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HEGEMONIE/1648: Am Iran die Handlungsfähigkeit der NATO stärken ... (SB)



Ökonomischer oder militärischer Zwang, das ist die Rezeptur, die US-Senator Joseph Lieberman für den Iran bereithält. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz nutzte er den Auftritt des iranischen Außenministers Manuchehr Mottaki, dessen Position er als "lachhaft" und "intellektuell unredlich" niedermachte, um die Alternative zwischen harten Wirtschaftssanktionen oder offener Aggression zur Leitlinie des weiteren Vorgehens im Atomstreit zu erheben. Lieberman weiß, daß China und Rußland eine Verschärfung des UN-Sanktionsregimes etwa nach dem Vorbild des über den Irak verhängten Wirtschaftsembargos aller Voraussicht nach nicht mittragen werden, daher spitzt sich seine Stellungnahme auf die Unausweichlichkeit der Angriffsoption zu.

Läßt man die Äußerungen deutscher Politiker und Kommentatoren zu Mottakis Auftritt und der sonntäglichen Ankündigung des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad, mit der Produktion von auf 20 Prozent angereichertem Uran zu beginnen, Revue passieren, dann beherrscht Liebermans ultimative Drohung das Feld. In abstruser Verkehrung der realen Machtverhältnisse wird dem Iran vorgeworfen, den Westen hinzuhalten, vorzuführen, zu belügen oder ihn am Nasenring durch die Manege zu führen. Die Temperatur im Reaktor selbstgerechter Empörung steht kurz vor dem Siedepunkt, an dem es kein Halten mehr gibt und der Deckel vom Topf springt, um einmal mehr eine Zerstörungsgewalt freizusetzen, die einzuhegen angeblich das Ziel der westlichen Iranpolitik ist. Während die internationale Gemeinschaft, sprich die westlichen Führungsmächte, nur die besten, friedvollsten Absichten hegen, bereitet die Teheraner Führung mit aller Verschlagenheit, zu der, so der unausgesprochene Subtext, nur Orientalen in der Lage sind, ein militärisches Atomprogramm vor, um die Welt zu bedrohen.

Das nicht nur von der Teheraner Führung, sondern dem breiten Konsens der wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen des Landes gedeckte Interesse an Sicherheitsgarantien, die den Iran vor Aggressionen atomar bewaffneter Staaten schützen, ist längst kein Thema mehr. Das Vorhaben, Zugriff auf das iranische Nuklearmaterial zu erlangen und den Austausch niedrig angereicherten Urans gegen höher angereicherten Kernbrennstoff nach den Bedingungen des Westens zu vollziehen, ist Bestandteil einer strategischen Agenda, bei der es im Kern darum geht, den Iran als handlungsfähige Regionalmacht auszuschalten. Teheran soll den Hegemonialinteressen der USA und EU nichts entgegenstellen können, was diese ernsthaft beeinträchtigte. Die ihm vertraglich zugesicherte Verfügungsgewalt über die Urananreicherung ist ein wichtiges, aber keineswegs das einzige Hindernis, die es zu diesem Zweck zu beseitigen gilt.

Wenn Mottaki in München darauf insistiert, den Verhandlungsprozeß um die Modalitäten des Uranaustauschs als Vertreter eines souveränen Staates zu führen, dessen Interessen auf Augenhöhe mit denen seiner Kontrahenten abgeglichen werden, dann wird dies schon deshalb als Affront ausgewiesen, weil damit genau diejenige Ratio im Umgang der Staaten miteinander reklamiert wird, die es aus Sicht des Westens zu beseitigen gilt. Das im Rahmen des Atomstreits etablierte Verhältnis der Subordination soll keinesfalls aufgegeben, sondern zugunsten der strategischen Interessen des Stärkeren ausgebaut werden.

Das Taktieren Ahmedinejads, dem IAEA-Vorschlag einmal zuzustimmen und ihn dann wieder zu übergehen, reflektiert das Problem des iranischen Präsidenten, zwischen äußerem und innerem Druck vermitteln zu müssen. Kommt er dem Westen entgegen, ruft er konkurrierende Fraktionen innerhalb des Herrschaftsapparats auf den Plan, die ihn aus innenpolitischen Gründen schwächen wollen, nimmt er eine harte Position nach außen ein, dann gibt er dem Westen einen Vorwand an die Hand, das Land weiter zu isolieren oder gar anzugreifen. Im Ergebnis dieses komplexen Ränkespiels zeigt sich, daß Ahmedinejad dem Zerrbild des fleischgewordenen Bösen keinesfalls gerecht wird, sondern dessen moralische Hypertrophie Mittel erbitterter politischer Kämpfe innen wie außen ist. Er repräsentiert eine von mehreren Gruppen der iranischen Führung, deren Zwistigkeiten allerdings ein hervorragendes Einfallstor für Bestrebungen sind, die Ziele des Westens durch einen Regimewechsel zu erreichen.

Diese in den USA und der EU immer erwogene Möglichkeit scheint jedoch an Attraktivität verloren zu haben. Die iranische Oppositionsbewegung kann von dem gegen das Land gerichteten Druck kaum profitieren. Sie befindet sich in der schwierigen Lage, sich mit der Fortsetzung ihres Kampfes gegen die Regierung den Vorwurf einzuhandeln, mit äußeren Aggressoren gemeinsame Sache zu machen, und hält sich daher im Atomstreit entweder bedeckt oder unterstützt den Anspruch auf das Recht des Landes, die Urananreicherung im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrags nutzen zu können. Dementsprechend ist in westlichen Medien derzeit vom Schicksal der Oppositionsbewegung kaum die Rede. Die noch vor kurzem als Helden der Freiheit gefeierten Demonstranten sind kein Thema mehr, weil ihr Beispiel deutlich machte, daß die Bedrohung des Landes alle Iraner betrifft und nicht nur die klerikale Hausmacht unter dem obersten Rechtsgelehrten Ali Khamenei oder die Regierung Ahmedinejads.

Die von Lieberman ausgegebene Devise, den Iran so oder so in die Knie zu zwingen, ist keine Einzelmeinung eines US-amerikanischen Hardliners, als der sich der demokratische Senator immer wieder in Szene gesetzt hat, mehr. Sie hat sich, wie die Stellungnahmen vieler westlicher Konferenzteilnehmer belegen, in München zur zielführenden Marschrichtung entwickelt. Lieberman wird in den meisten Kommentaren der großen Medien auf eine Weise sekundiert, deren demagogischer Sprachduktus zeigt, daß ihre Verfasser alle Hemmungen abgelegt haben. Im Unterschied zum Vorfeld des Irakkriegs, als dem Aufmarsch der Angriffstruppen ebenfalls mit Superlativen der Bedrohung der Boden bereitet wurde, gibt es dieses Mal kaum noch zwei Meinungen.

Die mit dem Angriff der NATO auf Jugoslawien begonnene und den Kriegen gegen Afghanistan und den Irak fortgesetzte Demontage des internationalen Systems der Friedenssicherung nach Maßgabe der UN-Charta hat einen Scherbenhaufen hinterlassen, der kaum noch die Mühe lohnt, Worte über die Irrelevanz der Vereinten Nationen im Fall eines Krieges zu verlieren. Der UN-Sicherheitsrat findet eigentlich nur noch Erwähnung, um darauf zu verweisen, daß mit China und Rußland zwei Staaten in ihm Sitz und Stimme haben, die im Verhältnis zum Iran eigene, letztlich gegen die USA und EU gerichtete Ziele verfolgen. Was im Fall des Irans rückhaltlos als verwerflich gebrandmarkt wird, wird in deren Fall als illegitime Blockade des Sicherheitsrats ausgewiesen, die dem Westen keine andere Wahl lasse, als ihn zu übergehen. Daß Staaten Interessen haben, die ihr Verhältnis zueinander bestimmen, wird im eigenen Fall so sehr moralisch überhöht, wie es im andern Fall mit dem Makel des Eigennutzes befleckt wird.

Es ist nicht übertrieben zu behaupten, daß der Iran zum neuen Lackmustest für die Handlungsfähigkeit der NATO-Staaten avanciert. Da sich die Widersprüche eines achtjährigen Krieges in Afghanistan immer höher auftürmen und die Existenzberechtigung des Militärbündnisses in Frage zu stellen drohen, bietet sich das Feindbild des Irans als probates Mittel zur Produktion neuer Legitimität an. Vom ehemaligen US-Präsidenten schon vor acht Jahren mit dem Irak und Nordkorea als "Achse des Bösen" zum vorrangigen Feind im Terrorkrieg erhoben wird der Iran nun auch von den europäischen Verbündeten Washingtons mit dem Bannstrahl einer Unberechenbarkeit belegt, der man nur mit dem Mittel massiver Gewaltanwendung Herr werden kann. Die Unterstellung, die Regierung der Islamischen Republik fröne irrationalen Motiven, zieht sich wie ein roter Faden durch eine Polemik der Bezichtigung, die in ihrer Willkür aufzuklären sich der Ratio eines Imperialismus widersetzt, den beim Namen zu nennen die Immunreaktion der moralischen Dichotomie westlicher Suprematie verbietet.

8. Februar 2010