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HEGEMONIE/1653: Neokonservative Agenda dominiert ... wer glaubt noch Obamas Versprechungen (SB)



Im November 2009 legte US-Außenministerin Hillary Clinton mit der Behauptung, ein Siedlungsstopp der Israelis wäre niemals Voraussetzung von Friedensverhandlungen gewesen, und dem überschwenglichen Lob auf Netanjahus Ankündigung, daß er den Ausbau der Siedlungen verlangsamen und nicht etwa einstellen wolle, einen Offenbarungseid auf die Behauptung ihrer Regierung ab, sie wolle sich für einen gerechten Frieden in Nahost einsetzen. Nun will sie den Eindruck erwecken, sie rede mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu Tacheles. Sein Schritt, während des Besuchs des US-amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden in Israel den Ausbau von Siedlungen in Ostjerusalem anzukündigen, habe ein "zutiefst negatives Signal über Israels Einstellung zum beidseitigen Verhältnis" ausgesandt, so Clintons Sprecher Philip Crowley über das, was die US-Außenministerin Netanjahu in einem Telefongespräch mitgeteilt haben will. Sie könne zudem "nicht verstehen, wie dies gerade im Lichte des ausgeprägten Interesses der USA an Israels Sicherheit geschehen konnte" (AFP, 13.10.2010).

Die Irritation der Regierung Obama, die sich in nur scheinbar widersprüchlichen Herangehensweisen gegenüber der israelischen Besatzungspolitik ausdrückt, ergibt sich einzig daraus, daß ihre Zugeständnisse nicht wie erwartet durch ein konziliantes Vorgehen des israelischen Verbündeten honoriert werden. Die US-Außenministerin hat schon als Senatorin des Bundesstaats New York und im Präsidentschaftswahlkampf viel Mühe darauf verwendet, proisraelische Wähler für sich einzunehmen. Die Zuverlässigkeit einer Parteigängerin nicht nur des Staates Israels als Summe all seiner Bürger, sondern des zionistischen Projekts als Rechtfertigung des von ihm praktizierten Siedlerkolonialismus stellte sie dabei mit bellizistischen Ansagen in Richtung Iran unter Beweis, die sie gegenüber ihrem Konkurrenten Obama als eindeutig aggressivere Verfechterin US-amerikanischer Großmachtpolitik kennzeichnete.

Wenn sie nun moniert, daß die Regierung Netanjahu die von Biden ausgesprochenen Sicherheitsgarantien nicht mit einer moderateren Herangehensweise in der Friedensfrage quittiert, dann beklagt sie sich im Grunde genommen darüber, daß der eigene Vormachtanspruch in Israel nicht respektiert wird. Gerade weil die USA dem Land zusätzlich zur eigenen Atomstreitmacht mit tausendfacher Overkillkapazität den Rücken stärken, hat die Regierung in Tel Aviv keinen Grund dafür, weder in der Frage der Besatzungspolitik noch der eines möglichen Angriffs auf den Iran abzurüsten. Die US-Regierung hat mit ihrer devoten Herangehensweise längst alle Karten auf den Tisch gelegt, so daß Versuche wie der Clintons, mit einem rhetorischen Ausfall auf die Gültigkeit der eigenen Definitionsmacht zu pochen, lediglich demonstriert, daß diese im beanspruchten Sinn einer gerechten Friedenslösung niemals durchgesetzt werden sollte.

Die Schwäche der Regierung Obama im Umgang mit Israel repräsentiert denn auch keine Schwäche der USA insgesamt, sondern nur des liberalen Flügels der amerikanischen Eliten. Die neokonservativen Kräfte, die die Anschläge des 11. September 2001 zum Anlaß nahmen, ihre Agenda globaler Hegemonie mit aller militärischen und ideologischen Gewalt zum bestimmenden Faktor der Weltpolitik zu machen, befinden sich weiterhin in der Offensive, während der von Obama zumindest im Ansatz vertretene realpolitische Multilateralismus nur ein Jahr nach Ende der Amtszeit des ungeliebten George W. Bush wie ein abgetragener Vorwand zum Verbergen unveränderter imperialistischer Absichten wirkt. Gerade am Beispiel des Nahostkonflikts bestätigt sich die Gültigkeit eines als globaler Kulturkampf codierten Vormachtanspruchs derjenigen Kräfte, die neoliberale Marktwirtschaft und neokonservativen Demokratismus zum weltweit verbindlichen Herrschaftsparadigma verabsolutieren wollen.

Begünstigt wird die Renaissance einer bereits überwunden gewähnten Formation westlicher Ideologieproduktion durch die Krise des Kapitalismus, die allemal deutlich macht, daß dieses Verwertungssystem hinsichtlich des Anspruchs, Wohlstand für alle zu schaffen, an unüberwindlichen inneren Widersprüchen krankt. Um das herrschende Akkumulationsregime dennoch zu retten und so einen Systembruch zu verhindern, der ganz andere Kräfte an die Spitze spülen könnte, wird in wachsendem Maße die Karte kriegerischer Erzwingung gezogen. Wo ganze Staaten aufgrund ökonomischer Verelendung und ökologischer Katastrophen kollabieren, wo die Legitimation demokratischer Regierungen durch die einseitige Bevorteilung des Kapitals zusehends ins Wanken gerät und der Zerfall postindustrieller Gesellschaften auch vor der geistigen Verfassung ihrer Bürger nicht haltmacht, da haben striktere Regimes sozialer Zwangsverwaltung Konjunktur.

Die einseitige Unterstützung Israels wider alle menschen- und völkerrechtlichen Konventionen ist ein Ausdruck dieser Hinwendung zu autoritären Modellen eines globalen Krisenmanagements, deren wachsende Brutalität mit abnehmender Rechenschaftspflichtigkeit sanktioniert wird. Während die US-Regierung nicht etwa aus werteorientierten, sondern hegemonialen Gründen versucht, den Anschein einer gerechten Lösung für die Palästinenser nicht gänzlich zu dementieren, hat sich deren Ghettoexistenz und Lagerdasein längst zu einem ad hoc-Modell der Zwangsverwahrung verstetigt, mit dem man weitere Jahrzehnte zu leben können glaubt und das sich zudem als Matrix für die Administration anderer Krisenregionen anbietet.

Das durchsichtige Manövrieren der US-Regierung im Nahen und Mittleren Osten dient dem Erhalt eines Abglanzes an demokratischer und menschenrechtsorientierter Weltpolitik, der die Menschen mit einer vagen Hoffnung blendet, um sie über die akute Bedrohung ihrer Freiheit und ihrer Existenzsicherung im Dunkeln zu lassen. Wo sich die unter den Funktionseliten längst akzeptierte Identität von Innen- und Außenpolitik realpolitisch bewahrheitet, eröffnen sich Ausblicke auf mögliche Entwicklungen der eigenen Gesellschaft, die zu antizipieren Handlungsmöglichkeiten auch im kleinen schafft.

13. März 2010