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HEGEMONIE/1599: Europas Führung begrüßt Brandrede Netanyahus (SB)



Israels Premier Benjamin Netanyahu hat in seiner mit Spannung erwarteten Grundsatzrede an der Bar-Ilan-Universität keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit gelassen, einen Staat der Palästinenser, der diesen Namen verdient, zu verhindern. Indem der Regierungschef bislang Gespräche über die Schaffung eines Palästinenserstaats abgelehnt hatte, bot er US-Präsident Barack Obama das Spielfeld für eine inszenierte Kontroverse, die eine Vermittlung Washingtons bei einer Verhandlungslösung simulierte. Was Netanyahu nun an Vorbedingungen für Friedensgespräche mit den Palästinensern auf den Tisch gelegt hat, spricht deren Kernforderungen Hohn und kann nur als Sabotage des Friedensprozesses aufgefaßt werden.

Wer auf die vage Hoffnung gesetzt hatte, die rechtskonservative israelische Regierung werde einlenken, wurde auf den Boden machtpolitischer Tatsachen zurückgeholt. Netanyahu entwarf die Farce einer "palästinensischen Entität", die keine eigene Armee haben und ihren Luftraum nicht kontrollieren dürfe. Insbesondere aber schloß er eine Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge in israelische Gebiete ebenso rigoros aus wie einen Verzicht auf den von Israel okkupierten arabischen Ostteil Jerusalems. Dieser wurde 1967 im Sechstagekrieg besetzt und später ohne völkerrechtliche Wirksamkeit annektiert. Die Vereinten Nationen haben diese Annexion für illegal erklärt. Dessen ungeachtet wurden mehr als 200.000 Juden in Ost-Jerusalem angesiedelt, das die Palästinenser als ihre Hauptstadt betrachten. Zwangsläufig gehört die Jerusalem-Frage daher zu den Hauptstreitpunkten des Nahostkonflikts.

Damit nicht genug, forderte Netanyahu die Kräfte unter Führung von Präsident Mahmoud Abbas auf, ihre Gegner auf seiten der Hamas in die Knie zu zwingen. Die Palästinenserbehörde müsse sich zwischen dem Weg des Friedens und dem Weg der Hamas entscheiden, Recht und Ordnung durchsetzen und die Hamas überwinden. Israel werde niemals mit "Terroristen verhandeln, die versuchen, es zu zerstören".

Als wolle Netanyahu die Palästinenser mit seinen unannehmbaren Forderungen verhöhnen, rief er sie zur sofortigen Aufnahme von Friedensverhandlungen auf, die ohne Vorbedingungen auf palästinensischer Seite angegangen werden müßten. Diesem Gebilde, bei dem es sich um keinen Staat, sondern ein Protektorat Israels handeln würde, können selbst kompromißbereite Palästinenser niemals zustimmen, wie sich an ersten Reaktionen deutlich ablesen ließ. So verwarf Chefunterhändler Saeb Erekat die Aussagen des israelischen Premiers als "irreführend", da sie kein Bekenntnis zu einer Zweistaatenlösung enthalten. Netanyahu habe alle umstrittenen Kernfragen einer endgültigen Friedensregelung wie die Flüchtlingsfrage, Jerusalem und das Wasser einseitig entschieden, noch bevor die Verhandlungen begonnen haben: "Netanyahu muß tausend Jahre warten, bis er einen Palästinenser findet, der einem solchen schwachen Staat zustimmt."

Auch liberale israelische Medien wie die Zeitung "Ha'aretz" zerrissen Netanyahus Rede in der Luft, die den Nahen Osten in die Tage George W. Bushs und seiner "Achse des Bösen" zurückversetzt habe, wie der Chefkolumnist des Blattes, Akiva Eldar, in einem in der Online-Ausgabe veröffentlichten Kommentar schrieb. Der Regierungschef habe eine "patriarchalische, kolonialistische Botschaft in bester neokonservativer Tradition" gesandt. Die Forderung an die Palästinenser, Israel als Staat des jüdischen Volkes anzuerkennen, lasse nicht einmal einen Spalt breit für eine Versöhnung mit den arabischen Bürgern im Lande. So könne man keine Mauer der Feindschaft zwischen zwei Nationen niederreißen, so könne man kein Vertrauen aufbauen.

Wen außer den reaktionären Kräften im eigenen Land wollte Natanyahu mit seiner Grundsatzrede erreichen? Da keinerlei Dialogbereitschaft zu erkennen ist, muß man wohl davon ausgehen, daß insbesondere die Europäer an der Nase herumgeführt werden sollen. In welchem Maße seine Äußerungen auf fruchtbaren Boden gefallen sind, zeigt nicht nur die erstaunliche Reaktion diverser westlicher Medien, er habe sich für eine Zweistaatenlösung ausgesprochen. So begrüßte die tschechische Ratspräsidentschaft der Europäischen Union allen Ernstes einen "Schritt in die richtige Richtung", da Netanyahu der Gründung eines Palästinenserstaats bedingt zugestimmt habe. Im Vorfeld des heutigen Treffens der EU-Außenminister in Luxemburg räumte der tschechische Außenminister Jan Kohout ein, daß die Rede zwar noch einer weiteren Analyse bedürfe: "Aber die Akzeptanz des palästinensischen Staats ist da."

Die EU-Außenminister kommen auch mit dem israelischen Außenminister Avigdor Lieberman zusammen und erwecken vorerst nach außen hin den Eindruck, daß Netanyahus Rede noch nicht für eine Intensivierung der nach dem Amtsantritt der konservativen Regierung zurückgestuften Beziehungen zwischen der EU und Israel ausreicht. Der schwedische Außenminister Carl Bildt, dessen Land die EU-Ratspräsidentschaft im Juli von Tschechien übernimmt, signalisierte jedoch, wohin der Hase läuft: Die Tatsache, daß Netanyahu das Wort "Staat" geäußert habe, sei ein "kleiner Schritt nach vorn". Nun müsse man allerdings noch erörtern, ob das, was er erwähnt hat, als Staat definiert werden könne.

Dies ernsthaft als offene Frage auszuweisen, läßt Schlimmstes befürchten. Die politische Führerschaft der europäischen Länder gaukelt kritische Distanz zur israelischen Regierung vor und nutzt die Scheinkontroverse hinsichtlich deren erzreaktionärer Zusammensetzung und Ausrichtung, um zu verschleiern, daß man beiderseits entschlossen ist, die Palästinenser auf dem Altar gemeinsamer Hegemonialinteressen zu schlachten.

15. Juni 2009