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HEGEMONIE/1702: Angriffskrieg gegen Libyen auf die Tagesordnung gesetzt (SB)



Der hegemoniale Übergriff der Mächte Europas auf die arabischen Staaten Nordafrikas schlägt in Gestalt ausufernder Unwägbarkeit im Zuge rasanten Umbruchs in diesen Ländern auf die europäischen Stabilitätsinteressen in dieser Region zurück. Um ökonomische Verwertung, politische Einflußnahme und administrative Indienstnahme zu sichern, kannte die Europäische Union in der Vergangenheit keine Skrupel, mit dort bestehenden Diktaturen, Folterregimes und anderen Varianten repressiven Machterhalts einvernehmlich zusammenzuarbeiten, um Vasallen zu rekrutieren. Die Proklamation einer erweiterten europäischen Sicherheitsarchitektur dient dem ungehinderten Nachschub an Rohstoffen ebenso wie der vorgelagerten Abwehr von Migranten, weshalb Stabilität stets mit einer erschütterungsfreien Gewährleistung dieser Indienstnahme gleichgesetzt wurde.

Aus Perspektive europäischer Führungszirkel ist jede gesellschaftliche Formation in Nordafrika recht, solange sie nur die Wiederherstellung und den Fortbestand der Statthalterschaft zum Zweck ungebrochener Ausbeutung und Lastübernahme garantiert. Was immer in dieser Weltregion an Unmut gärt und zum Ausbruch drängt, muß nach dieser Maßgabe kanalisiert, ausgebremst und vereinnahmt werden, denn nationale Eigenständigkeit oder gar antikapitalistische Erhebung wären ein Stachel im Fleisch der EU, den sich diese am Abgrund der systemischen Verwertungskrise am allerwenigsten leisten kann.

Was aber tun, wenn wie in Libyen der sicher geglaubte Verlauf der Erhebung plötzlich kraft der Waffengewalt des Regimes in sein Gegenteil verkehrt zu werden droht? Das Zögern und Zaudern, Vorpreschen und Zurückweichen der selbsternannten Interventionsmächte ist mitnichten grundsätzlicher Natur, hat man doch schon auf dem Balkan, im Irak oder in Afghanistan skrupellose Schläge geführt. Daß die Kriegsvorbereitung von diversen Schlingermanövern flankiert ist, verdankt sich vielmehr der Unwägbarkeit dieses Umbruchs im gesamten arabischen Raum, den man weder vorhergesehen hat, noch in seiner Dynamik einschätzen kann. Wo gestern felsenfeste Stabilität der Verhältnisse zu herrschen schien, wackeln heute allenthalben die Throne und Regierungspaläste. Jetzt gilt es für den Hegemon, einerseits seine inneren Partikularinteressen zu bändigen und andererseits um keinen Preis aufs falsche Pferd zu setzen, indem man sich mit Verlierern verbündet oder schlimmer noch, sich die gesamte Region zum Feind macht.

Während Frankreich und Großbritannien vorpreschen und sich für eine Flugverbotszone einsetzen, meldet die Türkei Widerstand gegen NATO-Einsätze in Libyen an. In der Vergangenheit habe sich gezeigt, daß militärische Interventionen Probleme nur verschärften, erklärte der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan in Istanbul. Mit unverblümten Worten, wie man sie sich von einem deutschen Außenminister in der Vergangenheit so oft gewünscht hätten, warnt Guido Westerwelle vor den gravierenden Folgen einer Flugverbotszone über Libyen. Deutschland und Europa drohten in einen "dauerhaften Krieg in Nordafrika" hineingezogen zu werden. Eine Flugverbotszone sei ein "ernster, militärischer Eingriff" und er wolle nicht, daß Deutschland auf eine "schiefe Ebene" kommt, an deren Ende man dauerhafte Kriegs- und Bürgerkriegspartei in Nordafrika sei. Lasse man die Aufstände nicht als eine Bewegung des Volkes, sondern als eine Intervention des Westens erscheinen, schwäche man die Freiheitsbewegungen, so der Außenamtschef. [1]

Mit immensem Aufwand treibt man die Entscheidungsfindung voran, da nichts weniger als der folgenschwere Einstieg in den Krieg zur Debatte steht. Die EU hat ihre Zustimmung zu einem Flugverbot von der Unterstützung der arabischen Nachbarn Libyens und von der Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat abhängig gemacht. Dasselbe Thema steht im Mittelpunkt des heutigen Treffens der Außenminister der sieben führenden Industrieländer und Rußlands (G8). Am Wochenende hat die Arabische Liga in Kairo vom UN-Sicherheitsrat die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen gefordert und damit das entscheidende Signal gegeben. "Die Vereinten Nationen sollen ihre Verantwortung wahrnehmen", hieß es in einer Stellungnahme, die nach dem Treffen der Außenminister in Kairo veröffentlicht wurde. Der Weltsicherheitsrat tagt zur Stunde hinter verschlossenen Türen in New York, um über ein mögliches Flugverbot über Libyen zu beraten. [2]

Die US-Regierung begrüßte die Entscheidung der Arabischen Liga und erklärte, sie werde den Druck auf Gaddafi verstärken, die libysche Opposition unterstützen und sich auf alle Eventualitäten vorbereiten. Auch die Mehrheit der 27 EU-Staaten - darunter Deutschland - befürwortet ein militärisches Eingreifen, jedoch nur unter definierten Bedingungen: "Voraussetzung dafür ist, daß diese Optionen notwendig sind, eine klare Rechtsgrundlage haben und aus der Region heraus unterstützt werden", sagte EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy. Damit ist der Angriffskrieg gegen Libyen auf die Tagesordnung gesetzt.

Anmerkungen:

[1] UN-Sicherheitsrat berät über Flugverbot (14.03.11)
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,14910708,00.html

[2] Sanktionen gegen Gaddafi. Arabische Liga verlangt Flugverbot über Libyen (14.03.11)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,750582,00.html

14. März 2011