaten gegenüber den USA wie den großen Schwellenstaaten zu behaupten, allerdings von Anfang an angelegt. Die sogenannte Wertegemeinschaft Europa steht seit jeher im Widerspruch zu der erklärten Absicht, sich als Transmissionsriemen ihrer Kapitalmacht zu einem imperialistischen Akteur gleichen Rangs wie die USA aufzuschwingen. Im neoliberalen, militaristischen und zentralistischen Charakter des Lissabon-Vertrags, als konstitutive Handlungsgrundlage zustandegekommen erst im zweiten Anlauf gegen den Widerstand der europäischen Bevölkerungen, sind Vollmachten zur exekutiven Ermächtigung angelegt, die stets erkennen ließen, daß krisenhafte Entwicklungen mit mehr innerer Repression und äußerer Aggression, mit Entdemokratisierung und Rechtswillkür entgegengetreten werden soll.

So treibt die Entwicklung auf den Zerfall einer EU hin, in der das Konkurrenzverhältnis zwischen ihren Mitgliedstaaten unter maßgeblicher Einflußnahme der größten Akteure nicht etwa zugunsten einer egalitären Integration aufgehoben, sondern in der das sozioökonomische Gefälle unter ihren Kommunen, Regionen und Staaten ausgebaut werden sollte, um die lohnabhängigen Bevölkerungen gegeneinander auszuspielen und die Verwertungschancen des Kapitals zu maximieren. Es ist kein Zufall, daß von Wertegemeinschaft kaum mehr die Rede ist, während die von der deutschen Bundeskanzlerin betonte Gleichsetzung der Währung Euro mit der politischen Union die Krisenrhetorik von der Schicksals- und Notgemeinschaft Europa befeuert.

Das sich daran entzündende Ressentiment gegenüber den Bevölkerungen der wirtschaftlich schwächeren EU-Staaten soll verhindern, daß die Klassenauseinandersetzung zwischen Staat und Kapital auf der einen und Lohnarbeit respektive Versorgungsanspruch auf der anderen Seite in aller Offenheit anhand der Frage, was für ein Europa die Menschen wollen, ausgetragen wird. So artikuliert sich der Standortwettbewerb, der in seiner defizitär gewordenen Substanz zu Lasten der Steuerzahler und Empfänger von Sozialtransfers stabilisiert werden soll, zusehends als rassistischer und kulturalistischer Ausgrenzungsdiskurs. Mit ihm soll vergessen gemacht werden, daß in den westeuropäischen Metropolengesellschaften, auf die die sozialchauvinistische Rechte ihre Zukunftshoffnung in Form einer auf ihre produktiven Kerne verkleinerten Eurozone richten, längst jener soziale Krieg Einzug gehalten hat, den man bislang meinte, in die globalen Elendsregionen und die europäische Peripherie auslagern zu können.

Wer die sich anbahnende Ermächtigung staatsautoritärer Gewalt zur Durchsetzung neuer Formen der Unterwerfung des Menschen unter das Kommando kapitalistischer Verwertungsinteressen nicht akzeptieren will, dem wird kaum erspart bleiben, sich ebenso gegen die nationalistische Restauration zu stellen, mit der neurechte Eliten Stimmung für einen kerneuropäischen Imperialismus machen, wie sich gegen EU-Technokraten zu verwahren, die das Elendsregime der Austeritätspolitik supranational mit massiver sozialer wie polizeilicher Repression und der Aufkündigung verbliebener Arbeiterrechte verallgemeinern wollen. Eine Linke, die sich etwas über die Tiefe des Zugriffs vormacht, mit der menschliche Subjektivität auf ihre Verfügbarkeit durch fremde Interessen zugerichtet werden soll, läuft Gefahr, in dieser Auseinandersetzung in Bedeutungs- und Wirkungslosigkeit zu verfallen. Das wäre allerdings besser, als wenn sie sich zur Sachwalterin innovativer Herrschaftsformen aufschwänge, in denen positivistisch an der Verfügbarkeit von Ressourcen orientierte Nachhaltigkeitsdiskurse, selbstreferenzielle Identitätspolitiken oder militärisch aufgerüstete Menschenrechtsprimate an die Stelle sozialen Widerstands und antikapitalistischer Klassenposition träten.

Fußnote:

[1] http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE87401820120805

[2] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/euro-krise-monti-warnt-vor-auseinanderbrechen-europas-1.1432179

5. August 2012