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HEGEMONIE/1640: Türkei wird umworben ... "privilegierte Partnerschaft" passé (SB)



Der der Türkei zugewandte Kurs, den Außenministers Guido Westerwelle bei seinem Besuch in Ankara eingeschlagen hat, wird von dem CDU-Außenpolitiker und Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, ausdrücklich unterstützt. Zudem erklärte er, daß die von seiner Partei und Bundeskanzlerin Angela Merkel vertretene Position, im Fall der Türkei keinen EU-Beitritt, sondern lediglich eine privilegierte Partnerschaft anzustreben, eine "Forderung der CDU" und "nicht die Position der Bundesregierung" (Welt Online, 09.01.2010) sei. Damit zeichnet sich ein deutlicher Schwenk in der Türkeipolitik der CDU ab, obwohl die CSU versucht, die Vorbereitung des EU-Beitritts der Türkei endgültig abzubrechen.

Westerwelle hatte in Ankara erklärt, daß die engere Anbindung der Türkei an die Europäische Union auch "in nationalem wohlverstandenen deutschen Interesse" liege. Bei einem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und seinem Amtskollegen Ahmet Davutoglu sprach sich Westerwelle zudem für eine strategische Partnerschaft Deutschlands mit der Türkei aus, die mit einer abweisenden Haltung, wie sie die CSU an den Tag legt, nicht zu haben wäre.

Die neue Nähe der Bundesregierung zu Ankara zeigt, daß die Regierung Erdogan das eigene Gewicht mit dem außenpolitischen Schwenk weg von der einseitigen Anbindung des Landes an EU und NATO deutlich erhöht hat. Gerade weil Erdogan auf den Iran zugegangen ist, während dieser im Visier US-amerikanischer wie EU-europäischer Anfeindungen steht, gerade weil er die bis dato engen Beziehungen seines Landes zu Israel hat abkühlen lassen, wird die Türkei für die europäische und deutsche Außenpolitik attraktiv. Man weiß in Berlin sehr genau, daß die transatlantische Ergebenheit nur ein Standbein der strategischen Absicherung angeblich als national und deutsch verstandener Interessen sein kann. Gegenüber der militärischen Dominanz der USA wird die EU stets die zweite Geige spielen, sie wird bei allen imperialistischen Eroberungen nur an zweiter Stelle zum Zuge kommen, wenn sie den mit der erweiterten Außenpolitik auf EU-Ebene und der Militarisierung der Europäischen Union angestrebte geostrategische Reichweite nicht in die Tat umsetzt.

Die Einbindung der Türkei soll dem Streben der EU nach weltweitem Einfluß auf die Sprünge helfen. Als eher orientalisches, wirtschaftlich gegenüber Westeuropa aufholendes Land wurde die Türkei lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Mit der verstärkten Bedeutung der Energieressourcen des Nahen und Mittleren Ostens ist das Land jedoch zu einem geostrategischen Akteur geworden, der inmitten des Aufmarschgebiets zu einer Region liegt, deren Neuordnung im Sinne der westlichen Ordnungsmächte gerade erst begonnen hat. War die Türkei früher südöstlicher Eckpfeiler einer NATO, die sich zumindest formell als System der kollektiven Sicherheit über ihre Außengrenzen definierte, so ist sie in einer Militärallianz, die sich als globale Kriegsmacht versteht, zentraler Akteur in einer Konfrontation, dessen von dem US-Ideologen Samuel Huntington ausgegebenes Paradigma eines weltweiten Kulturkampfes sich immer deutlicher als bloße Chiffre für Ressourcen- und Verwertungssicherung erweist.

Wer wie die CSU hierzulande meint, mit kulturalistischen Ressentiments Politik machen zu können, kann dies bestenfalls als populistisches Ablenkungsmanöver vertreten. In der Sache sind sich die europäischen Kapitaleliten längst darüber einig, die Kröte einer Aufwertung Ankaras als Mitglied der EU für die dadurch erlangte Ausdehnung des europäischen Einflusses auf diese Region zu schlucken. Dies steht auch im Interesse der USA und Israels, wäre die Bündnistreue der Türkei doch durch die weitere Ablehnung ihrer EU-Ambitionen in Frage gestellt. Indem sich die Bundesregierung für die Westbindung Ankaras einsetzt, erhöht sie ihr Gewicht im transatlantischen Kartell, das durch die wachsende Bedeutung der großen Schwellenstaaten herausgefordert ist, diese zu integrieren oder zu kontern. Was sich als Akt multikultureller Emanzipation maskiert, läuft auf die Stärkung imperialistischer Politik hinaus.

Mit dem Verweis auf nationales und deutsches Interesse gibt sich Westerwelle nur scheinbar nationalkonservativ. Der liberale Außenpolitiker vertritt Kapitalinteressen, die mit jedem paktieren, der ihnen von Nutzen ist, und das durchaus zu Lasten der eigenen Bevölkerung. Türken in der Bundesrepublik oder Kurden in der Türkei werden weiterhin unter rassistischen und nationalchauvinistischen Nachstellungen zu leiden haben, sind diese doch, das hat die CSU immerhin begriffen, Gleitmittel wie Klebstoff jeder repressiven Gesellschaftsorganisation.

9. Januar 2010